Willfährig anOrbáns Medienfront

Tagelang wird eine österreichische Journalistin in Ungarns wichtigsten TV-Nachrichten diffamiert. Die taz hat mit Insidern der Fidesz-kontrollierten Sender gesprochen.Der Fall zeigt, wie sich Ungarns regierungsnahe Medien heute sehen:als Akteure einesrechten Kulturkampfes

Illustration: Eléonore Roedel

Aus Berlin und Budapest Jean-Philipp Baeck
, Christian Jakob
und Luisa Kuhn

Es ist der Vormittag des 6. April 2021, ein Dienstag, als die Journalistin Franziska Tschinderle eine Mail aus den Redaktionsräumen des Magazins profil im 19. Wiener Bezirk nach Brüssel schickt. Sie geht an mehrere EU-Abgeordnete der ungarischen Regierungspartei Fidesz. Tschinderle stellt ihnen drei, wie sie sagt, „total routinemäßige“ Fragen.

Doch schon ab dem folgenden Tag wird Tschinderle wegen dieser Mail in der Hauptnachrichtensendung des ungarischen staatlichen TV-Senders M1 angegriffen – mit Foto, unter Nennung ihres Namens. Fünf Abende in Folge wird Tschinderle attackiert, ohne dass sie vorgewarnt wird oder die Möglichkeit einer Stellungnahme bekommt. „Sie haben mich schwerst diffamiert und versucht, mich als so naiv und lächerlich darzustellen wie möglich“, sagt Tschinderle. Sogar Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg von der ÖVP schaltet sich ein und protestiert scharf.

Angriffe auf Jour­na­lis­t:in­nen durch die Fidesz-Regierung sind in Ungarn keine Seltenheit. In den 13 Jahren, seit Ministerpräsident Viktor Orbán ununterbrochen im Amt ist, hat er die Medien – staatliche wie private – weitgehend unter seine Kontrolle gebracht. Doch der Fall Tschinderle ist auch für ungarische Verhältnisse außergewöhnlich. Dass in Deutschland eine vergleichbare Anfrage einer ausländischen Journalistin, etwa an die CDU, zum Thema der „tagesthemen“ in der ARD gemacht würde, ist nicht vorstellbar. „Aber“, sagt Franziska Tschinderle, „in Ungarn ist es passiert. Und da muss man sich die Frage stellen: Wieso berichten die das? Wie unabhängig sind die überhaupt? Wer bereitet so einen Beitrag vor?“

Die taz ist diesen Fragen in einer mehrmonatigen Recherche nachgegangen. Sie hat mit hohen ehemaligen Mitarbeitern des staatlichen Mediensystems in Ungarn gesprochen, mit Wissenschaftler:innen, Aktivist:innen, Po­li­ti­ke­r:in­nen und konnte interne Dokumente einsehen. Die Recherche zeigt, wie sich in dem Land ein Konglomerat aus privaten und staatlichen Medien gebildet hat, für das es völlig selbstverständlich ist, mit der Fidesz-Regierung Hand in Hand zu arbeiten. Die Mechanismen, die Franziska Tschinderle in die Nachrichten brachten, zeigen, wie Ungarns staatsnahe Medien sich heute sehen: als Akteure in einem Kulturkampf von rechts, in dem die Nation gegen „Globalisten“, „Woke“ und Liberale verteidigt werden muss. Und weil die freie Presse diesen Gruppen zugerechnet wird, wird auch sie nach Kräften bekämpft. So wie Tschinderle.

Sie hatte sich in ihrer Mail an die Fidesz-Abgeordneten nach einem Treffen erkundigt, das da gerade eine Woche zurücklag: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hatte den damaligen italienischen Innenminister Matteo Salvini und Polens Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki nach Budapest eingeladen. Die drei kündigten die Gründung einer neuen Parteienallianz an – für eine „Wiedergeburt Europas auf Grundlage christlicher Werte“, wie Orbán es formulierte.

„Was ist das Ziel dieser Allianz?“ fragte Tschinderle in ihrer Mail an die Abgeordneten. Und: Weder die FPÖ noch die AfD oder das französische Rassemblement National von Marine Le Pen waren bei dem Treffen dabei. „Warum fehlten sie?“ wollte Tschinderle wissen. Denn Versuche, solche Allianzen zu bilden, scheiterten in der Vergangenheit an politischen Differenzen. „Wie lässt sich eine Spaltung dieses Mal vermeiden?“ war ihre dritte Frage.

