Vorwärts immer, rückwärts nimmer?

Ob in Deutschland, Spanien oder Griechenland – die Linke steckt in der Krise. Die Europawahlen im Juni sind entscheidend für ihre Zukunft

Flagge zeigen: Ein Mitglied der kommunistischen Parteijugend protestiert im März 2023 in Athen gegen die griechische Regierung Foto: Louiza Vradi/reuters

Von Pascal Beucker

Ob sich das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) nach der Europawahl der Linksfraktion in Straßburg anschließen will? Fabio De Masi, der designierte Spitzenkandidat, winkt ab. Die neue Partei verstehe sich nicht als links, auch wenn er selbst aus einer politischen Traditionslinie komme, „die im weitesten Sinne links ist“, sagt der frühere Europa- und Bundestagsabgeordnete der Linkspartei. Außerdem sei er sich „nicht einmal sicher“, ob es die Linksfraktion in der kommenden Legislaturperiode überhaupt noch geben werde, spöttelt er. Auch auf der europäischen Ebene wollen Wagenknecht und ihre Getreuen mit den einstigen Ge­nos­s:in­nen offensichtlich nicht mehr viel zu tun haben. „Aber vielleicht findet sich ja auch etwas Neues“, sagt De Masi bei der Präsentation des BSW am Montag vergangener Woche in Berlin.

Schon jetzt ist die Linke mit 38 Abgeordneten aus 13 Ländern die kleinste Fraktion im Europaparlament (EP). Dass sie nicht mal das mehr nach der Wahl im Juli schafft, ist allerdings unwahrscheinlich. Eine Fraktion muss mindestens 23 Abgeordnete aus mindestens sieben Mitgliedstaaten umfassen. Dafür dürfte es weiterhin reichen. Aber dass sich die Parteien links der Sozial­demokratie in einer schweren Krise befinden, lässt sich nicht bestreiten. Und zwar ausgerechnet dort, wo sie einst ihre Hochburgen hatten.

In Deutschland kämpft die Linkspartei ums Überleben. Mit Parteichef Martin Schirdewan und der 35-jährigen parteilosen Klimaaktivistin und Seenotretterin Carola Rackete an der Spitze hofft sie, dass die EU-Wahl die Trendwende bringt. Denkbar ist aber auch der Absturz ins Bodenlose. Mit 5 Abgeordneten wird sie jedenfalls wohl nicht mehr ins Parlament einziehen.

„Wir stehen alle vor ähnlichen Herausforderungen“

Martin Schirdewan, Chef der Links­fraktion im Europäischen Parlament

Noch dramatischer werden dürfte es für Podemos in Spanien. Denn die Linke in Spanien ist in einem heftigen Umbruchprozess. Zuerst hat sich Podemos gespalten, dann ist das Bündnis mit der Izquierda Unida, der Vereinigten Linken, zerbrochen. Bei den spanischen Parlamentswahlen durfte Podemos zwar noch beim Wahlbündnis Sumar dabei sein. Die EP-Wahl könnte jedoch das Ende für die einstige linkspopulistische Hoffnungsträgerin nicht nur auf der EU-Ebene bedeuten. Aber zumindest wird es weiter Spa­nie­r:in­nen in der Linksfraktion geben.

Rechts abgebogen wie die dänischen Sozis: Ex-Linke Sahra Wagenknecht und Getreue kurz nach Partei­gründung Foto: Hans Christian Plambeck/laif

