Kenneth Anger ist tot

„A film by Anger“. Diese handgeschriebenen Zeilen liefen 1947 als Vorspann zu „Fireworks“ über die Leinwand. Der Schöpfer dieses hemmungslos schwulen, dekadenten, kunstvollen wie selbstironischen Films, in dem sich der junge Protagonist tagträumerisch von muskulösen Matrosen verprügeln lässt und am Ende mit einer Flasche Schampus als Riesenphallus Glanz und Gloria verspritzt, bescherte der Welt seitdem unzählige Kunstwerke auf Zelluloid.

Kenneth Anger wurde als Kenneth Wilbur Anglemyer 1927 in Santa Monica geboren. Die Produktionsstätten der neuen Traumfabriken Hollywoods lagen nicht weit entfernt.

„Fireworks“ brachte ihm eine Einladung von Jean Cocteau nach Paris ein. Mehrere Jahre verbrachte Kenneth Anger in Europa. In Paris schrieb er ein Buch, das später zum Bestseller wurde: „Hollywood Babylon“.

Zurück in den USA, handelten seine Filme weiter vom (männlichen) Begehren – neben Pop- und Subkultur, alten und neuen Mythen, Warenfetisch und menschlicher Urangst. Angers bis 1966 längstes Werk „Lucifer Rising“ erzählt eine hypnotische Reise vom Epizentrum des New Age in Kalifornien über die westfälischen Externsteine an den Nil.

Kenneth Anger lieferte Avantgarde in jeglicher Hinsicht: Gay Cinema und Underground, Okkultismus, Mediensatire – tauchte alles auf, weit bevor es Einzug in den Filmmainstream erhielt. Die Vermählung aus Popmusik und Film? Hat er schon in den 50ern vorweggenommen. Generationen an Fil­me­ma­che­r:In­nen zehrten von seiner Ästhetik. Seine Filme folgten stets dem Credo: Je mehr Oberfläche, umso mehr Abgrund.

Nach zwanzigjähriger Schaffenspause zeigte Anger neue Werke: 2005 über Micky Mouse („Mouse Heaven“), 2012 über Zeppeline („Airships“). In den letzten zehn Jahren bespielte er auch große Galerieausstellungen.

Der ungeheuerlichste Filmemacher der Welt ist, wie jetzt bekannt wurde, am 11. Mai im kalifornischen Yucca Valey im Alter von 96 Jahren gestorben.

Gekürzte Fassung eines Texts von Katharina J. Cichosch in der taz zu Angers’95. Geburtstag