Hannover will Stadt der Fußgänger werden

Der grüne Oberbürgermeister Belit Onay will Niedersachsens Metropole „nahezu autofrei“ machen. Doch was braucht es, um eine City umzukrempeln?

Eine Visualisierung wie Hannovers Steintorplatz künftig aussehen könnte

Zukunftskonzept für den zentralen Steintorplatz Foto: Ole Spata/dpa

Von Nadine Conti

Zumindest verbal hat er ja schon ein bisschen abgerüstet. Hannovers grüner Oberbürgermeister Belit Onay spricht viel seltener von „autofrei“ als noch im Wahlkampf 2019. Obwohl er mit genau diesem Versprechen gewählt worden ist: einer autofreien Innenstadt.

Das Konzept ließ ein Weilchen auf sich warten, doch jetzt liegt es vor. „Nahezu autofrei“ soll Hannovers Innenstadt bis 2030 werden. Dafür sollen Fußgänger, Radfahrer, Busse und Bahnen konsequent Vorrang erhalten.

Im Kern setzt Hannover dabei auf eine Strategie, mit der gerade viele europäische Städte versuchen, ihre kränkelnden Konsummeilen zu revitalisieren: Mehr Aufenthaltsqualität, mehr Gastronomie, mehr Kultur, mehr Grün.

Hannover, glaubt Onay, könnte dabei einmal mehr eine Vorreiterrolle einnehmen. Zum Vorteil könnte für die Stadt ausgerechnet das Vorbild von vor-vorgestern werden. Zur „autogerechten Stadt“ baute Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht Hannover in den fünfziger Jahren um. Was die Bombenhagel vom historischen Stadtkern übrig gelassen hatten, fiel unter ihm dem Straßen- und U-Bahnbau zum Opfer. Dafür hat Hannover nun einen Stadtkern, der konsequent von einem sechsspurigen Cityring umschlossen wird.

Wenn es nach Onay geht, soll der Cityring künftig die Grenze für stadtfremde PKW bilden. Von da aus geht es über fünf „Erschließungsstiche“ nur noch ins Parkhaus und zurück. Keine Schleichwege durch die City mehr, kein endloses Gekurve durch Seitenstraßen auf der Suche nach einem Parkplatz. Diese sollen nämlich konsequent zurück gebaut werden – zugunsten von breiteren Gehsteigen und Radwegen, fließenden, barrierefreien Übergängen zu prächtigen Flanier- und Spiel- und Sitzmeilen.

„Nahezu autofrei“ heißt das Konzept aber auch, weil es natürlich ein halbes dutzend Ausnahmen gibt: Für Lieferverkehr, für Mobilitätseingeschränkte, für Anwohner und Arbeitnehmer, die private Stellplätze ansteuern – das dann aber bitte schön nur noch mit 20 bis 30 Stundenkilometern. Schneller da wären sie ja trotzdem noch, glauben Onay und sein Stadtbaurat Thomas Vielhaber (SPD), immerhin müssten sie mit weniger Autos konkurrieren.

Überhaupt versuchen die beiden Lokalpolitiker alles, um zu verhindern, dass sich die Debatte immer wieder auf dieses „Autos – ja oder nein“ verengt, zeichnen Fußgängerrouten und ÖPNV-Netze nach, verweisen auf das im Ausbau befindliche Radwegenetz. Aber am Ende landet die Debatte trotzdem immer bei dieser Frage. Von einer „ideologisch motivierten, einseitigen Verbannung des Autos“ spricht die CDU-Opposition und wettert: „Onay setzt die Axt an die Zukunftsfähigkeit der Innenstadt“.

So verstehen sich die Konservativen in erster Linie als Fürsprecher der Speckgürtel- und Umlandbewohner, die gern mit dem Auto nach Hannover pendeln – obwohl das bisher ja auch schon Grenzen hatte. Immerhin redet man hier von jenen 2,5 bis 3 Quadratkilometern Innenstadtfläche, die auch jetzt schon zu weiten Teilen aus Fußgängerzonen bestehen.

Der Koalitionspartner SPD befindet sich dagegen in einem heiklen Dilemma: Einerseits hat ihr Stadtbaurat an dem Konzept mitgearbeitet, bei der wahlberechtigten Stadtbevölkerung scheint es Sympathien für das Anliegen zu geben – sonst hätte Onay nicht gewonnen. Andrerseits möchte man dem Grünen das Rathaus bei der nächsten Wahl 2026 gern wieder aus der Hand nehmen. Aber wie soll man an Profil gewinnen, indem man grüne Schlüsselprojekte unterstützt?

Der Koalitionspartner SPD befindet sich in einem heiklen Dilemma

Im Detail wird ohnehin noch viel zu debattieren sein. Onay wirbt jetzt um Unterstützung für das Gesamtkonzept, aber jede einzelne Baumaßnahme wird dann auch noch die Ratsgremien durchlaufen müssen. Für etliche Einzelmaßnahmen hat die Stadt schon Fördermittel aus Bundesprogrammen eingeworben. Insgesamt sind es rund 20 Millionen Euro. Der Bürgermeister spricht von einem der größten Förderpakete der letzten Jahrzehnte.

Doch vieles hat er eben auch nicht allein in der Hand: Die Stadt ist darauf angewiesen, dass andere nachziehen, Gewerbetreibende wie Nutzer sich die gewonnenen Flächen tatsächlich zu Nutze machen. Bei Onays „Experimentierräumen“ – den temporären Platz- und Straßensperrungen, mit denen alternative Nutzungen erfahrbar gemacht werden sollten – war das immer ein großes Thema. Jede freibleibende Bank beim Straßenfest, jedes nicht rund um die Uhr bespielte Turngerät, jeder traurig aussehende Blumenkübel wurde von den Skeptikern aufmerksam regis-triert, nach dem Motto: Siehste, funktioniert ja nicht.

Auch die Planung des öffentlichen Nahverkehrs liegt nicht mehr in den Händen der Stadt – hier ist die SPD-dominierte Region am Zug. Die verkündet zwar auch ehrgeizige Ausbaupläne, störte den sorgsam choreografierten öffentlichen Auftakt für das Mobilitätskonzept aber auch gleich einmal mit der Ankündigung, die Ticketpreise deutlich erhöhen zu wollen.