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Meloni erhöht den Druck

Am Sonntag besuchten Italiens Ministerpräsidentin Meloni und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gemeinsam Lampedusa. Von der Leyen versprach Italien die geforderte Hilfe – wie die genau umgesetzt werden soll, ist aber unklar

Ein kleines Boot voller Menschen fährt in Richtung Küste. Dort angelt ein Mann

Allein von Dienstag bis Freitag sind rund 11.000 Menschen auf Lampedusa angekommen Foto: Alessandro Serranò/imago

Aus Rom und Brüssel Michael Braun
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ndEric Bonse

Am Sonntag wurden die Flüchtlinge, die gegenwärtig auf Lampedusa ausharren, endgültig zum europäischen Thema. Während EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gemeinsam mit Italiens Ministerpräsidentin die kleine Mittelmeerinsel besuchte, deren Erstaufnahmelager aus allen Nähten platzt, empfing Melonis Stellvertreter Matteo Salvini praktisch zeitgleich seine Freundin Marine Le Pen auf einer Großveranstaltung der radikal fremdenfeindlichen Partei Lega.

Melonis und Salvinis Aktionismus ist schnell erklärt: Italiens rechtspopulistische Regierung hat ein doppeltes Problem – ein logistisches und ein politisches. Allein von Dienstag bis Freitag trafen rund 11.000 Menschen auf der Insel ein; die meisten waren auf kleinen Kähnen von Tunesien aus in See gestochen. Das Aufnahmelager kann jedoch regulär nur 400 Personen beherbergen. Zwar wurden bis Sonntag etwa 10.000 Menschen nach Sizilien gebracht, doch immer noch halten sich 1.500 Menschen im Camp auf.

Das politische Problem: Im Wahlkampf vor einem Jahr hatten Meloni und Salvini versprochen, unter ihrer Regierung sei „die Party vorbei“ für „illegale Flüchtlinge“. Die Rechte werde unterbinden, dass weitere Geflüchtete nach Italien kämen, zur Not auch mit der von Meloni gewollten „Seeblockade“.

Doch allein in diesem Jahr kamen bereits 127.000 Menschen über das Mittelmeer, fast doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum – und die Rechtsparteien werden zunehmend nervös. Deshalb erhöht Meloni den Druck in Europa, und von der Leyen eilte ihr umgehend zu Hilfe. Sie besuchte zuerst das Aufnahmelager, dann die Hafenmole, an der die Boote aus Tunesien anlegen. Einen unmittelbaren Eindruck bekam sie auch vom Protest aus der Inselbevölkerung, als ihr Konvoi kurz von einer kleinen Demonstration aufgehalten wurde, denn unter den Lampedusanern geht die Furcht um, die Regierung wolle dort ein weiteres großes Zeltlager errichten und so das Eiland in eine „Gefängnisinsel“ – so einer der Sprecher – verwandeln.

Auf der folgenden Pressekonferenz wiederholte Meloni, was sie schon an den Vortagen verkündet hatte: Europa, nicht bloß Italien, müsse darauf hinwirken, dass keine weiteren Bootsflüchtlinge nach Lampedusa kämen, auch unter gemeinsamem Einsatz europäischer Marineeinheiten.

Da ist sie wieder: die Seeblockade. Von der Leyen gab sich gesprächsbereit. Natürlich sei die Flüchtlingskrise „eine europäische Aufgabe“, natürlich könne Frontex Italien stärker unterstützen, natürlich müsse gemeinsam an der Unterbindung des „brutalen Geschäfts der Schleuser“ gearbeitet werden, natürlich müsse Europa sich stärker auch bei der Repatriierung jener Menschen engagieren, deren Fluchtgründe nicht anerkannt werden.

Italien hat ein doppeltes Problem – ein logistisches und ein politisches

Von der Leyens Rhetorik verwundert nicht. Die EU-Kommissionspräsidentin ist in der Pflicht: Sie hat im Juli den sogenannten Tunesien-Deal gemeinsam mit Meloni ausgehandelt und Solidarität mit Italien proklamiert. Der Deal verpflichtet Tunesien zu verhindern, dass Flüchtende überhaupt Richtung Italien aufbrechen und jene, die es doch tun, wieder zurückholt. Nun muss von der Leyen beweisen, dass sie zu ihrem Wort steht. Doch das wird schwierig. Denn das Abkommen mit Tunis ist noch nicht in Kraft; und so ist auch noch kein Geld nach Tunesien geflossen.

Erschwerend kommt hinzu, dass auch der neue europäische Asylpakt auf sich warten lässt. Der Pakt, auf den sich die EU-Innenminister vor der Sommerpause verständigt haben, sieht mehr Härte an den Außengrenzen, aber auch etwas mehr Solidarität zwischen den EU-Staaten vor. Doch die abschließenden Verhandlungen im Europaparlament stehen noch ganz am Anfang. In ihrer Rede zur Lage der EU am vergangenen Mittwoch in Straßburg appellierte von der Leyen an die Abgeordneten, den Weg freizumachen. Doch das Parlament will sich nicht drängen lassen.

Deshalb muss die EU improvisieren. Der Blitzbesuch von der Leyens auf Lampedusa ist genauso improvisiert wie eine Telefonkonferenz der Innenminister aus Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien am Samstag. Das Gespräch brachte kein Ergebnis und soll am Montag fortgesetzt werden.

Wie die Unterstützung der EU praktisch umgesetzt werden soll, blieb am Sonntag unklar. Vor Tunesiens oder Libyens Küste könnten europäische Marineschiffe nur auftauchen, wenn die Südanrainerstaaten das billigen – anderenfalls wäre der Einsatz schlicht ein kriegerischer Akt. Nicht viel anders sieht es bei den Rückführungen aus: Auch hier ist die Kooperation der Herkunftsstaaten unabdingbar. Letztes Jahr hat Italien gerade einmal 3.000 Personen zurückgeschickt. Schneller wird es auch nicht gehen, wenn Melonis Kabinett wie geplant am Montag die Verlängerung der Abschiebehaft von 12 auf 18 Monate und den Bau weiterer Abschiebelager verabschiedet.

Salvini verfolgt derweil seine eigene Agenda. Auf seiner Lega-Großkundgebung am Sonntag war Marine Le Pen zu Gast – jene Le Pen, die die Einbindung der EU in die Migrationspolitik für „gefährlich“ hält, weil das heiße, „dass der EU zusteht, über unsere Migrationspolitik zu entscheiden“. Offenkundig zielt Salvini darauf, Meloni mit rüder Anti-Immigrations-Rhetorik koalitionsintern von rechtsaußen Konkurrenz zu machen; schließlich wird im Juni 2024 das Europäische Parlament neu gewählt.