Valérie Catil Schnelle Brille
: Der Briefkasten meines Hinterkopfs quillt über

Foto: privat

Warum antwortest du mir nicht? Ich kann es nicht leiden, wenn Leute mitten im Gespräch die Kommunikation abbrechen. Opa sagt übrigens, dass du nie antwortest. Hätte gerne eine Antwort auf meine Frage. Krieg ich eine Antwort??? Alles gut, hatte keine Antwort erwartet.

Das sind einige Ausschnitte aus meinen Nachrichten. Dazwischen fast täglich mein ewiges „Tut mir leid, habe vergessen zu antworten.“ Oder ein kleiner Geheimtrick in der Selbstmanipulation: „Ich antworte später“, statt den Platz einfach für eine echte Antwort zu nutzen.

Die Prämisse, dass all die Apps, sozialen Medien und Nachrichtenplattformen dazu da sind, um sich besser mit anderen zu vernetzen, trifft für mich nicht zu. Meine Bildschirmzeit ist, wie es sich für jemanden aus der Gen-Z gehört, nicht gerade niedrig, doch Nachrichten verursachen bei mir Panik.

Und damit bin ich nicht allein. Eine zu große Informationsmenge kann Nutzer_innen überfordern und verringert somit die Wahrscheinlichkeit einer Reaktion, erklärt eine Studie von 2020.

Auf meinem Bildschirm entsteht ein Informationsgemenge: Eine Geburtstagsgruppe auf WhatsApp, die nach ein paar Minuten vollgespammt ist. Ein Kommilitone, der meint, WhatsApp sei nicht sicher, und darauf besteht, Signal zu benutzen. Signal benutzt keiner, deswegen eine Telegram-Gruppe für die WG. Dazu kommen Facebook für ältere Familienmitglieder, Instagram, Twitter und so weiter.

Trotzdem liegt mein Versäumnis, Nachrichten zu beantworten, nicht etwa daran, dass ich übermäßig viele Freund_innen habe, die ständig etwas von mir wollen. Auch wenn nicht viele Nachrichten bei mir ankommen, verursachen die, die es tun, eine Antwort-Paralyse.

Mich ärgert es natürlich auch, wenn mir jemand nicht antwortet. Dieses Wissen hilft mir allerdings nicht dabei, anderen Leuten das Ärgernis zu ersparen. Es ist ein Teufelskreis.

Der Stress fängt an, wenn eine Benachrichtigung eintrifft, die mehr als einen Daumen hoch als Zur Kenntnisnahme erfordert. Beantworte ich später, denk ich mir. Sehr lustig, im Moment danach. Aber die Antwort-Paralyse hat schon eingesetzt. Dann beginnt das Schuldgefühl.

nächste Woche schreibt Erica Zingher die Wechsel­kolumne ­„Grauzone“

Ich ignoriere die Nachrichten nicht einmal, um sorglos und unerreichbar zu sein. Nein, solange ich sie nicht beantworte, kommen sie mir immer und immer wieder in den Sinn. Wie kleine Briefchen liegen sie im Briefkasten meines Hinterkopfs und machen den immer schwerer, bis die angestaute Schuld überwiegt und ich versuche, die Lähmung zu überwinden – oft vergeblich.

Noch schlimmer ist das, was ich intuitives Antworten nenne. Das ist, wenn ich in der Panik merke, dass eine Antwort von mir verlangt wird, und ich diese dann im Autopilot versende. Stunden später schaue ich mir den Verlauf an: „Bin übers Wochenende krank geworden.“ Ich: „Nice.“ Dann drei fette und berechtigte Fragezeichen von der anderen Person. Ich kann mich nicht erinnern, das getippt zu haben. Hätte besser vielleicht gar nichts geschrieben.

„Da es immer mehr zur Norm wird, später zu antworten, befinden sich Personen ständig mit einem Rückstand, auf den sie reagieren müssen“, besagt die oben erwähnte Studie.

Nachrichten verursachen bei mir Panik

Oft lasse ich so viele Nachrichten ins Netz laufen, bis ich den Eindruck habe, es würde sich jetzt lohnen, sie zu beantworten. Dann nehme ich mir ein paar Stunden Zeit, gehe auf alles fürsorglich ein und fühle mich wie ein neuer Mensch, frisch aus dem Ei gepellt.

Doch die, denen ich da antworte, sind von keiner Antwort-Paralyse betroffen. Schon bald kommen die ersten Antwortantworten: Mein Handy pingt, mein Bildschirm leuchtet auf, immer und immer wieder, und das Spiel beginnt von vorne.