Lebensmittel als Treibstoff für Autos: Weniger Fleisch, mehr Biosprit?

Deutschlands größter Agrospritproduzent Verbio sagt: Wenn mehr Pflanzen direkt gegessen würden, gäbe es immer genug Getreide für Teller – und Tank.

Weg in einem gelb blühenden Rapsfeld, blauer Himme und schöne Wolken

Sollen diese Pflanzen auf dem Teller oder im Tank landen? Rapsfeld in Niederbayern Foto: Armin Weigel/dpa

SCHWEDT/ODER taz | Ein langer Güterzug mit Rapsöl steht auf den Gleisen hinter der Agrokraftstoff­fabrik im brandenburgischen Schwedt. Ein Arbeiter schließt ein Rohr an einen der 20 Kesselwagen. Dann saugt eine Pumpe das Rapsöl in 15 Meter hohe Edelstahltanks. Man könnte mit dem Öl Margarine herstellen, braten oder Salate anmachen. Aber in diesem Werk des größten deutschen Agro­spritproduzenten Verbio wird aus dem Pflanzenöl in großen Reaktoren Biodiesel. Raffinerien mischen Sprit aus Erdöl bei. Wer Diesel tankt, bekommt in der Regel so ein Gemisch.

In einem anderen Teil der Fabrik kippt gerade ein Lastwagen 25 Tonnen Roggen in eine Öffnung im Boden. Förderanlagen transportieren die gelben Körner von dort in die Mühle oben im Gebäude. Es riecht nach Vergorenem. Denn das Roggenmehl wird in Kesseln von Hefen umgewandelt in Ethanol, das Benzin beigemischt wird. Sprit mit 5 Prozent Bioanteil heißt an der Tankstelle Super E5. Vor der Verbio-Halle warten weitere Lastzüge mit noch mehr Getreide, das ebenfalls nicht auf dem Teller, sondern im Tank landen soll.

Claus Sauter steht auf einer Brücke über den Lastwagen. Er ist der Vorstandsvorsitzende von Verbio, einer börsennotierten Aktiengesellschaft mit jüngst rund einer Milliarde Euro Jahresumsatz und mittlerweile 1.300 MitarbeiterInnen in Sachsen-Anhalt, in Brandenburg sowie im Ausland. Sauter trägt eine grüngraue Arbeitsjacke mit vielen Reißverschlusstaschen, wie sie bei Landwirten beliebt ist. Er will mit der taz reden. Denn Umweltschützer und Grüne werfen ihm vor, er trage zum Hunger in der Welt bei, weil für seine Kraftstoffe Lebensmittel und knappe Ackerflächen verbraucht würden. Außerdem sei Agrosprit gar nicht klimafreundlicher als fossile Kraftstoffe. Nun will Sauter sein Geschäft verteidigen.

Lebensmittelpreise steigen seit dem Krieg gegen die Ukraine

Sein Problem hat begonnen, als im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine die Lebensmittelpreise weltweit stark stiegen. Das trägt dazu bei, dass immer mehr Menschen weltweit hungern. Auch deshalb hat Bundesumweltministerin Steffi Lemke einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Sauters Geschäft empfindlich treffen würde. Die Grüne will, dass die Mineralölkonzerne die von der EU geforderten Treibhausgaseinsparungen nicht mehr dadurch erfüllen dürfen, dass sie Benzin und Diesel Agrosprit beimischen. Das könnte Verbio die Hälfte seines Agrokraftstoffumsatzes kosten.

Doch Sauter weist die Vorwürfe zurück – und zwar mit kräftiger Stimme und vielen Anekdoten, wie man es von einem bayerischen Landwirt erwarten kann. „Diese Tank-oder-Teller-Debatte geht total am Thema vorbei“, sagt der Konzernchef. „In Deutschland werden mehr als 50 Prozent des Getreides wie Mais, Roggen oder Weizen verfüttert. Nur etwas mehr als 20 Prozent landen wirklich auf dem Teller, gerade einmal 10 Prozent werden energetisch verwertet. Zum Beispiel für Biokraftstoffe.“ Daraus folgert Sauter: „Wir müssen weniger Fleisch essen. Dann hätten wir selbst in Krisen genug Getreide und genug Ackerflächen für die direkte Ernährung und für die Bioenergieproduktion.“ Zudem würde dann der Anbau von Agrospritpflanzen nicht die Nahrungsmittelerzeugung etwa in Wälder und Moore in anderen Weltgegenden verdrängen, was Rodungen und Trockenlegungen zur Folge haben kann. Diese indirekten Effekte führen Studien zufolge zu einer negativen Klimabilanz. Da diese Wirkung in den amtlichen Berechnungen fehlen, spart Agrosprit offiziell Treibhausgase ein.