Sicher ist, dass die griechische Syriza nicht mehr mit 6 Abgeordneten im EP vertreten sein wird. Wobei noch nicht ausgemacht ist, ob ihre Reste sich dann überhaupt wieder der Linksfraktion anschließen werden. Unter Parteichef Alexis Tsipras war Syriza bei der Wahl 2019 mit 23,8 Prozent die mit Abstand erfolgreichste Linkspartei in der EU. Doch inzwischen kann sie froh sein, wenn sie noch die Hälfte dieses Ergebnisses erzielt und nicht hinter der poststalinistischen Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) landet. Denn mit der Urwahl des 35-jährigen griechisch-amerikanischen Geschäftsmanns Stefanos Kasselakis zum neuen Vorsitzenden Syrizas war ein radikaler politischer Kurswechsel ins diffus Liberale verbunden, der zur Spaltung der Partei geführt hat. Auch in der EP-Fraktion, wo 4 der 6 Abgeordneten Syriza inzwischen verlassen haben – darunter Dimitrios Papadimoulis, einer der Vizepräsidenten des EP. Ob es den Be­wah­re­r:in­nen der linken Tradition um Ex-Arbeitsministerin Effie Achtsioglou und Ex-Finanzminister Euklid Tsakalotos gelingen wird, mit einer neuen Linkspartei erfolgreich zu sein, ist völlig offen. Und die KKE? Die ist und bleibt seit ihrem Austritt aus der Linksfraktion 2014 eine autonome Einheit, ohne jegliche Anschlussfähigkeit zu irgendwem.

„Natürlich sind solche Spaltungsprozesse, wie sie sich in Griechenland oder auch in Spanien vollzogen haben, absolut fatal“, sagt der deutsche Linken-Chef Martin Schirdewan, der auch gemeinsam mit der Französin Manon Aubry der EP-Linksfraktion vorsteht. „Gerade in Zeiten des Rechtsrucks braucht es eine starke gesellschaftliche Gegenwehr, da sind solche Spaltungen alles andere als hilfreich.“ Trotzdem blickt er nicht allzu pessimistisch auf die EU-Wahl. In den skandinavischen Ländern hofft er auf Zuwächse, auch in Belgien, vor allem aber bei Sinn Féin, der mittlerweile stärksten Partei in Irland. „Wir stehen alle vor ähnlichen Herausforderungen“, so Schirdewan zur taz. Es gehe darum, Politik im Sinne der Menschen zu gestalten. „Das gelingt im Moment in manchen europäischen Ländern der Linken besser als in anderen.“

Griechenland

Ein Rückblick: Brechend voll ist der Saal im Dezember 2014, als der Hauptredner ans Pult tritt. Alle wollen ihn sehen. Alexis Tsipras, Bubi-Gesicht, Koteletten, hellblaues Hemd ohne Schlips, wirkt wie ein Rockstar. Dann fängt er an zu reden: „Wir werden die Musik spielen und die Märkte werden nach unserem Tempo tanzen.“ Brandender Applaus. Doch es kam anders. Das lange ein Mauerblümchendasein fristende „Bündnis der radikalen Linken“ (Syriza), das unter Tsipras und in den Wirren der Griechenlandkrise im Eiltempo den hellenischen Polit-Olymp erklomm und Anfang 2015 zur Regierungspartei avancierte, beugte sich im Juli 2015 dem Druck der öffentlichen Gläubiger. Wenn auch zähneknirschend. Die Gegenwart: Dem kometenhaften Aufstieg folgte bei den Doppelwahlen im Frühjahr 2023 der jähe Absturz. Hatte Syriza auf dem Zenit seiner Popularität als unangefochten stärkste „echt“ linke Partei in Europa 36 Prozent der Stimmen auf sich vereint, brachen die Radikallinken beim jüngsten Urnengang auf 17,83 Prozent ein, sagenhafte 23 Prozentpunkte hinter der weiter alleine regierenden konservativen Nea Dimokratia. Das Vorbild Syriza für die europäische Linke kollabierte. Die Tendenz: weiter fallend – trotz neuem Parteichef. Der Elan, den Stefanos Kasselakis versprach, verpuffte schnell. Aus Protest gegen Kasselakis Kurs, der Syriza weiter in die Mitte rücken will, haben elf Abgeordnete die Partei verlassen. In ihrer neugegründeten „Nea Aristera“ („Neue Linke“) ist nun ein weiterer Konkurrent im – ohnehin sehr zersplitterten – linken Spektrum erwachsen. In jüngsten Umfragen dümpelt Syriza bei rund zwölf Prozent. Pikanterweise hat sogar die totgesagte Pasok Syriza überholt. Der Ausblick: Schafft Syriza bei den Europawahlen nicht die Kehrtwende, könnte für Kasselakis die Luft an der Parteispitze rasch dünn werden. Gerüchten zufolge lauert Tsipras auf ein Comeback. Die Rückkehr an die Macht ist für Syriza indes in weite Ferne gerückt. Das liegt auch am verstärkten Verhältniswahlrecht, das beim nächsten Urnengang spätestens im Frühjahr 2027 gilt. Der Wahlsieger streicht einen Mandatebonus ein. Das kann sich Syriza wohl abschminken.Ferry Batzoglou