Eine Antwort darauf bekommt sie nie. Am folgenden Tag, dem 7. April, schreibt ihr die Fidesz-Fraktionsmitarbeiterin Petra Paulik: Nach Rücksprache mit dem Fraktionsvorsitzenden Tamás Deutsch habe man entschieden, sich nicht zu äußern, weil Tschinderle „keine eigentliche Frage“ gestellt, sondern „Sticheleien“ geäußert habe.

Dabei hätte man es bewenden lassen können.

Doch zu dieser Zeit waren Redakteure der ungarischen Staatsmedienholding MTVA längst dabei, einen Beitrag zu verfassen, in dem Tschinderle die Hauptfigur war.

Zur MTVA gehört der Sender M1. Jeden Tag um 19.30 Uhr sendet er „Híradó“, die wichtigste Nachrichtensendung des Landes, vergleichbar mit den „tagesthemen“. Am 7. April, in Minute 35, spricht die „Híradó“-Moderatorin davon, dass sich eine „österreichische liberale Journalistin“ mit „provokativen Fragen“ an Fidesz-Abgeordnete gewandt habe. Ihr Foto wird gezeigt und ein Screenshot von ihrer Mail.

Tschinderle habe „lächerliche“ und „amateurhafte“ Fragen gestellt, um „vorgefasste, voreingenommene Aussagen“ zu tarnen, heißt es. Es gehe darum, „die entstehende, starke, europäische christlich-demokratische Allianz im Vorfeld anzugreifen“ – ein „beispielloser Angriff der liberalen europäischen Presse“. Der Zweck des Ganzen sei klar: Die Journalistin wolle die „neue Bewegung“ als rechtsextrem brandmarken. Der M1-Beitrag dauert vier Minuten, bevor es mit Fußball weitergeht.

M1 ist noch nicht fertig mit Tschinderle. Bis zum 10. April wird sie in fünf Ausgaben der „Híradó“-Nachrichten immer wieder attackiert, namentlich und mit Foto. Die Vorwürfe sind stets dieselben.

Ab dem 8. April greifen auch große staatsnahe Medien die Sache auf, darunter die Onlineportale Origo und 888, die Mandiner-Gruppe und Magyar Nemzet. Für schnellen Ruhm habe Tschinderle zeigen wollen, was für eine Nazi-Diktatur Ungarn sei, schreiben sie.

Es liegt auf der Hand, dass die Fidesz-Fraktion im EU-Parlament daran beteiligt war, dass Tschinderles Anfrage bei der MTVA landete. Die Fraktion schweigt dazu. Weder die Fraktionsmitarbeiterin Paulik noch Tamás Deutsch antworten auf eine Anfrage der taz.

Der Hauptautor der Berichte über Franziska Tschinderle heißt Balázs Bende. Über 20 Jahre arbeitete er fürs öffentliche Fernsehen, zuletzt als Leiter des Auslandsressorts von MTVA. Bende hatte ein eigenes Magazin, kommentierte das Weltgeschehen und schimpfte oft. Ein ungarischer Tucker Carlson. 2022 steigt er plötzlich aus – offiziell aus gesundheitlichen Gründen. Bende war streitbar, eine Fernsehpersönlichkeit. So einer schmeißt nicht einfach hin, dachten viele und fragten sich, ob es noch andere Gründe gab.

Bende hat sich seit seinem Rückzug nicht mehr öffentlich geäußert. Die taz suchte ihn auf. Er lebt heute zurückgezogen auf dem Land. Der Weg dorthin führt von Budapest nach Süden, etwa eine Autostunde Richtung Serbien. Die Navigation führt zunächst zu einer verlassenen Verteilerstation, bei der die Zufahrt zugewachsen ist. Rundum kleine, einfache Höfe mit Holzschuppen, die nur über unbefestigte Stichwege zu erreichen sind. Schafe grasen auf der Wiese. Nirgends ist jemand zu sehen.

Auf einer Weide neben einem Pick-up-Truck steht ein Mann mit praktischer dunkelgrüner Weste, lockerer Hose und Gummistiefeln. Balázs Bende? „Das bin ich“, sagt der Mann und hebt den Arm. Ein Bulle sei ihm ausgebüchst, den habe er eben erst eingefangen und nun müsse er den Zaun reparieren. Daher könne er gerade nicht sprechen. Bende schlägt ein Treffen in einer Stunde vor und empfiehlt ein Bistro mit ungarischer und internationaler Küche in der Nähe des Ortskerns.

Er kommt wie verabredet und scheint fast darauf gewartet zu haben, endlich wieder gefragt zu werden. Er nimmt sich Zeit.

