Italien vor dem EM-Duell gegen England: So viel Liebe für das Spiel
Cristiana Girelli, 35, kennt noch die dunkelsten Seiten des Frauenfußballs. Die Kapitänin ist immer noch unverzichtbar für das italienische Team.

Wie ein Traum, so kommt es vielen italienischen Spielerinnen vor, dass sie sensationell im Halbfinale gegen England stehen und sich alle Kameras auf sie richten. Aber die neue Wertschätzung wirkt vermutlich für wenige so surreal wie für Veteranin Cristiana Girelli, 35 Jahre alt, die die langen, dunklen Zeiten des Frauenfußballs erlebt hat. Im Turnier erwies sich die Stürmerin und Kapitänin als überlebenswichtig für ihre Italienerinnen.
Sie erzielte drei von fünf Toren, davon zwei im Viertelfinale gegen Norwegen. Sie ist die älteste Spielerin, der je ein EM-Doppelpack gelang. „Magische Girelli“, „Herz des italienischen Frauenfußballs“, so feierte sie die Presse. Auf der Konferenz nach dem Viertelfinale kamen ihr die Tränen. Girelli selbst sagte einmal: „Ich möchte ein Vorbild für die jüngeren Spielerinnen sein, denn manchmal verstehen sie nicht, was früher war.“
Wer nachvollziehen will, wie viel sich im Frauenfußball verändert hat, muss sich nur die Laufbahn von Cristiana Girelli anschauen. Als sie mit sechs Jahren zu kicken begann, erzählte sie einmal, spielte sie mit älteren Jungs. Eines Tages brauchten die noch eine Spielerin. Sie konnte es nicht glauben: „Wirklich? Sie brauchen ein Mädchen?“ Als sie als Teenager von einem Scout für ein Frauenteam entdeckt wurde, nach einem grandiosen Fallrückziehertor, von dem sie heute noch träume, da sei sie wieder verwirrt gewesen: „Ich wusste nicht, dass Frauenfußball existiert.“
Vorbild für eine neue Generation
Heute träumen Mädchen in Italien davon, wie Girelli zu werden. Für sie selbst war der Beruf Fußballerin während großer Teile ihrer Laufbahn unrealistisch. „Selbst vor zehn Jahren, was noch nicht so lange her ist, konnte sich niemand vorstellen, das hier als Job zu machen.“ Dass sich etwas änderte, das verstand sie 2018, mit 28 Jahren, als Juventus Turin ein Frauenteam für die Serie A aufbaute. „Ich dachte: Wow. Vielleicht wird es ernst.“
Sofort nach Gründung ging sie zu Juventus, wo sie seither über 100 Treffer erzielt hat. Und die Nummer 10 trägt, wie ihr Idol Alessandro Del Piero, mit dem sie auch zur EM Textnachrichten schreibt. Ein großer Unterstützer des Frauenteams sei der. Girelli selbst, seit 2023 in der italienischen Hall of Fame des Fußballs, genießt ihren späten Ruhm vor allem innerhalb Italiens. Noch sind die Juventus-Frauen sportlich nicht weit genug für große Champions-League-Erfolge.
Wenn es nach Girelli geht, soll sich auch das ändern. Viel lobbyiert sie für weitere Professionalisierung. „Eine Mutter hat früher ihrer Tochter gesagt: Was bringt es dir, Fußballerin zu sein? Heute heißt es, einen Job zu haben. Ich weiß, dass es viel für die Eltern bedeutet, aber auch für das Mädchen selbst.“
Vor der Partie gegen Norwegen soll Nationaltrainer Andrea Soncin den Spielerinnen gesagt haben: „Schließt die Augen und erinnert euch an den Moment, als ihr das erste Mal einen Ball geschossen habt.“ Für Cristiana Girelli war das in einem anderen Fußballzeitalter. Dennoch hat sie den Weg in die Hochleistungsmoderne geschafft. Sie fühle sich nicht wie 35, bekundete sie zuletzt, die Liebe zum Spiel gebe ihr Kraft. Für das italienische Team ist die Kapitänin nicht nur mit ihrer Erfahrung und Effizienz wichtig.
Eine große Unterhaltungskünstlerin soll sie sein. „Sie ist so witzig“, schwärmt etwa Arianna Caruso. „Wenn ich neben Cristiana gehe, lache ich, egal über was.“ „Sie sorgt dafür, dass all ihre Teamkameradinnen entspannter sind“, sagt Barbara Bonansea, ebenfalls eine Veteranin.
Cristiana Girelli ist auch für das unorthodoxe Aufwärmprogramm verantwortlich. Seit Jahren tanzt das Team auf den Oldie „Macarena“. „Ich habe anfangs schlimme Beleidigungen für die Musikauswahl kassiert“, schilderte Girelli mal. „Aber dann ging es ins Ohr und heute hören wir es ständig.“
Ohnehin sorgt die italienische Elf für das Entertainment beim Turnier, spätestens, seit Torhüterin Laura Giuliani in der Mixed Zone erstaunlich treffsicher den Team-Hit „Unwritten“ in die Mikros sang. Gegen England darf der Traum gern noch weitergehen. „Sie sind die Titelverteidigerinnen, wir haben großen Respekt vor ihnen“, so Girelli. „Aber jetzt sind wir so weit gekommen – wir wollen weiter daran glauben und hier nicht aufhören.“ Denn noch etwas sagen die Teamkameradinnen: Sie soll eine sehr schlechte Verliererin sein.
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