Zwischen Solidarität und Diplomatie

Während Kanzler Olaf Scholz (SPD) in Tel Aviv landet, wählt US-Präsident Joe Biden mahnende Worte vor seinem eigenen Besuch am Mittwoch. Zu besprechen gibt es einiges

Aus Tel Aviv und Berlin Anna Lehmann
und Bernd Pickert

„Unsere Solidarität erschöpft sich nicht in leeren Worten“, hatte Olaf Scholz vergangene Woche im Bundestag angekündigt. Nur fünf Tage später ist der Bundeskanzler am Dienstag in Israel gelandet. Ein Besuch, der vor allem dazu diene, „die Solidarität mit Israel ganz praktisch zum Ausdruck zu bringen“, wie Scholz einen Tag zuvor in der albanischen Hauptstadt Tirana offiziell bestätigt hatte. Der Besuch war kurzfristig und klandestin geplant worden. Scholz ist unter den ersten Staatschefs, die Israel seit dem tödlichen Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober besuchen. Es ist eine Ouvertüre für den weitaus wichtigeren Gast, der einen Tag später in Israel landet, der US-amerikanische Präsident Joe Biden.

In Tel Aviv trifft sich Scholz mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, mit Präsidenten Jitzchak Herzog und mit Oppositionspolitiker Benjamin Gantz, nun Minister im Kriegskabinett. Am Mittwochmorgen ist Scholz in Ägypten mit Präsident Abdel Fattah al-Sisi verabredet.

Zu besprechen gibt es einiges. Da wäre zum einen die Sicherheitslage in Israel und die Organisation konkreter humanitärer Hilfe für die Menschen im Gazastreifen, unter ihnen auch Menschen mit deutschem Pass. Zum anderen geht es um den Versuch zu verhindern, dass der Konflikt auf den gesamten Nahen Osten und Nordafrika übergreift. Thema werden aber auch die deutschen Geiseln sein, die die Hamas gekidnappt und verschleppt hat. Das Auswärtige Amt spricht von 8 Fällen, die aber mehrere Mitglieder einer Familie umfassen können. Scholz trifft ihre Angehörigen am Abend in Tel Aviv unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Der Besuch des Bundeskanzlers fällt mit den Vorbereitungen der israelischen Armee für eine Bodenoffensive in Gaza zusammen. Israel hat angekündigt, die Hamas zu zerstören. Die Angst, dass dabei aber auch sehr, sehr viele Zivilisten und die verschleppten Geiseln sterben könnten, ist groß. Im Raum steht auch die Frage, wie es danach weitergeht. Israel hat bislang nicht erklärt, was passiert, wenn die Strukturen der Hamas zerschlagen sind, wer Gaza verwalten und wer dort wohnen soll.

Obwohl Scholz auch vor seinem Besuch noch einmal betonte, dass Israel jedes Recht habe sich zu verteidigen, werden die Sorgen der Angehörigen sicher nicht ohne Eindruck auf den Kanzler bleiben. Auch US-Präsident Biden rät Israel zur Vorsicht. In einem Interview mit dem US-Sender CBS warnte er vor einer erneuten Besatzung des Gazastreifens und betonte, dass die Hamas „nicht das gesamte palästinensische Volk“ repräsentiere. Zwar müsse die extremistische Organisation vollständig zerstört werden, doch er sagte zugleich: „Es muss einen Weg zu einem palästinensischen Staat geben.“

Um das Leben der Geiseln und der Menschen in Gaza zu retten und zu verhindern, dass ein neuer Zyklus von Gewalt die ganze Region in den Abgrund reißt, scheut Scholz auch nicht den Austausch mit Despoten, vorzugsweise mit solchen, die gute Kontakte zur Hamas haben, wie eben Ägyptens Staatschef al-Sisi.

In der vergangenen Woche bewirtete der Kanzler bereits den Emir von Katar zum Mittagessen, und bevor er sich am Dienstag nach Israel aufmachte, empfing Scholz den jordanischen König Adullah II. bin al-Hussein zum Frühstück im Kanzleramt. Nach dem Treffen mit Abdullah erklärte Scholz, beide Länder verfolgten das Ziel, einen Flächenbrand in der Region zu verhindern. Er warnte im Beisein Abdullahs erneut „ausdrücklich die Hisbollah und den Iran, nicht in den Konflikt einzugreifen“.

US-Präsident Biden verfolgt ähnliche Ziele, hat aber als auch militärisch wichtigster Partner Israels ungleich mehr Gewicht. Um der Forderung an Hisbollah und den Iran Nachdruck zu verleihen, sich aus dem Konflikt herauszuhalten, haben die USA bereits zwei Flugzeugträger und Kriegsschiffverbände ins östliche Mittelmeer gesandt – von dort aus könnten Hisbollah-Stellungen im Libanon genauso erreicht werden wie Ziele im Iran selbst.

Bidens Außenminister Antony Blinken ist schon seit Tagen in einem diplomatischen Flugmarathon in der Region unterwegs. Sein Ziel: Den Grenzübergang zwischen Gaza und Ägypten für die Hilfslieferungen nach Gaza in der einen Richtung und für die Ausreise US-amerikanischer Staats­bür­ge­r*in­nen in der anderen Richtung zu öffnen. Am Montag schien das schon erreicht: Hunderte Ausreisewilliger sammelten sich am Grenzübergang, wo auf ägyptischer Seite seit Tagen Lastwagen mit Hilfsgütern Schlange stehen. Der aber blieb zu, der Deal scheiterte.

Bidens Reise wurde erst am Montagabend am Ende einer siebeneinhalbstündigen Sitzung zwischen israelischen und US-amerikanischen Verhandlern in Tel Aviv verkündet, nachdem – zumindest nach US-Lesart – ein humanitäres Hilfspaket für Gaza vereinbart war. Wie das allerdings aussieht, ist bislang unbekannt.

In den USA selbst mehren sich die Stimmen von Expert*innen, die vor unkontrollierbaren politischen, humanitären und politischen Folgen einer israelischen Bodenoffensive in Gaza warnen. Es sind Stimmen, die in der Biden-Administration gehört werden. Dass während der zweitägigen Reise des US-Präsidenten nach Israel und anschließend Jordanien nirgends eine Pressekonferenz angesetzt ist, spricht dafür, dass Biden hinter verschlossenen Türen Klartext reden dürfte.

Dabei wird es auch um das Schicksal der von Hamas in den Gazastreifen verschleppten Geiseln mit US-amerikanischem Pass gehen. John Kirby, der Sprecher des Weißen Hauses, erklärte gegenüber Reportern am Montagabend, Biden wolle sich während seiner Reise ein möglichst sehr genaues Bild von der Lage der Geiseln machen. Was daraus allerdings folgt, dürfte der Öffentlichkeit verborgen bleiben: „Wir werden den Israelis keine Bedingungen oder Operationsrichtungen diktieren“, sagte Kirby.

In Jordanien will Biden anschließend nicht nur den König Abdullah II. treffen, sondern auch Ägyptens Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi und den Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas. Will Biden sie als aktive Partner für den Kampf gegen die Hamas einerseits und gegen die Eskalation des Konfliktes andererseits gewinnen, müsste er etwas anzubieten haben. Was das allerdings derzeit sein könnte, ist unklar. Mit Ägyptens Präsident al-Sisi hat Biden nach Angaben des Weißen Hauses schon am Montag telefoniert. Aber der letztlich doch gescheiterte Deal zur Öffnung des Grenzübergangs zeigt, dass die diplomatischen Hürden weiterhin sehr hoch sind.