Österreich

Linksparteien haben es in Österreich traditionell nicht leicht. Daran änderten auch die Skandale der Ära Sebastian Kurz nichts oder dass die jüngsten Krisen – Korruption, Corona, Teuerung – der schwarz-grünen Regierung nicht besonders gut bekamen. Und obwohl die Themenlage linken Parteien eigentlich hätte entgegenkommen müssen, profitierte bisher einzig die FPÖ. Die Rechtsnationalen führen aktuell alle Umfragen an, spätestens im Herbst finden Nationalratswahlen statt. Die Grünen sind derzeit die sich am weitesten links befindende Partei im österreichischen Parlament, wenngleich keine klassische Linkspartei. Als Juniorpartner in der Regierung kamen sie zudem immer wieder unter die Räder der ÖVP. Kaum besser die Lage der Sozialdemokraten, die seit Jahren schwächeln. Auch der Linkskurs des neuen Vorsitzenden Andreas Babler brachte bisher keine Verbesserung. Spannend wird die weitere Entwicklung der Kommunisten. Bei der Landtagswahl im nicht eben linken Kernland Salzburg kam die KPÖ auf knapp 12 Prozent. Seit Ende 2022 ist außerdem mit Elke Kahr eine Kommunistin Bürgermeisterin von Graz. Bundesweit käme die Partei derzeit auf 3 bis 4 Prozent, ein Einzug in den Nationalrat scheint damit in Reichweite. Ein Hauptgrund für die KPÖ-Erfolge waren die Spitzenkandidaten und ihre nicht nur behauptete Bürgernähe: Elke Kahr in Graz und Kay-Michael Dankl in Salzburg engagierten sich jahrelang in der Zivilgesellschaft, etwa bei Mietervereinen. Bis heute spenden beide einen Großteil ihrer Bezüge für Menschen in Notlagen. So wurden sie auch für viele, die ansonsten nicht am Kommunismus anstreifen wollen, zur Anlaufstelle – und am Ende zur Wahloption. Chancen könnte auch die linke Bierpartei haben, die 2019 den Einzug ins Parlament noch deutlich verpasste. Bei der Bundespräsidentschaftswahl 2022 kam Parteigründer und Spitzenkandidat Dominik Wlazny immerhin auf 8 Prozent. Man versteht sich nur halb als Spaßpartei, zu den Themen zählen neben „Bierbrunnen“ auch Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit.

Florian Bayer

Polen

„Zum ersten Mal seit 18 Jahren sind wir wieder an einer Regierung beteiligt“, freute sich der Linke Włodzimierz Czarszasty nach den Parlamentswahlen Mitte Oktober. „Wisst ihr, was das bedeutet?“, fragte er noch auf der Wahlparty und gab gleich selbst die Antwort: „Unsere Forderungen bleiben keine Träume mehr, sondern werden umgesetzt und schaffen eine neue Lebenswelt.“ Dafür notwendig sei eine Partei, im Falle Polens ein Bündnis von gleich drei linken Parteien. „Ohne uns kommt keine demokratische Regierung zustande“, so Czarszasty, der dem Bündnis der Neuen Linken vorsteht.