Bende sagt, er sei nicht der Meinung, dass Journalisten untereinander Feinde sein sollten. Er kann sich denken, dass er für links-liberale Journalisten nicht der Held der Geschichte ist. Das sei in Ordnung für ihn. Drei Dinge seien ihm wichtig: dass ihm nicht das Wort im Mund herumgedreht werde, dass er heute kein Journalist mehr sei und dass er aus freien Stücken aufgehört habe, um mehr Zeit mit der Familie zu verbringen.

Warum hat er den Beitrag über Franziska Tschinderle damals gemacht? Bende erinnert sich, obgleich nicht an alles. Er sagt, er sei wohl nicht der Autor des allerersten Beitrages gewesen. Aber es sind zwei Jahre vergangen. Franziska Tschinderle kannte er vorher nicht und auch nicht das Magazin profil, für das sie arbeitet.

Tschinderle sei es mit ihren Fragen nicht darum gegangen, etwas herauszufinden, sagt Bende, sondern sie habe eine „politische Erklärung“ abgeben wollen, dass die ungarische Regierung enge Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen unterhalte. Ihre Fragen seien „nicht fair“ gewesen. „Denn sie erweckten den Eindruck, dass die ungarischen Wähler nichts von Demokratie, nichts von der Welt verstünden. Sie hätten ihre Stimme unüberlegt abgegeben und das Ergebnis sei eine unterdrückerische, rechtsextreme und fremdenfeindliche Regierung, die den Menschen im Nacken sitzt und sie in den Schmutz zieht“, sagt Bende. „Es war eine Beleidigung. Gegenüber ­einem Ungarn.“

Dass er die Berichte über die junge Kollegin produziert habe, bereue er nicht, sagt Bende. Und setzt doch nach: „Ich denke, dass es eine Episode in der Geschichte des europäischen Journalismus war, die nicht nötig war.“ Er selbst sei danach von internationalen Medien kritisiert worden.

Doch wie ist die E-Mail bei ihm gelandet, die Tschinderle an die Fidesz-Fraktion im EU-Parlament schickte? Soweit er sich erinnere, sei es die Regierung gewesen, die die Information an die Medien verschickt habe. „Ein Pressesprecher oder so“, sagt Bende. „Alles kam per E-Mail.“ Zuerst eine englische Version, Stunden später auch eine ungarische.

In Ungarn würden „zwei Welten aufeinanderprallen“, sagt Bende: eine linksliberale und eine konservativ-nationale. „Wenn man sich die Medien anschaut, nicht nur in Ungarn, wenn man sich Europa anschaut, die USA, besonders im Wahljahr, dann ist das ein Krieg, ein schmutziger, blutiger Krieg.“

Dass die Regierung die Medien „besitzt oder zentralisiert“, glaube er nicht, sagt Bende. „Aber bestimmte Medien sind jetzt in den Händen von Leuten, die dasselbe Verständnis der Dinge haben wie die Regierung.“

Am Tag nach dem Tschinderle-Beitrag auf M1 ruft Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) seinen ungarischen Amtskollegen Péter Szijjártó an. Er habe seine „deutliche Ablehnung über die Attacke“ zum Ausdruck gebracht, sagt das Ministerium auf Nachfrage der taz. Offenbar erfolglos: Kurz nach dem Telefonat schreibt Szijjártó auf Facebook von einer „Heuchelei“: Eine liberale Journalistin dürfe aufgrund der Pressefreiheit Fake News über ein Land verbreiten, aber wenn ein anderer Journalist wage, Kritik daran zu üben, sei dies ein Angriff auf die Pressefreiheit.

Seitdem Orbán 2010 wieder an die Macht gekommen ist, arbeitet er daran, die Medien unter seine Kontrolle zu bringen. Dabei verfolgt er von Beginn an zwei parallele Strategien: Die öffentlich-rechtlichen Medien werden ausgebaut und auf Linie gebracht, die privaten diffamiert, unter Druck gesetzt – und von seinen Getreuen aufgekauft. Seither wird die Weltsicht der Fidesz auf fast allen Kanälen in Ungarn verbreitet. Kritische Medien finden sich heute nur noch online.

Einst regierungskritische Medien wie Origo, das Korruption im Umfeld Orbáns aufdeckte, wird von der ungarischen Telekom, einer 100-prozentigen Tochter des deutschen Unternehmens, 2015 an das Fidesz-nahe Unternehmen New Wave Media verkauft. Die Deutsche Telekom bekommt einen milliardenschweren staatlichen Auftrag zum Ausbau des Breitbandnetzes. Und der neue Origo-Inhaber, ein enger Freund Orbáns, bringt das Medium auf Regierungslinie.

