Thriller „Der Killer“ im Kino: Yoga, Amazon und Mord

David Finchers Kino-Thriller „Der Killer“ hat eine eiskalt handelnde Hauptfigur. Diese reflektiert über Sinn und Unsinn des Handwerks des Tötens.

Michael Fassbender als der titelgebende Killer sitzt auf einer Reiseyogamatte.

Mit der richtigen Haltung bei der Arbeit: Michael Fassbender als der titelgebende Killer Foto: Netflix

Womöglich muss man sich den perfekten Auftragskiller als Jedermann vorstellen. Oder wie einen deutschen Touristen in beigefarbener Funktionskleidung und Fischerhut, um den auf den Straßen von Paris die stilbewussten Bewohner intui­tiv einen Bogen machen, „wie der Rest der Welt Straßenpantomimen meidet“. So drückt es der Protagonist in David Finchers Thrillerdrama „Der Killer“ aus, der in sardonischem Ton sein Handeln aus dem Off kommentiert.

Der namenlose Attentäter, den Michael Fassbender in stoi­scher Präzision verkörpert, ist in die französische Hauptstadt gereist, um einen Auftrag zu erledigen. Und wenn es nach Fincher geht, ist dieser Job einer der langweiligsten der Welt. Tagelang harrt er in einem leerstehenden Büro aus, beobachtet eine Suite auf der anderen Straßenseite, wo sich sein Zielobjekt eingemietet hat.

Geduldig wartet er auf dessen Erscheinen, um ihn mit seinem Präzisionsgewehr zur Strecke zur bringen. Stundenlang sitzt er regungslos auf einem Stuhl, wenn er kurz rausgeht, um bei einer globalen Fastfoodkette Essen zu holen, taucht er in seinen Normcore-Klamotten in der Menge unter. Ansonsten vertreibt er sich die Zeit mit Yoga, misst ständig seinen Puls auf der Smartuhr, hochkonzentriert auf den richtigen Moment lauernd.

Dabei helfen ihm auch seine Mantras „Bleib beim Plan. Schau voraus. Improvisiere nicht.“ Routine und Fokus. Null Empathie. Und dann macht er im entscheidenden Augenblick doch einen Fehler, ist für eine Nanosekunde unaufmerksam und erschießt nicht den Typen, sondern trifft die Sexworkerin, die mit diesem in die Suite gekommen ist.

„Der Killer“. Regie: David Fincher. Mit Michael Fassbender, Tilda Swinton u. a. USA 2023, 118 Min. Läuft im Kino, ab 10. 11. auf Netflix

Plötzlich muss alles sehr schnell gehen, ohne eine Miene zu verziehen verwischt der Killer seine Spuren, verschwindet mit Motorradhelm an Sicherheitskameras vorbei vom Tatort, flieht mit geklautem Scooter aus dem Stadtzentrum, wechselt in einem Tankstellenklo Kleidung und Identität. Und tatsächlich schafft er es am Flughafen durch die Security und sitzt schließlich, unter falschem Namen, in der Maschine Richtung Dominikanische Republik, in sein Luxusversteck am anderen Ende der Welt, inmitten einer anderen Touristenhochburg.

Wechsel zum Rache­drama

Doch andere waren schneller als er, seine Freundin wurde brutal überfallen, liegt im Koma. Und Finchers Film wird ab dieser Station zum Rache­drama, das den bislang so stoi­schen Killer auf der Jagd nach den Verantwortlichen bald um die halbe Welt jagen lässt. In teils recht heftigen Begegnungen nimmt er sein verräterisches Auftragsnetzwerk ins Visier, vom strippenziehenden Anwalt bis zur Grand Dame im Hintergrund (die unvergleichliche Tilda Swinton in einem hübschen Gastauftritt).

Da sein namenloser Antiheld als kühler Rationalist und Einzelgänger, der effizient und scheinbar emotionslos seine Arbeit macht, nicht greifbar ist, konzentriert sich Fincher konsequent auf das Prozedere und die Abläufe. Das ist sehr geschmeidig und stylish, aber auch recht konventionell inszeniert. Weite Teile des Films ist es der Killer selbst, der als Erzählstimme über Sinn und Zweck seiner Arbeit monologisiert, dabei die ewig gleichen Mantras herunter­betet.

Das spickt Fincher mit bösem Witz, von der Killer-Playlist (er hört The Smiths auf Dauerschleife) über kleine Spitzen gegen das einst gehypte, dann abgestürzte Start-up WeWork, die Superhosts von Airbnb und ihren Überwachungskameras bis zum Bestellen von Mordutensilien bei Amazon, die er sich in die nächstgelegene Packstation liefern lässt. Der Killer als Dienstleister in einer Dienstleistungswelt.

Produziert mit Netflix

David Fincher nennt seinen Film nicht nur aus Ermangelung eines Namens konsequent „Der Killer“, sondern auch weil er auf einer gleichnamigen Vorlage beruht, der französischen Reihe von Comicalben des Szenaristen Alexis Nolent (unter seinem Künstlernamen Matz) und dem Zeichner Luc Jacomon. Die Vorlage ist auch dem Film anzumerken, in der narrativen Struktur ebenso wie dem sardonischen Offkommentar. Das Obsessive hatte er schon in anderen Serienmörderthrillern seziert, 1995 in „Sieben“ und 2007 in „Zodiac“, da allerdings das der Ermittler, die sich akribisch in die Aufklärungsarbeit stürzten.

Hier ist es die Comicvorlage selbst, die zu Finchers Obsession wurde. Jahre hatte er versucht, daraus einen Studiofilm zu machen, schon 2007 wollte er den Stoff mit Brad Pitt in der Titelrolle verfilmen, fand aber keine Geldgeber. Nach der Filmbiografie „Mank“ über den Hollywood-Drehbuchautor Herman Mankiewicz, die er 2020 für Netflix inszenierte und dafür zehn Oscarnominierungen erhielt, konnte er nun mit dem Streamingdienst und einem neuen Hauptdarsteller das Projekt umsetzen.

Nach kurzem Kinoeinsatz wird „Der Killer“ im November online verfügbar sein. Und trotz manch intendiert ermüdenden Handlungsverlaufs versteht Fincher bis zum Schluss die Spannung zu halten, dank einer reduziert und eiskalt agierenden Hauptfigur, die nichts Glamouröses hat, sondern in ihren zwanghaft akkuraten Ritualen ein ins Extrem gedrehter Jedermann und gerade deshalb so verstörend ist.

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