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Ob Männer- oder FrauenfußballDeutscher Nationalstolz ist immer gefährlich

Der Schwarz-Rot-Gold-Ekel wich während der Fußball-EM der Frauen einem koketten Patriotismus. Das ist nicht Fortschritt, sondern Regression.

Deutschlandflaggen im Stadion in Zürich während des Halbfinales gegen Spanien Foto: Alessandra Tarantino/ap

D ie DFB-Vizepräsidentin Sabine Mammitzsch sagte am vergangenen Mittwoch im Deutschlandfunk über die deutsche Nationalmannschaft der Frauen: „Wir stehen für all das, was manchmal der Jugend oder überhaupt Deutschland abgesprochen wird, Moral, Kampf, Teamgeist, Leidenschaft.“ Man könne, sagte sie, deshalb nur stolz auf diese Mannschaft blicken. Sie wusste zudem zu berichten, was das Team ausmache, nämlich „der unbedingte Wille, die Leidenschaft, die Emotion, der Teamgeist.“ Vor allem die Leidenschaft „für die Nation zu spielen“ schien die Funktionärin zu beeindrucken.

Am Abend dann verlor dieses Team gegen Spanien und steht am Sonntag somit nicht im Finale gegen England. Aber der Schaden ist trotzdem angerichtet. Denn nach all den Jahren der Schande, die die Männer über das Land gebracht haben, sorgten in den vergangenen Wochen die Frauen für ein Deutschlandgefühl, dass zwischen Stolz, Freude, Glück und Euphorie keinen Platz mehr für etwas anderes lässt: Unwohlsein. Denn Frauenfußball hin oder her: Es ist immer noch Deutschland. Das schienen einige komplett vergessen zu haben. Warum eigentlich? Weil es ja „nur“ Frauen sind?

Die antinationalen Abwehrreflexe der Linken, über Jahrzehnte relativ funktionstüchtig, wenn die deutsche Nationalmannschaft der Männer spielt, wurden entsorgt wie Thomas Müller bei Bayern München. Schlimmer noch: Der eigentlich gefestigte Schwarz-Rot-Gold-Ekel wich einem koketten Patriotismus feministischer Note, denn – so die Argumente der neuen Jubel-Deutschen – das seien doch jetzt die Guten. Keine homophoben Proll-Männer mit Runen-Tattoos und ausdifferenziertem Alkoholproblem. Sondern Frauen. Sympathisch. Authentisch. Tragen sogar die Regenbogen-Binde. Haben doch auch lange auf diese Form der Anerkennung gewartet.

Doch was nach Fortschritt aussieht, ist in Wahrheit Regression. Eine Normalisierung nationaler Identifikation, flankiert von Popfeminismus, Regenbogen-Binde und Wohlfühlästhetik. Und die Rechten jubeln, denn seit Jahren suchen sie nach einem neuen, unverfänglichen Vehikel für ihren Heimatstolz. Hier ist es: Die Frauenmannschaft. Endlich wieder Deutschland, fast ohne Schwarze! Sie sind weiß und blond, kaum eine hat einen Migrationshintergrund, sie hören gerne deutsche Schlager und singen die Nationalhymne – nicht so wie seinerzeit Teile der deutschen Mannschaft, die ja vor allem aus Vaterlandsverrätern wie Mesut Özil bestand.

Alles ist erlaubt, weil es diesmal nicht toxisch ist

Dabei bleibt das Grundproblem gleich: Nationalismus ist keine Frage des Geschlechts. Flagge bleibt Flagge, egal wer sie trägt. Die Ignoranz macht die Sache sogar noch gefährlicher. Wenn sich jetzt ausgerechnet auch angebliche Linke beim Public Viewing in Deutschlandtrikots zeigen, haben sie nicht verstanden, was 2006 schon falsch war – und was 2025 noch viel falscher ist. Denn diesmal passiert es mit Zustimmung der progressiven Öffentlichkeit. Wer jetzt nicht jubelt, ist sexistisch. Wer Kritik übt, ist ein Miesmacher.

wochentaz

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Das Drumherum, das mediale Aufpumpen, das kollektive Fahnenschwenken, das ist der eigentliche Skandal. Denn so wurde die EM 2025 zur nationalen Katharsis. Alles ist erlaubt, weil es diesmal nicht toxisch ist. Weil es nicht Männlichkeit, sondern Gleichstellung repräsentiert. Aber die Botschaft lautet noch immer: Deutschland über alles. Im Zweifel auch über den politischen Verstand.

