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Frauenfußball-EMKönnen oder wollen sie nicht?

Alina Schwermer
Kommentar von Alina Schwermer

Es ist Frauenfußball-EM und das deutsche Team steht unerwartet im Halbfinale. Denn das Spiel der Deutschen sieht oft aus, als sei es 2010 eingefroren.

Die deutsche Frauen-EM Mannschaft üben vor dem Spiel am Mittwoch. Die Deutschen lieben Flanke–Kopfball–Tor Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

D eutschland hat es wieder liebgewonnen, sein DFB-Frauenteam. Zehn Millionen Menschen schalteten am Samstag beim EM-Viertelfinale gegen Frankreich ein, so viele wie noch nie im gesamten Turnier. Anschließend überschlug sich die deutsche Presse zu Recht mit Lobeshymnen auf die starke Kollektivleistung und vor allem auf Torfrau Ann-Katrin Berger, die nicht wenige kurz zuvor noch auf die Ersatzbank verbannen wollten. Dass Fans und Medien ihr Fähnchen in den Wind hängen, ist kein deutscher Sonderweg.

Der Taktikdiskurs hierzulande ist indes schlimm. Eine 1:4-Niederlage in der Gruppenphase? Land unter, nichts mehr zu retten. Ein glücklich erkämpftes Weiterkommen im Viertelfinale? Titelreif, mindestens! Turniere werden stur vom Endergebnis aus analysiert. So galt das Vorrundenaus bei der WM 2023 als Totalversagen, während Olympia-Bronze 2024 und das EM-Finale 2022 als große Triumphe verbucht wurden.

Warum es innerhalb von drei Jahren so scheinbar immense Formschwankungen gab, kann dieser Ansatz nicht erklären. Schon Männertrainer Pep Guardiola jammerte, wie unterirdisch die Deutschen über Taktik diskutierten. Doch der DFB lässt sich ungern reinreden, holt keine externe Unterstützung hinzu und macht lieber Einzelpersonen wie Ex-Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg für die taktischen Schwächen verantwortlich. Dabei zeichnet sich das DFB-Team seit Jahren durch taktischen Stillstand in der Offensive aus.

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Ein Bild, an das man sich gewöhnt hat: Ratlos schieben die Deutschen den Ball herum, von innen nach außen, von außen nach innen. Irgendjemand versucht sich an einer Flanke aus dem Halbfeld, sie landet im gegnerischen Pulk. Eine wie Klara Bühl dribbelt los, zweimal klappt das, an der dritten Gegnerin bleibt sie hängen. Und dann immer dasselbe von vorn. Wenn ein Ball aus der zweiten Reihe oder per Kopf reingeht, wirkt das eher wie ein Akt schieren Willens. Denn die Deutschen lieben Flanke–Kopfball–Tor.

Ratlos schieben die Deutschen den Ball herum, von innen nach außen, von außen nach innen

Die Worte, mit denen schon der Pocher-Song zur Männer-WM 2006 begann, begleiten den deutschen Fußball seit Jahrzehnten – bei den Männern wie bei den Frauen. Große Flanke-Kopfball-Tor-Gespanne gab es: Svenja Huth auf Alexandra Popp, Bernd Schneider auf Michael Ballack. Wenn schon nicht mit Kopfballmonster, dann zumindest über die Flügel, wie bei der Mutter aller Flügelzangen, Arjen Robben und Franck Ribéry beim FC Bayern. Auch die Flügelspielerinnen Jule Brand und Klara Bühl, beide internationale Spitzenklasse, sollen so ein Duo bilden. Und die kopfballstarke Lea Schüller finden.

Flache Pässe in die Schnittstellen

Nun hat sich allerdings der internationale Fußball in den vergangenen 20 Jahren massiv weiterentwickelt. Teams wie Spanien, England, Frankreich spielten bei diesem Turnier auf ganz unterschiedliche Art wunderbare flache Pässe in die Schnittstellen, mit denen sie sofort sehr tief vorstießen. Auch der vierte Halbfinalist Italien hat eine viel bessere Raumaufteilung. Das Spiel der Deutschen dagegen sieht oft aus, als wäre es 2010 eingefroren.

Die Entwicklung wird dem Team nicht verborgen geblieben sein, also will es entweder nicht anders spielen oder kann es nicht. Klar ist, dass das Team auf dem Flügel besondere Stärken hat. Bühl absolvierte in der Gruppenphase so viele erfolgreiche Dribblings wie keine andere Spielerin, das DFB-Team war auch Spitze darin, mit Ball viel Raum zu erlaufen. Allerdings hat Deutschland auch deshalb so starke Flügelspielerinnen, weil man ständig so spielt.

Die Flügelei ist eine Stärke, aber als Dauermittel vorhersehbar. 75 Flanken hat das Team in der Gruppenphase geschlagen. Viel rausgekommen ist dabei nicht, nur eine führte zum Tor. Gerade spielerisch schwächere Gegnerinnen, die defensiv stehen, haben ein leichtes Spiel. Auch so erklärt sich, dass das DFB-Team sich oft in der Vorrunde schwertut und scheinbar nur zwei Turnierverläufe kennt: entweder richtig krachend scheitern oder sehr weit kommen. Denn nach der Vorrunde geht es gegen spielstärkere Teams. Weil die meist offensiver spielen, gibt es mehr Platz für Konter. Das kaschiert Defizite im Einfallsreichtum des DFB-Angriffspiels. Da schaltet man taktisch eh gern auf Überlebensmodus: bei der kürzlichen Abwehrschlacht gegen Frankreich ebenso wie zweimal beim Großturnier gegen Spanien. Wille, Kampf, Mentalität, Zerstören, diese Eigenschaften werden wieder hervorgeholt im deutschen Frauenteam. Das ist selten ein gutes Zeichen.