„Fleischproduktion ist Energievernichtung“

„Für die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch braucht man bis zu zehn Kilo Getreide als Futter“, sagt Sauter. „Fleischproduktion ist Energievernichtung.“ Und es sei auch viel gesünder und moralisch besser, weniger Fleisch zu essen. Die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) etwa prognostiziert aber, dass die globale Fleischproduktion perspektivisch zunehmen wird. „Das ist Quatsch“, ist Sauter überzeugt. „Der Fleischverbrauch wird nicht steigen, denn wenn der Bauer eine Alternative und einen sicheren Abnehmer hat und der ihm ordentliches Geld zahlt, dann wird der kein Fleisch mehr produzieren.“ Und dieser Abnehmer sei die Bioenergiebranche. Gegenteilige Prognosen würden nur alte Trends fortschreiben, aber diese würden gebrochen „vor allem wegen der gesellschaftlichen Entwicklung“ zu weniger Fleischkonsum.

Die FAO hat dieses neue Bewusstsein etwa in ihrem „Agri­cultural Outlook 2022–2031“ berücksichtigt. In reicheren Ländern – steht dort – werde erwartet, dass die Nachfrage nach Fleisch angesichts der alternden Bevölkerung und größerer Ernährungsbedenken „abflacht oder tendenziell sinkt“. In Staaten mit niedrigeren Einkommen dagegen würden „sowohl das Bevölkerungs- als auch das Einkommenswachstum zu einem höheren Gesamtkonsum führen“.

Natürlich, Prognosen sind immer unsicher. Doch selbst, falls die Fleischproduktion auch global sinkt, sehen Umweltschützer keinen Raum für die Agrokraftstoffproduktion. „Wenn wir weniger Getreide für die Fleischproduktion anbauen müssen, dann sollten wir auf den freien Flächen lieber wieder Wald wachsen lassen, statt dort Agrospritpflanzen anzubauen“, sagt Martin Hofstetter, Agraringenieur bei Greenpeace. Der Wald könnte der Atmosphäre sogar CO2 entziehen, wäre also viel klimafreundlicher.

Deshalb bestreitet Unternehmer Sauter, dass Lebensmittel wirklich knapp seien. „Wir haben doch immer noch Überfluss. Diese Geschichte, dass die Welt verhungert, die ist doch schon längst vorbei“, sagt er. Viele Agrar­rohstoffe wie Weizen kosteten mittlerweile so viel wie vor dem russischen Angriff vom Februar 2022. „Das Grundproblem bleibt“, antwortet Hofstetter darauf. Die Weltmarktpreise seien immer noch hoch. Und wegen der staatlichen Anreize lohne es sich weiterhin, aus Getreide zuerst Agrosprit herzustellen. „Das wird in der nächsten Krise wieder so sein.“ Dann würden die Preise erneut explodieren.

Sauter argumentiert auch, dass sich zum Beispiel sein Roggen gar nicht eigne für Lebensmittel. Verbio kaufe etwa Getreide, das von einem Pilz befallen sei. Wie viel des Roggens hier ist im Fünfjahresschnitt ungenießbar? „20 Prozent, würde ich sagen. Der Rest ist Futtergetreide“, antwortet der Konzernchef. Solche Getreidesorten haben weniger Protein als Sorten für Brot.

Mit dem Roggen ließe sich auch Brot backen

Aber: Greenpeace hat vor einigen Monaten aus „Futterweizen“ leckeres Brot backen lassen. Das würde auch mit „Futterroggen“ funktionieren, bestätigt Hofstetter. Man müsse nur die Verarbeitung zu Teig etwas anpassen. Und beim Rapsöl in seinem Werk räumt Konzernchef Sauter unumwunden ein, dass man es auch als Lebensmittel verwenden könnte.

Davon verarbeitet Verbio gigantische Mengen, laut Sauter gar die Hälfte der Rapsernte in den östlichen Bundesländern. Aus Reststoffen wie Stroh oder Gülle dagegen macht Verbio nur vergleichsweise wenig „Biokraftstoffe der zweiten Generation“. So viel günstige Gülle steht dann doch nicht zur Verfügung.

Trotz aller Gegenargumente zeigt sich Sauter unbeeindruckt vom Entwurf der Umweltministerin, der die staatlichen Anreize für Biosprit aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen bis 2030 beenden soll. Lemke will, dass sich die Mineralölkonzerne ab 2024 nur noch 2,3 Prozent statt wie bisher 4,4 Prozent solcher Agrokraftstoffe an ihr Energieangebot anrechnen lassen können, um die Pflicht zum Einsparen von Treibhausgasen zu erfüllen. Bis 2030 soll die Quote nach und nach auf null sinken.

„Die Lemke hat sich verrannt“, sagt Sauter. In der Ampelkoalition habe sich außer der FDP nun auch die SPD dagegen ausgesprochen. Damit dürfte Sauters Geschäft erst mal sicher bleiben. Daran ändert auch nichts, dass die EU ab 2035 keine neuen Pkws mit Verbrennungsmotoren mehr zulassen will. „Da geht es ja hauptsächlich um den Pkw“, sagt Sauter, „der größte Teil unserer Produktion geht in die Lkws.“

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