Es ist eine bekannte Dialektik, die hier wirkt. Adorno und Horkheimer haben bereits in der „Dialektik der Aufklärung“ gezeigt, wie schnell die Aufklärung selbst in Mythologie umschlagen kann. Der scheinbar emanzipatorische Moment wird zur Bühne der Regression, der neue deutsche Feminismus wird so zur nationalen Selbstvergewisserung. Die Kritik an autoritären Strukturen weicht der Affirmation eines Staates, dessen Geschichte alles andere als unschuldig ist.

Gerade deshalb – weil Deutschland nicht ist wie andere Länder –, ist auch der deutsche Nationalstolz kein neutraler. Er ist immer kontaminiert, immer rückschrittlich, immer gefährlich. Wer das vergisst, macht sich mitschuldig, weil Geschichte sich nicht wegemanzipieren lässt. Deutschland kann man nicht lieben, und die Sehnsucht danach, es doch irgendwie zu tun, ist eine Kapitulation. Eine Flucht in die nationale Normalität, die es für dieses Land nie geben darf.

Wir erleben die Re-Nationalisierung über den Umweg der Liberalität. Man darf wieder deutsch sein, weil man dabei nett ist. Weil man pseudofeministisch Frauen bejubelt. Weil man doch ohnehin gegen Rechts ist. Die Rhetorik der Leistung, der Herkunft, des Stolzes aber bleibt dieselbe, nur die Verpackung ist eine andere. Nicht weniger nationalistisch, nur schwerer zu kritisieren. Der alte Nationalismus hat sich ein neues Gesicht zugelegt, aber dahinter steckt dieselbe Nation. Dieselbe Geschichte. Dieselbe Gefahr.

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Matthias Kalle
Ressortleiter wochentaz
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10 Kommentare

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  • "Deutscher Nationalstolz ist immer gefährlich" Was soll der Scheiß, gefährlich ist jeder Nationalstolz, nicht nur der deutsche.

    • @Alberta Cuon:

      Das ist schon recht. Die taz ist eine deutsche Zeitung und beschäftigt sich mit deutschen Themen.

  • Mir ist jetzt schon an mehreren Kommentaren zu diesem Turnier ein etwas larmoyanter Subtext aufgefallen: Der Frauenfußball verliert seine Unschuld.

    Da beklagt ein Kommentar, dass es böse Fouls gibt, ein anderer Rassismus gegen schwarze Spielerinnen, die Kommerzialisierung hält Einzug (die spanische Siegtorschützin verdient ein Millionengehalt beim FC Barcelona) und jetzt auch noch - zu Hülf - Schwarzrotgold.

    Mit der in den letzten Jahren steil ansteigenden Professionalisierung und der damit einhergehenden Attraktivität für Fans (der Begriff kommt nicht umsonst von "fanatisch") wird aus der gern gehegten Illusion des moralisch integren, weil faireren, queereren, amateurhaften (obwohl man natürlich den Gender Pay Gap ebenfalls beklagt hat) und stets diskriminierten Sports was?

    Eben ganz normaler Fußball. Mit allen Schattenseiten.

  • Irgendwie tut der Mann mir leid. Was hat der Mann nur für ein Konzept von Nation? Man, also ich, kann mich sehr wohl mit Deutschland identifizieren und lieben ohne dass daraus Hass oder Herabschauen auf andere erwächst. Ich habe mir, wie jeder, nicht aussuchen können hier geboren worden zu sein aber ich bin dankbar dafür, dass ich es bin und wenn der Autor ein bisschen drüber nachdenkt könnte er am Ende auch zu diesem Schluss kommen. Weil ich Deutschland liebe beschämt mich eine AfD und ihre Erfolge; weil ich mich mit diesem Land identifiziere würde ich eben niemals AfD wählen. Ich würde mir auch keine Deutschlandfahne ins Fenster hängen, aber wer meint jeder Besitzer eines DfB-Trikots bei einer WM sei ein potenzieller Widergänger der Waffen-SS dem ist schlicht nicht mehr zu helfen. Auch glaube ich nicht, dass er mit dieser Sauertöpferei irgendjemand von seinem Standpunkt überzeugen wird. Von Geschichte muss man sich nicht emanzipieren, man muss sie annehmen im Guten wie im Schlechten.

  • Traurig, wenn man nur an Utopien ein gutes Haar finden kann.

    Natürlich wäre es schön, wenn niemand mehr John Lennons "Imagine" singen würde, weil Alles, was er da aufzählt, Realität ist. Aber die Wahrheit ist nunmal umgekehrt: Es GIBT - zum Beispiel - Nationen, nationale Unterschiede und nationale Selbstidentifikation, und sie sind aufgrund der politischen Struktur der Welt, die eben zwischen Nationen die relevantesten Grenzen zieht, bis auf Weiteres auch nur wegzuphantasieren, nicht abzuschaffen.