In den vergangenen Jahren mussten interessanterweise zwei Frauen medial für die Probleme den Kopf hinhalten: die überforderte Steffi Jones und die ungeschickte Martina Voss-Tecklenburg. Die beiden Bundestrainerinnen bekamen die komplette Breitseite für frühes Scheitern beim Turnier zu spüren. Obwohl zumindest Voss-Tecklenburg noch ein Jahr zuvor als große Turnierheldin galt, als sie die Frauen ins EM-Finale führte. Aus der Rückschau lässt sich sagen: Es war vielleicht auch ein Sexismusproblem, die Schuld nur bei der unfähigen Frau zu suchen, wo jahrelanges strukturelles Versagen vorlag. Mit der zweimaligen Interimslösung Horst Hrubesch verschlief man einen Neuaufbau. Viele Defizite – die große Ratlosigkeit im Spielaufbau, auch bei der nun viel gelobten Berger, die fehlende Kreativität, die hohe Abhängigkeit von den Flügelspielerinnen – sehen unter dem neuen Bundestrainer Christian Wück vorläufig selten besser aus.

Ob der DFB-Nachwuchsspezialist ohne Frauenfußball-Background die fällige Frischluftkur bringen kann, bleibt abzuwarten. Warum aber nicht zusätzlich mehr Input von außen holen, auch aus dem Ausland? Ein Kehrbeseneffekt, wie ihn England unter der Niederländerin Sarina Wiegman erlebt hat, ist überfällig. Auch viele kritische Expertinnen aus dem Inland vergrault der Verband mit seiner mangelnden Kritikfähigkeit. Es hat dem DFB noch nie gutgetan, im eigenen Saft zu schmoren. Ganz unabhängig vom Ausgang des Halbfinales.

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Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum und Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen und übers Reisen. Autorin mehrerer Bücher, zuletzt "Futopia - Ideen für eine bessere Fußballwelt" (2022), das auf der Shortlist zum Fußballbuch des Jahres stand.
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5 Kommentare

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  • Das hat ja nur bedingt was mit dem Trainer zu tun. Es ist einfach ein Problem der Qualität in der Breite, weshalb manches manchmal echt gut wirkt und vieles andere an niederklassigen Fussball erinnert. Rein statistisch ist das natürlich auch nicht verwunderlich, da es fünfmal so viele männliche wie weibliche DFB- Mitglieder gibt.



    Ich persönlich schaue es ganz gerne, da gerade, wie eben bei England-Italien, England keine wirkliche Torchance hatte und doch die ganze Zeit klar ist, irgendein Fehler kann zu einem Tor führen. Und siehe da er kam.



    Aber vllt führt ein weiterer erfolgreicher EM-Verlauf für Deutschland dazu, dass noch mehr Mädchen den Fussball für sich entdecken.

  • „Bananen“-Flanke Manfred „Manni“ Kaltz auf Horst „Hotte“ Hrubesch … (öfter mal) Tor!



    So ham‘ wir das immer gemacht, was soll daran jetzt „plötzlich“ nicht mehr stimmen?

  • Haben Sie das Spiel gegen Schweden nicht gesehen? Da haben wir sehr offensiv gespielt sowie sie es fordern und wir haben richtig verloren. Wie wir am Ende gewinnen ist egal hauptsache wir gewinnen und wenn es ein dreckiges Spiel ist, dann ist es so. Fußball ist Ergebnissport mehr nicht

  • Er hat ein bisschen lange sein ideales Team gesucht, um jetzt schon eingespielt zu sein, ganz unabhängig von der Taktikdebatte. Die Mädels können mal gut werden, bei dieser EM geht's wohl nur brachial: die Spanierinnen können einem jetzt schon leid tun, ich hoffe sie sind gut in Form und unterbinden das zügig. Ein/e Trainer/in der/die nicht fliessend deutsch spricht, war schon vor Wück kaum vorstellbar. Mit dem fortschreitenden Rechtsruck immer unwahrscheinlicher. Jede Nation kriegt das Team was sie verdient hat.

    • @TV:

      Beim DFB gibt es ein Rechtsruck?

      Die Kapitänin der deutsche Nationalmannschaft trägt ein Regenbogenbinde mit der Aufschrift Respect. Die der französichen Natonalmannschaft (mit Auswechslung) zwei BpoC mit afrikanischem Hintergrund, trugen gelbe Armbinden ohne Aufschrift.

      www.dfb.de/gegenrassismus



      Der Deutsche Fußball-Bund tritt dafür ein, dass



      alle Menschen ohne Angst vor Diskriminierung am Fußball teilhaben können, auf und neben dem Platz.



      Fußball die Vielfalt der Gesellschaft, in der er stattfindet, abbildet.



      überall im Fußball ein Klima des Respekts und der Mitmenschlichkeit selbstverständlich ist.



      die identitätsstiftende Wirkung des Fußballs für die ganze Gesellschaft genutzt und erhalten wird.

      www.kicker.de/fran...eben-1131697/video



      Anders als die DFB-Frauen



      Frankreich verzichtet auf Regenbogen-Binde: "Nicht nur eine Sache hervorheben"