Die stärkste Position im Bündnis ist die postkommunistische Linke von Czarszasty, dann folgt der 2019 gegründete Frühling (Wiosna) von Robert Biedroń, dem ersten Politiker Polens, der sich offen zu seinem Schwulsein bekannte und sich auch für die Rechte anderer Minderheiten einsetzte. Wiosna fusionierte 2021 mit der Linken zur Neuen Linken, der sich aus wahlstrategischen Gründen auch die 2015 gegründete Partei Razem (Gemeinsam) anschloss. Noch 2015 hatte Razem unter ihrem Vorsitzenden Adrian Zandberg für eine noch nie dagewesene Wahlkatastrophe der Linken in Polen gesorgt: Statt die wenigen Kräfte zu bündeln, startete ein kleines Linken-Zweierbündnis und Razem als unabhängige Linke und Einzelpartei. Am Ende zog keine einzige linke Partei ins Parlament ein, da alle unter der 5-Prozent- beziehungsweise 8-Pozent-Hürde für Bündnisse blieben.

Diesen Fehler wiederholte Razem bei den Wahlen 2019 und 2023 nicht mehr, doch an der gerade von zwölf Millionen Bürgern gewählten Mitte-Links-Regierung ist Razem – anders als die Nowa Lewica – nicht beteiligt. Sie schieden bei den Koalitionsgesprächen aus, als klar wurde, dass die konservativen Parteien in der neuen Regierung sich schwertun würden bei der Wiederherstellung der Frauenrechte, die die nationalpopulistische Vorgängerregierung stark beschnitten hatte. Razem ist also auf der Liste einer der heutigen Regierungsparteien ins Parlament gekommen.

Die gerade mal sieben Abgeordneten teilen sich die Oppositionsbank mit 194 Nationalpopulisten und der rechtsextremen Konföderation (18 Sitze). Doch scheinen alle linken Parteien in Polens Parlament mit ihrer aktuellen Situation mehr als zufrieden zu sein.

Gabriele Lesser

Dänemark

Wer in Dänemark rot sieht, denkt nicht an die Regierung. Die Koalition unter der Sozialdemokratin Mette Frederiksen ist in Sachen Migrationspolitik auf Rechtskurs. Dafür fallen einem zwei andere Akteure ein: Die Rot-Grüne Allianz (RGA, Enhedslisten) und die Socialistik Folkeparti (auf Englisch: Green Left). Doch wie rot sind diese Parteien? Seit Dekaden im Parlament, haben sie erstaunliche Wandlungen durchgemacht. Die Socialistik Folkeparti, die sich 1959 von der kommunistischen Partei abspaltete, propagiert ein demokratisch-sozialistisches Dänemark. Sie setzt sich für Feminismus, Menschen- und Minderheitenrechte ein. Zur Kapitalismuskritik gesellte sich ein ausgeprägter Euro-Skeptizismus – bis in die Nullerjahre. 2006 sprachen sich dann 66 Prozent der Mitglieder für eine Teilnahme an der „Ja-Kampagne“ im Rahmen eines Referendums über eine Europäische Verfassung aus. 2022 gehörte die Socialistik Folkeparti einer breiten Koalition an, die Dänemarks Sonderweg im Bereich einer gemeinsamen EU-Verteidigungspolitik beendete. Die Partei hat alle Rollen durchprobiert: Opposition, Unterstützer einer Minderheitsregierung (etwa 2019 bis 2022 unter Frederiksen, schon damals mit rechten Anwandlungen) sowie Mitglied in der Regierung (2011 bis 2014). Bei der Wahl 2022 kam sie auf 8,3 Prozent und ist größte Oppositionspartei. Im Europaparlament ist sie Teil der grünen Fraktion.

