Agrarbranche kritisiert Umweltbundesamt: Bauern reden Zahl der Pestizide klein
Landwirte und Chemieindustrie klagen, wegen Bedenken des Umweltbundesamts seien zu wenige Wirkstoffe erlaubt. Wie sehen die Zahlen wirklich aus?
Hinzu kämen Mittel mit Wirkstoffen, die eigentlich von der EU verboten sind, die ein Staat aber wegen einer nicht anders abwendbaren Gefahr für Agrarpflanzen ausnahmsweise erlauben darf. „In Deutschland ist die Zahl der Notfallzulassungen mit insgesamt 64 Fällen im Jahr 2024 besonders hoch, was die Zahl der de facto verfügbaren Wirkstoffe, auch im Vergleich zum Ausland, noch weiter erhöht“, so das UBA, das die Umweltrisiken von Pestiziden vor der Genehmigung prüft.
Bundesagrarminister Alois Rainer (CSU) arbeitet gerade nach eigenen Angaben daran, dass „die Zulassungssituation von Pflanzenschutzmitteln verbessert“ und für „schnelle“ Verfahren durch „Verschlankung der behördlichen Zusammenarbeit“ gesorgt wird. In diesem Zusammenhang setzte er am Wochenende den bisherigen Leiter des federführenden Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) ab.
Der Deutsche Bauernverband und der Industrieverband Agrar der Pestizidhersteller klagen seit Jahren, dass es zu schwierig sei, in Deutschland Pestizide auf den Markt zu bringen – und dass die Landwirte zu wenige Wirkstoffe anwenden dürften. Das sei ein Nachteil im Wettbewerb mit anderen Staaten. Die Lobby fordert deshalb, das Vetorecht des UBA abzuschaffen. Bisher kann die Behörde eine Zulassung verhindern, wenn das Mittel nicht vertretbare Risiken für die Umwelt verursacht. Pestizide tragen dazu bei, dass Pflanzen- und Tierarten aussterben. Zudem gibt es immer wieder Gesundheitsrisiken.
EU-Mitgliedsstaaten entscheiden selbst über Genehmigungen
Das UBA widersprach nun auch der Kritik, dass heute weniger Pestizidwirkstoffe in Deutschland erlaubt seien als früher. „Die Zahl der in Deutschland zugelassenen Wirkstoffe ist in den letzten zehn Jahren nicht gesunken, sondern sogar leicht angestiegen“, so der UBA-Sprecher. 2013 seien nach BVL-Angaben 269 Wirkstoffe zugelassen gewesen, 2023 seien es 9 mehr gewesen. „2024 ist die Zahl nochmals gestiegen.“
Die Wirkstoffe genehmigt die EU zentral, über die kompletten Produkte mit diesen Substanzen allerdings entscheidet jeder Mitgliedstaat selbst. Das UBA bestätigt, dass die EU in den vergangenen Jahren „einzelne Wirkstoffe“ nach einer turnusmäßigen Überprüfung nicht noch einmal erlaubt habe. Das habe aber nicht an Umweltbedenken gelegen. „Die Gründe dafür lagen ausschließlich im Bereich menschliche Gesundheit und Verbraucherschutz. Unseres Wissens gibt es keinen Wirkstoff, der zuletzt allein wegen der Umweltrisiken nicht wieder genehmigt wurde“, schreibt das UBA.
Im Detail verursacht es aber offenbar tatsächlich Probleme, dass die Mitgliedsländer ihre Pestizide zulassen dürfen. Polen hat laut UBA den Unkrautvernichter 450 Gold EC zugelassen, obwohl dieses den Wirkstoff 2,4-D in der chemischen Form eines Esters enthält. „Auf EU-Ebene ist nur die Säure-Form genehmigt“, so das UBA. Dennoch hätten zwei deutsche Gerichte nach einer Klage eines Unternehmens geurteilt, dass auch die Bundesrepublik das Mittel zulassen müsse, da es ja nun in Polen erlaubt sei. Das BVL hat dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Das UBA kritisiert schon lange, dass die Umweltauswirkungen von Pestiziden nicht ausreichend berücksichtigt würden bei der Zulassung. So werde zum Beispiel nicht geprüft, ob sie Amphibien und Reptilien schädigen.
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