So oder ähnlich ergeht es zahlreichen Medienunternehmen. Der wichtigste Akteur dabei ist der Media Services and Support Trust Fund (MTVA), eine Art Zentralredaktion der Staatsmedien. Das Jahresbudget der MTVA beträgt über 250 Millionen Euro. An der Spitze der MTVA steht seit 2018 Dániel Papp, ein Ex-Funktionär der rechtsextremen Jobbik-Partei. Über der Regierungskommunikation steht Antal Rogán, der „Minister des Planugsbüros“ von Orbán, der seit Kurzem auch die zivilen Geheimdienste koordiniert.

Im Februar 2023 ist eine Delegation der EU-Kommission für eine Untersuchung zur Rechtsstaatlichkeit in Budapest. „Eine Grundregel für die Arbeit der ungarischen öffentlich-rechtlichen Medien ist, dass die Politik keinen Einfluss auf die Produktion von Inhalten haben darf,“ sagt der MTVA-Chef Dániel Papp ihnen gegenüber.

Die Weltsicht der Fidesz wird auf fast allen Kanälen verbreitet. Kritische Medien finden sich nur noch online

Der Tschinderle-Fall zeigt, dass das getrost bezweifelt werden darf.

Die taz konnte eine E-Mail eines Vorgesetzten an einen MTVA-Reporter einsehen, die genau auflistet, welche Teile einer Rede von Viktor Orbán der Reporter erwähnen solle.

Radio Free Europe hatte aufgedeckt, dass es bei MTVA Anweisungen gab, vor der Wahl zum EU-Parlament 2019 regierungsfreundlich zu berichten. Das belegten heimlich aufgenommene Tonmitschnitte eines Treffens vom März 2019, an dem alle Angestellten des Auslandsressorts von MTVA teilnehmen mussten. Eingeladen hatte der Chef der Auslandsabteilung, Balázs Bende – der Journalist, der die Berichte über Franziska Tschinderle verfasst hat. Auf dem Mitschnitt ist Bende mit den Worten zu hören: Die „Opposition wird in dieser Institution nicht unterstützt“. Wem das nicht passe, der könne kündigen, sagt er.

Auch der Journalist András Rostoványi berichtet der taz von Meinungsmache im Sinne der Regierung Orbáns. Über mehrere Jahre hat er unter Balázs Bende bei der MTVA gearbeitet. Wir treffen den Whistleblower in einer angemieteten Altbauwohnung im alten jüdischen Viertel von Budapest.

Er habe sehr gut verdient bei MTVA, sagt uns Rostoványi, es aber irgendwann nicht mehr ausgehalten. Regelmäßig seien Beiträge umgeschnitten worden. Berichte würden „ideologisch geprüft und auf eine regierungsfreundliche Linie gebracht“.

Rostoványi berichtet in einem anderen Fall von einer Rede Orbáns im EU-Parlament 2015. Darin verteidigte er seine Migrationspolitik und die von ihm aufgebrachte Diskussion um Wiedereinführung der Todesstrafe. „Die erste Berichtsversion handelte noch von der Todesstrafe“, sagt Rosto­ványi. „Aber dann gab es eine Stimme von außen, die sagte, dass wir die Todesstrafe fallen lassen sollen.“ Der Bericht sei dann überarbeitet worden, in der Abendsendung habe das Thema gefehlt.

Im Redaktionsalltag seien solche Anweisungen über die Vorgesetzten gekommen, sagt Rosto­ványi. „Manchmal ging er hinaus, sprach mit jemandem am Telefon und kam mit einer Anweisung zurück.“ Sogar ein Wort für diese „Stimme von außen“ habe es gegeben: die sogenannte Publikumsanfrage. Einmal sei aufgrund einer solchen „Publikumsanfrage“ der Ablauf einer Nachrichtensendung fünf Minuten vor Ausstrahlung umgestellt worden, sagt Rostoványi.

Rostoványi glaubt, dass die „Stimme von außen“ Antal Rogán ist, der „Minister des Kabinettsbüros des Ministerpräsidenten“. Das sei ein offenes Geheimnis, er hat dafür aber keine Belege. Die Opposition nennt den Orbán-Vertrauten Rogán “Propagandaminister“. Er vergibt Werbeaufträge an Medien, die Fidesz-nahe Oligarchen gekauft haben und dann an die von der Fidesz kontrollierte „Mitteleuropäische Presse- und Medienstiftung“ (Kesma) weitergegeben haben. Täglich berichten diese Publikationen heute über die gleichen Themen, oft mit fast gleich lautenden Überschriften – und mittlerweile regelmäßig mit Bezug zu russischer Propaganda.