Die RGA, aus marxistischen Gruppen hervorgegangen, tritt für eine sozialistische Transformation Dänemarks ein – notfalls mittels Revolution. Zu den Forderungen gehören Kampf gegen Ungleichheit, Ausweitung des Wohlfahrtsstaates sowie Diversität. Die RGA wirbt für den Nato-Austritt, aber nicht mehr dafür, die EU zu verlassen. Ab 2019 stützte auch sie Frederiksen teilweise – wohl ein Grund für das maue Ergebnis bei der Wahl 2022. Zwar wurde die RGA in Kopenhagen mit 24,6 Prozent stärkste Kraft, kam aber landesweit nur auf 5,1 Prozent. Laut Rosa-Luxemburg-Stiftung habe die Allianz eine Chance, wieder auf die Beine zu kommen, indem sie die rechte Regierung bekämpft, ihre radikale Vision neu entdeckt und eine glaubwürdige Alternative anbietet. Barbara Oertel

Frankreich

NUPES, diese Abkürzung für Nouvelle Union Populaire Ecologique et Sociale (Neue Ökologische und Soziale Volksunion) klang nach Jahren der Zerstrittenheit wie ein Versprechen besserer Tage. Das war im Frühsommer 2022, am Vorabend der Wahl der Abgeordneten – nachdem zuvor Emmanuel Macron mit den Stimmen aller Antifaschisten gerade noch so gegen die Rechtsextremistin Marine Le Pen gewonnen hatte.

Dank ihrer Wahlallianz gewannen die Linksparteien 151 der 577 Sitze in der Nationalversammlung, was nicht zuletzt eine Mehrheit der nunmehr zwischen der linken und der rechten Opposition eingeklemmten „Macronisten“ verhinderte. Gemeinsam auch kämpften die Parteien der NUPES (La France insoumise, Sozialisten, Grüne, Kommunisten) an der Seite der Gewerkschaften noch in der ersten Jahreshälfte 2023 gegen den Sozialabbau der Rentenreform. Doch sie verloren diesen Kampf, politisch hat die Linke schon länger nichts gewonnen. Gerade die Arbeiter und andere sozial, wirtschaftlich oder geografisch Benachteiligte wenden sich stattdessen mehr und mehr den Rechtspopulisten zu, die ihnen mit ihrer rassistischen Hetze glaubwürdiger erscheinen als die schönen Versprechen von sozialer Gerechtigkeit. Wegen diverser Rivalitäten und ideologischer Differenzen bröckelte es innerhalb der Linksunion von Anfang an. Vor allem die Hegemonieansprüche von Jean-Luc Mélenchons LFI (Unbeugsames Frankreich) verschärften diese Spannungen. In Hinblick auf die Europawahlen zerbricht nun die Einheit vollends: LFI, Grüne, Kommunisten und Sozialisten treten voraussichtlich je mit separaten Listen an.

Alle von ihnen hoffen, so gestärkt aus dem Wahlkampf hervorzugehen. Der Traum, dass die NUPES diese Fraktionen – wie 1981 eine Linkseinheit den Sozialisten François Mitterrand – an die Macht bringen könnte, ist vorerst geplatzt. Die nächste Präsidentenwahl ist 2027. Als Favoritin gilt Marine Le Pen.