    Daher ist jeder Versuch, Nationalstolz einfach in toto in die Schmuddelecke zu verbannen, ein klassischer Fall von Blasen-Selbstbestätigung und nicht mehr. Sinnvoller ist, dieses Gefühl in positive Bahnen zu lenken. Udn der Stolz auf die Frauennationalmannschaft ist dafür ideal. Denn mal ehrliche: Welcher orthodoxe Reaktionäre oder gar Faschist kann sich mit einer nationalen Begeisterung für ein Team identifizieren, das insbesondere sexuelle Toleranz und Diversität nicht nur aausdrücklich fördert sondern zu ganz erheblichen Teilen auch offen lebt? Alice Weidel ist für viele von denen ja schon schwer zu schlucken, aber wenn die jetzt auch noch nicht-rechts reden würde??

  • Eigentlich ist jeder Nationalstolz gefährlich, weil Nation per se ein Konzept ist, das andere ausschließt und von Selbstabgrenzung lebt.



    Anders sieht es für mich mit dem Festhalten an Sprachen und dem Eintreten gegen ihre Unterdrückung (oft im Namen einer einheitlichen Nation) aus.



    In Deutschland sind das z.B. das Niederdeutsche, Sorbisch, Friesisch, aber auch die Dialekte.



    In Frankreich das Elsässische, Bretonische, Okzitanische. usw.



    Eine lingua franca, die der gemeinsamen Verständigung dient, ist sinnvoll, aber nicht nur im nationalen Rahmen, und sie müsste die lokale Vielfalt keineswegs so verdrängen, wie das gegenwärtig geschieht. M.E. wäre das ein Fall für die EU, die sich leider als Verband von Nationen statt von Sprachen versteht und deshalb leider keine transnationale Identität stiften kann.



    Was der Artikel benennt, gilt also keineswegs spezifisch für Deutschland.

  • " Denn nach all den Jahren der Schande, die die Männer über das Land gebracht haben ... "

    Hört, hört!

  • Ich bin nix, ich kann nix, gebt mir eine Fahne. Und einige andere Spielarten mehr.

    Was ist an Universalismus so schwer zu erfassen? Bzw. am Alkohol des Fußballnationalismus maximal zu nippen, sich aber nicht in einen Rausch der Abwertung hineinzugrölen?

  • Puh, ungefiltert der Übergang von den Nazis zur Frauennationalmannschaft, geht es auch ein bisschen weniger dick? Ich habe fast den Eindruck, dass wegen dieser Unentspanntheit der normale Mensch auf der Straße den Linken manchmal nicht mehr folgen kann und will. Deutschlandfahne beim Fußball=AfD-Gegröhle im Bierzelt=Reichsparteitag.



    Nein, so einfach ist die deutsche Welt auch wieder nicht. Man muss die schwarz-rot-goldene Folklore nicht toll finden, aber wegen den Fußballfrauen dreut nicht das vierte Reich, da gibt es in Deutschland andere, wesentlich konkreter im Bundestag sitzende Verdächtige.

  • Zeitgeist. Hat 2006 mit dem "Sommermärchen" begonnen - 'sind wieder wer!'



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    Inzwischen rückbesinnen wir uns auf "kriegstüchtig" taz.de/Manifest-au...bb_message_5029630 , nach der "feministischen Außenpolitik" der letzten Legislaturperiode, von Beginn an voll kompatibel mit der PR der Nato zum Ukrainekrieg: 》Über ihren Twitter-Account hat die NATO anlässlich des Internationalen Frauentags ein Bild mit einer ukrainischen Soldatin gepostet. Das Problem: Die Soldatin trägt ein Emblem mit der „Schwarzen Sonne“. Die „Schwarze Sonne“ ist ein Neonazi-Symbol.《 (deutsche-wirtschaf...mit-neonazi-symbol )



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    Ein Symbol, das gerade auch auf einem Neo-Nazitreffen am 4.7. in Münster zu sehen ist, von dem die Omas gegen Rechts diesen clip gepostet haben www.instagram.com/...h=aDYwdjNubTJmZHQ2



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    So schließt sich der Kreis zu Heldenverehrung in der Ukraine taz.de/Massnahmen-...bb_message_5007665 - und es ist eigentlich etwas unfair, Nationalismus nun an der deutschen Frauen-Nationalmannschaft festzumachen.