Rogán gilt als einer der führenden Köpfe der ungarischen Kreml-Connection. Kamen die diffamierenden Berichte über Franziska Tschinderle über das Büro von Antal Rogán zustande? Belege dafür, dass Rogán Berichterstattung selbst in Auftrag gibt, gibt es nicht. Rogán lässt eine Anfrage der taz dazu bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Klar, die Regierung habe einen Kanal zu den Chefs der Sender und erkläre, welche Themen interessant seien und welche nicht, sagt Balázs Bende, Rostoványis ehemaliger Chef, beim Treffen in dem Gasthof in seinem Heimatdorf. Bende sieht das als eine normale Art von Zusammenarbeit, eine „Informationsweitergabe“ durch Pressesprecher der Ministerien, die die Arbeit einfacher mache. „Aber es ist keine Zensur. Die Regierung hat keine Macht über die Leitung der MTVA“, also die zentrale Institution, die Inhalte produziert.

Und Anrufe, tägliche „Stimmen von außen“?

Viele Medien stellten in den vergangenen Jahren den Betrieb ein, vieleJour­na­lis­t:in­nen gaben und geben ihren Beruf auf

„Nein, nein, nein“, sagt Bende dazu.

Bende spricht von einer „Konfrontation“ in Ungarn, an der auch die Medien beteiligt seien. Er bedauere das, sagt er. Bis 2010 sei in Ungarn die Medienlandschaft eher links gewesen, das habe sich danach eben geändert. 2010 trat Orbán sein Amt als Ministerpräsident an.

Die Regierung sei der Meinung gewesen, „dass nationale oder konservative Medien einen Platz in der ungarischen Gesellschaft haben“. Journalisten würden seitdem gut bezahlt – das sei die echte Befreiung. Und auch für die Opposition sei selbstverständlich Platz in der Berichterstattung, auch wenn deren Vertreter das oft selbst nicht wollten.

Dann spricht er von „Political Correctness“, davon, dass Medien Angst hätten, nicht „woke“ genug zu sein, und dass die Regierung Orbán sich eben entschieden hätte, da nicht mitzumachen. „Wir hörten von unseren Korrespondenten in Deutschland, Frankreich und Italien, dass die Leute in der Migration ein Problem sahen, in der Kriminalität und so weiter. Wir hörten von dem Problem in der Kölner Silvesternacht. 100.000 Migranten, die von Serbien nach Österreich marschieren – natürlich war das ein Thema.“

Bende ist heute kein Journalist mehr, die Angriffe gegen unabhängige Medien in Ungarn ­gehen indes weiter. Seit Beginn des Jahres werden die Portale Átlátszó und Telex von regierungsnahen Journalisten als „Dollarmedien“ attackiert, Átlátszó wurde gar als „Risiko für die nationale Sicherheit“ bezeichnet. Der Vorwurf: Sie bekommen oder bekamen Geld aus den USA – was als Versuch der Einflussnahme im Ukrainekonflikt ausgelegt wird, weil die USA Orbáns Pro-Putin-Kurs kritisch sehen.

Viele ungarische Medien stellten in den vergangenen Jahren den Betrieb ein, und viele Jour­na­lis­t:in­nen gaben und geben ihren Beruf auf. Angesichts der „Verwüstungen“ des politischen Systems habe Weitermachen für ihn „keinen Sinn mehr“, schrieb etwa Roland Baksa, der ehemalige Wirtschaftsressortchef des Portals HVG und Investigativjournalist der eingestellten Népszabadság, als er im April 2022 seinen Rückzug ankündigte. Korruption, ignorierte Anfragen, öffentliche Diffamierungen, Gerichtsverfahren gegen Journalisten – dass es so weitergehen werde, sei „erschreckend“. Und die Propaganda zeige Wirkung: Die Wiederwahl Orbáns im April 2022 habe gezeigt, dass „eine Mehrheit kein Problem mit der Richtung hat, in die die Dinge in diesem Land gehen“.

Dieser Bericht ist Teil des Rechercheprojekts „Decoding the disinformation playbook of populism in Europe“, das vom International Press Institute in Wien geleitet und in Zusammenarbeit mit Faktograf und taz durchgeführt wird. Das Projekt wird von dem European Media and Information Fund finanziell unterstützt, der von der Calouste-Gulbenkian-Stiftung verwaltet wird.