Rudolf Balmer

Italien

Waren es 100.000 Menschen oder 200.000? Wie jedes Jahr im Herbst hatte die Partei Rifon­dazione Comunista (PRC) nach Rom gerufen, zu einem großen Marsch, für den es keinen besonderen Anlass brauchte außer dem Willen der Parteiführung, einfach mal die rote Flagge zu zeigen. Doch das ist lange her – die letzte Massendemo fand 2007 statt. Immerhin konnte Rifondazione damals von sich behaupten, eine der stabilsten kommunistischen Parteien in Westeuropa zu sein. Kein Wunder, im Jahr 1976 hatte die KPI bei den Parlamentswahlen stolze 34 Prozent geholt. Gewiss, damit war 1991 Schluss, als das Gros der Partei beschloss, vom Kommunismus Abschied zu nehmen und als sozialdemokratisch angehauchte „Demokratische Linke“ weiterzumachen. Links von ihr war jedoch Platz für die radikalen Linken, die den Schwenk nicht mittrugen, und bei jeder Wahl bis 2006 reichte es für 5-6 Prozent. Der Höhepunkt war in den Jahren 2006 bis 2008 erreicht: Da stellte Rifondazione nicht nur den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, sondern auch den Minister für gesellschaftliche Solidarität im Kabinett Romano Prodis, dessen Mitte-Links-Koalition die PRC mittrug. Doch diese Koalition war der Anfang vom Ende. Zerrissen zwischen den Gemäßigten und den unbeugsamen radikal Linken spaltete sich Rifondazione. Die, die heute noch unter diesem Etikett segeln, sind auf klägliche 1,5 Prozent abgesunken. Im öffentlichen Diskurs kommt die PRC nicht mehr vor. Ein wenig besser geht es jener Kraft, die unter wechselnden Namen – von „Linke, Ökologie, Freiheit“ bis zu „Italienische Linke“ heute – in der Mitte-Links-Allianz verharrte. Doch mehr als 3 Prozent sind auch für sie nicht mehr drin. Zu verdanken hat sie ihre Malaise vor allem dem Erfolg der Fünf Sterne. Die waren 2013 erstmals bei nationalen Wahlen angetreten mit dem Versprechen, sie seien „weder rechts noch links“. Doch mit ihrem rüden Anti-System-Gestus wurden sie auch für Millionen Wäh­le­r*in­nen von links­außen attraktiv. Michael Braun

Spanien

Hinter der spanischen Linkspartei Podemos („Wir können“) liegen ein kometenhafter Aufstieg und ein rasanter Fall. Im Januar 2014 von einer Gruppe rund um den Politikprofessor und Talkshowstar Pablo Iglesias gegründet, erreichte die Protestpartei fast alles. Sie war 2015 kurz davor, die sozialistische PSOE zu übertreffen, regierte ab 2019 mit ihr als Juniorpartner. Der Zusammenschluss mit der postkommunistischen Vereinigten Linken zu Unidas Podemos (UP) („Gemeinsam können wir“) hätte rein rechnerisch dazu gereicht, die PSOE des heutigen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez 2016 zu überrunden. Doch eben nur rein rechnerisch. Nach dem Zusammenschluss erzielte sie eine Million Stimmen weniger als zuvor getrennt. Wo linke Politik als „gesunder Menschenverstand“ verkauft wurde, fand sie breite Zustimmung in Spaniens krisengebeutelter Bevölkerung. Doch als die gleiche Politik als „echtes linkes Programm“ in Abgrenzung zu den „zaghaften Sozialisten“, angepriesen wurde, war das nicht mehr so. Auch wenn UP ab 2019 mitregierte. Hinzu kam eine Pressekampagne, wie sie eine Partei nie zuvor erdulden musste. Die Behauptungen: Korruption, illegale Finanzierung, persönliche Fehltritte. Alle entsprechenden Verfahren wurden eingestellt, doch der Schaden war angerichtet. Der Zusammenschluss zu UP führte zu einer internen Spaltung in jene, die rund um Iglesias den neuen Linkskurs verfolgten und jene, die weiter eine Breitenpolitik im Stile der lateinamerikanischen Linkspopulisten anstrebten. Während sich Iglesias mit Kommunisten umgab und Wahl für Wahl Stimmen verlor, ist das Vorzeigemodell der Breitenpolitik, Más Madrid (Mehr Madrid), heute in der Hauptstadtregion stärkste Oppositionskraft. Die letzte Fehlentscheidung traf Podemos im Dezember. Zuerst schlugen sie einen Ministerposten aus und dann verabschiedeten sich die fünf Podemos-Abgeordneten aus dem Linksbündnis Sumar rund um Arbeitsministerin Yolanda Díaz. Iglesias selbst hatte Díaz als seine Nachfolgerin an der Spitze einer linken Liste bestimmt. Doch als Díaz zu eigenständig wurde, kam es zu immer mehr Streit. Podemos preist sich nun als einzige nicht systemkonforme Linke an. Bei den Wahlen zum Europaparlament wird sich zeigen, ob das zieht. Alles unter den 8 Prozent von 2014, als die Partei erstmals einzog, wäre wohl ihr Ende.

