Antisemitismus an Bildungseinrichtungen: Je­de*r Zehnte ist mobilisierbar

Unter Studierenden gibt es genau so viel Antisemitismus wie im Rest der Bevölkerung. Bildungsministerin Stark-Watzinger will dagegen vorgehen.

Will antisemitische Tä­te­r*in­nen exmatrikulieren: Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

BERLIN taz | Weniger klassischer Judenhass, dafür viel Zustimmung zu „israelbezogenem Antisemitismus“, und das vor allem, aber eben nicht nur, unter muslimischen Studierenden. Wirklich überraschend sind die Studienergebnisse nicht, die For­sche­r*in­nen am Donnerstag zusammen mit Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) vorgestellt haben. Doch die Zahlen untermauern, was bisher spürbar, aber nicht genau quantifizierbar war: Antisemitismus durchzieht die deutschen Hochschulen genauso wie die restliche deutsche Gesellschaft. „Erschreckend“ nannte Stark-Watzinger dies.

Die For­sche­r*in­nen hatten online rund 2.000 Studierende befragt. Rund 8 Prozent stimmen allgemein antisemitischen Aussagen zu, weitere 10 Prozent teilweise. Ähnlich sind die Zustimmungsanteile auch auf „israelbezogenen Antisemitismus“. Hoch sind die Zustimmungswerte unter Muslim*innen, unter Studierenden dieses Glaubens stimmt mehr als ein Drittel antisemitischen Aussagen zu, in der Gesamtbevölkerung liegt der Wert ähnlich.

Wer im Ausland seine Hochschulberechtigung erworben hat, ist zudem im Schnitt öfter antisemitisch (18 Prozent) eingestellt als Personen, die das deutsche Schulsystem durchlaufen haben (7 Prozent). Unabhängig von der Konfession steigt mit zunehmender Religiosität auch die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen. Rund je­de*r Zehnte an den Hochschulen ist mobilisierbar für radikale antiisraelische Proteste, noch einmal so viele blicken positiv auf diese Demos und sind für sie ansprechbar.

Die Diskriminierungsforscherin Julia Bernstein forderte bei der Vorstellung der Studie von den Unis mehr Ehrlichkeit: So müsse es als explizit antisemitisch benannt werden, wenn etwa Vermisstenplakate der nach Gaza verschleppten Israe­lis abgerissen werden. Antisemitismus bedrohe jüdisches Leben in Deutschland ganz konkret: „Es geht nicht nur um Philosophie, sondern um das konkrete Leben von Menschen, die sich nicht mehr trauen, sich als Juden zu outen.“ Sie fordert „langfristige pädagogische Projekte“. Nötig seien zudem Präventionsprogramme und Deradikalisierungsprogramme, um Antisemitismus an den Unis zu bekämpfen.

Antisemitismus im Zusammenhang mit BDS

Bildungsministerin Stark-Watzinger betonte die Bedeutung konsequenter Bestrafung derjenigen Studierenden, die antisemitische Straftaten begehen. Sie forderte das Land Berlin erneut auf, es Unis rechtlich wieder zu ermöglichen, Studierende auszuschließen. In allen anderen Bundesländern ist dies möglich. „Wo Straftaten begangen werden, muss die Möglichkeit bestehen, zum Schutz der jüdischen Studierenden eine Exmatrikulation herbeizuführen.“

Dies fordert auch die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion, Hanna Veiler: „Präventionsprogramme sind gut, aber sie reichen nicht.“ Ihre Forderung: „Die Unis müssen klare Konsequezen ziehen und antisemitische Täter exmatrikulieren.“ Die Studie nennt sie „einen guten ersten Schritt“, es sei „unglaublich wichtig“, konkrete Zahlen zu haben. Aber es brauche dringend weitere Studien, insbesondere solche, die die Erfahrungen jüdischer Studierender in den Mittelpunkt stellten. Stark-Watzinger räumte ein, dass bisher zu wenig über Antisemitismus an Unis geforscht worden sei: „Wir wissen zu wenig.“

Einen kleinen Beitrag, die Forschungslücke Antisemitismus an Hochschulen zu schließen, dürfte eine Studie liefern, die der Bundesverband der Rias-Meldestellen für Antisemitismus am Donnerstag vorstellte. Hier wurden antisemitische Vorfälle im Zusammenhang mit der BDS-Bewegung untersucht, die Sanktionen, De­investitionen und einen Boykott Israels fordert. BDS spielt auch an Unis immer wieder eine Rolle.

Für die nun vorgestellte Studie werteten Forschende antisemitische Vorfälle zwischen 2015 und 2022 aus, die jüngste Eskalation nach dem 7. Oktober 2023 wurde in der Studie also nicht mehr berücksichtigt. Doch schon im Untersuchungszeitraum kam es laut Studie „regelmäßig“ zu antisemitischen Vorfällen bei BDS-nahen Veranstaltungen.

Kri­ti­ke­r*in­nen der Bewegung würden „antisemitisch beleidigt, bedroht oder gar angegriffen.“ Einer der Autoren, Daniel Poensgen, sagt: „Von einer gewaltlosen Kampagne kann in Deutschland keine Rede sein.“

Schon in den letzten Jahren hatte es immer wieder antisemitische Vorfälle an deutschen Unis gegeben, meist in Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt. Seit dem Massaker der Hamas an israelischen Zi­vi­lis­t*in­nen am 7. Oktober 2023 und dem anschließenden Militäreinsatz Israels im Gazastreifen hat sich die Lage an den Unis noch einmal zugespitzt. Im November eskalierte an der Berliner Universität der Künste eine Protestaktion gegen Israels Einsatz in Gaza. Jüdische Studierende berichteten anschließend, sich auf dem Uni-Gelände nicht mehr sicher zu fühlen.

Im Dezember besetzten Studierende der FU Berlin einen Hörsaal, um gegen Israels Vorgehen in Gaza zu protestieren. Die Uni-Leitung erstattete Anzeige wegen Hausfriedensbruch. Zudem gab es auch Anzeigen gegen Unbekannte, unter anderem wegen antisemitischer Schmierereien. Und im Februar griff ein Student der FU einen jüdischen Kommilitonen brutal an und verprügelte ihn so schwer, dass er ins Krankenhaus musste.

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