Das Ringen am Kirschholztisch

Annette Pehnts Roman „Die schmutzige Frau“ erzählt von weiblicher Selbstverzwergung und der emanzipativen Kraft des Schreibens

Von Nina Apin

Eine Frau mittleren Alters sitzt in einer Wohnung im siebten Stock und schreibt das Buch, das sie schon lange schreiben wollte. Sie schreibt an einem Schreibtisch aus Kirschholz, den ihr Mann für sie gekauft hat. Den Tisch ließ er ans Fenster stellen, damit sie einen freien Blick hat beim Arbeiten. Überhaupt kümmert sich der Mann fürsorglich um seine Frau. Er bringt ihr die Einkäufe, besucht sie regelmäßig, wenn auch unangemeldet. Denn ein Telefon hat sie nicht in der Wohnung, auch kein Internet.

Manchmal fängt die Frau in ihrer Wohnung an zu schluchzen – dann bringt der Mann ihr einen Tee. Manchmal probiert die Frau auf dem Teppich den Handstand, aber: „Ich übe nur, wenn Meinmann nicht in der Wohnung ist Sobald ich ihn an der Tür höre, sinke ich zurück und liege still in der Haltung des Kindes, in der er mich findet, sorgfältig aufhebt und auf die Füße stellt“.

Welches Spiel wird hier gespielt? Wird die Frau von dem, den sie „Meinmann“ nennt, eingesperrt? Und warum wehrt sie sich nicht? Annette Pehnt ist mit „Die schmutzige Frau“ ein wunderbar ambivalenter Roman gelungen. Die Beziehung, in der eine nicht sehr willensstarke Frau und ein dominanter Mann sich verstrickt haben, kann man wohl toxisch nennen.

Man erfährt von seiner Strenge, ihrer Angst, Fehler zu machen, von Umarmungen, die zu fest sind, von Freundinnen, die sich abwenden. Ein klassischer Tyrann ist der Mann aber auch nicht, vielmehr ist es die Frau, die sich von den Erwartungen anderer modellieren lässt, ohne ihre eigenen Bedürfnisse zu kennen: „Wir haben oft darüber gesprochen, dass er sich eine kluge, wortgewandte Frau wünsche, die ihre Meinung sagte, wann immer ihr danach war Genau das war ich ja immer gewesen“.

Die Anwesenheit der Frau in der Wohnung ist also durchaus freiwillig: „Es ist wahr, niemand hält mich hier fest, Meinmann ist kein Wärter und ich keine Gefangene, die Tür ist nicht abgeschlossen, und ich besitze genug Kleidungsstücke, Schuhe, Jacken und Schals, die es mir erlauben würden, angemessen gekleidet dort unten auf die Straße zu treten …“

Annette Pehnt: „Die ­schmutzige Frau“. Piper, München 2023, 176 Seiten, 22 Euro

Was hindert die Frau also daran, sich drinnen wohlzufühlen – oder nach draußen zu gehen? Das erfährt die Leserin nach und nach durch geschickt gestreute biografische Hinweise – vor allem durch die Geschichten, die sich am Schreibtisch, zwischen der erdrückenden Präsenz des Meinmann-Besuchers und den gedanklichen Rückblicken auf Studium und Ehejahre, aus dem Bewusstsein der Frau herausschieben, eine nach der anderen.

Sieben Geschichten, sieben Variationen derselben kleingewachsenen, immer etwas „schmutzig“ wirkenden gelockten Frau fügt Annette Pehnt ineinander und spielt dabei mit (leider noch immer gängigen) weiblichen Zurichtungen: Das reinliche Mädchen, das der Mutter doch nie sauber genug ist. Die zierliche Frau ohne klare Konturen, Objekt männlicher Fürsorge und Besitzansprüche. Das Undefinierte lässt Pehnt in die Sprache einsickern, ihre Sätze enden ohne Satzzeichen, die Leserin hängt ebenso in der Luft wie die Namenlose, die hoch oben über der Stadt um Selbstbestimmung ringt.

Nicht zuletzt ist „Die schmutzige Frau“ auch ein Roman über die emanzipative Kraft des Schreibens: Am Anfang ist da der Freiheitsdrang nach einem „Room of one’s own“. Dann kommt die Angst vor dem leeren Blatt – und mit jeder selbsterzählten Geschichte gewinnt die (Autorinnen-)Stimme schließlich mehr an Kontur. Bis sich die Autorin aus ihrer Isolation heraus- und in ein Leben hineinschreibt, in dem Meinmann und seine Wohnung mit Panoramablick nur noch eine Fußnote ist.