Reiner Wandler

Belgien

Für die Parti du Travail de Belgique/Partij van de Arbeid wird 2024 ein entscheidendes Jahr: im mehrsprachigen Königreich finden am 9. Juni nämlich auch föderale und regionale Parlamentswahlen statt. Die einzige Partei des Landes, die im niederländischsprachigen Norden wie im frankofonen Süden aktiv ist, kann dort ihren Aufwärtstrend der vergangenen Jahre fortsetzen. Bislang stellen die So­zia­lis­t*in­nen 12 von 150 Abgeordneten. Die Umfragen ergeben ein gemischtes Bild: zwar fällt man im traditionell links dominierten Wallonien auf 14 Prozent, ist aber in der Hauptstadt Brüssel mit gut 19 erstmals virtuell stärkste Partei und springt im rechts geprägten Flandern von gut 5 auf fast 10 Prozent. Damit hat sich die PTB/PVDA, die sich stärker als alle anderen Parteien zur Einheit des Landes bekennt, in ganz Belgien als Hoffnung auf eine soziale und gerechte Politik etabliert. Dass sie Umverteilung selbst praktiziert, zeigt das seit 50 Jahren existierende Netzwerk „Medizin für das Volk“, das auf ihre Initiative entstand. Zudem beschränken sich ihre Abgeordneten auf ein Angestellten-Gehalt und treten den Rest ihrer Saläre ab an die „Kampf-Kasse“, aus der Kampagnen und Proteste finanziert werden. Im komplexen Parteiengefüge bieten die Post-Maoist*innen ein Gegenmodell zur aktuellen Großen Koalition unter liberaler Führung wie zum rechtsex­tremen Vlaams Belang, der in Flandern die stärkste Kraft zu werden droht. Tobias Müller

Portugal

Mariana Mortágua soll es richten. Die 36-jährige Ökonomin steht seit Frühjahr dem Block der Linken (Bloco de Esquerda) vor. Die Partei, die 1999 aus linken Kleinorganisationen entstand, steckt mal wieder in der Krise. Nach einem sensationell guten Abschneiden 2015 – drittstärkste Kraft mit 10,2 Prozent – verlor der Bloco 2022 14 seiner 19 Parlamentssitze. Pragmatische Politik scheint in Portugal ein Problem für die Linke jenseits der regierenden Sozialisten des vor wenigen Wochen zurückgetretenen António Costa zu sein. 2015 unterstützte der Bloco Costa und verhalf ihm so zu einer Minderheitsregierung. 2022 dann, nach der Weigerung, den Haushalt dieser Regierung mitzutragen, sackte die Partei in der Wählergunst ab wie nie zuvor. Jetzt werden Europawahlen zum Testlauf für die neue Führung. So ist es auch bei der Kommunistischen Partei (CPC), die ihre besten Jahre nach der Nelkenrevolution 1974 hatte. Heute tritt sie zusammen mit den Grünen unter dem Namen CDU an, kam zuletzt aber nur noch auf 4,3 Prozent. 2022 legte der langjährige Generalsekretär, der Metallarbeiter Jerónimo de Sousa, sein Amt nieder. Der 30 Jahre jüngere Paulo Raimundo versucht der CPC nun ein Image der Erneuerung zu verpassen und wieder auf Distanz zu den Sozialisten zu gehen, deren Regierung auch sie zuvor gestützt hatte. Reiner Wandler

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