Klimawandel fordert Mountainbiker heraus: Radeln zwischen bröckelnden Trails und abgerutschten Hängen
Der Mountainbike-Sport hat mit den Folgen des Klimawandels zu kämpfen. Die Branche und der Tourismus müssen sich neu erfinden. Das birgt auch Chancen.

Der Deutsche Alpenverein (DAV) hat sie begleitet und zeigt in der Doku „Das ist Alpencross“ die Auswirkungen der Erderhitzung auf den Trendsport. Starkregen, aber auch Hitze und Dürre durchkreuzen so manchen Urlaubsplan – und bedeuten selbst für erfahrene Sportler*innen höhere Risiken. Anpassungs-Strategien sind auch bei den Anbieter*innen von Mountainbike-Tourismus angesagt.
Gutes Wassermanagement sei schon immer Thema beim Wegebau gewesen, erklärt Jörn Hessen vom Mountainbike Forum Deutschland. Inzwischen habe es aber eine völlig neue Bedeutung, weil sich ganz normale Trails bei Starkregenfällen in reißende Bäche verwandeln könnten.
Nun würden Streckenverlauf und Design vor allem danach ausgelegt, wie plötzliche große Wassermassen abgeleitet werden können. Drainagen und Ablaufmulden sollen dabei helfen. Zudem sei früher wenig Wert auf ein exaktes Durchschnittsgefälle gelegt worden, sagt Hessen. Doch mittlerweile wisse man, dass zu steile Passagen „mit Ansage wegerodieren“. Sinnvoll sei es auch, bestimmte Trail-Abschnitte mit Steinen anzulegen und nur die Zwischenräume mit Erde zu füllen, da das leichter zu reparieren sei.
Findige Finanzierungsideen
Auch Hessens eigener Weihnachtsurlaub 2024 nach Norditalien in die Mountainbike-Region Finale Ligure fiel fast ins Wasser, da im Oktober heftige Unwetter gewütet und die Trails beschädigt hatten. Nur Crowdfunding half, sie schnell wieder instand zu setzen. Daneben nimmt die Region die Urlaubenden mit in die Verantwortung: Zahlen sie etwa im Restaurant mit einer speziellen Karte oder App, geht ein Prozent des Umsatzes in die Trailpflege. Das Modell würde gut funktionieren, so Hessen.
Aber nicht nur zu viel, auch zu wenig Regen ist ein Problem. Die Erde trocknet aus. „Steilkurven verhärten, werden wie Ton gebrannt und brechen dann einfach weg. Der Trail zerbröselt“, beschreibt Hessen. Betroffen seien insbesondere modellierte Passagen, die der Sonne ausgesetzt sind. „Schadensbegrenzung“ könne durch händisches Bewässern betrieben werden. Ein enormer Aufwand, aber im kommerziellen Bereich immer zwingender.
Beim Whistler Mountain Bike Park in Kanada, dem größten der Welt, ist zu sehen, wie es gehen kann. Schon vor etwa 10 Jahren begann man dort, automatisierte Bewässerungssysteme zu installieren.
Ewig wütet der Borkenkäfer
Besonders fatal ist laut Hessen die Kombination aus langer Trockenphase und heftigen Regenfällen: Bei Trockenheit brechen Kurven weg, der Abrieb lagert sich dann samt Steinchen und feinem Geröll in einer Senke ab. Fällt darauf Starkregen, „wird unheimlich viel Bodenmaterial von A nach B transportiert“. Die Trails wären dann oft wochenlang gesperrt. Besonders ehrenamtliche Vereine kämen an ihre Grenzen. Eine italienische Trailbaufirma experimentiere deshalb mit verschiedenen Pflanzen, deren Wurzelwerk vor Erosion schützen soll.
Neben Extremwettern machen auch steigender Borkenkäferbefall und weitere klimabedingte Waldschäden den Mountainbikern zu schaffen. Denn sie führen zu mehr Totholz im Wald, das ein Sicherheitsrisiko ist. Da ein gewisser Totholzanteil den Wald aber langfristig klimaresilienter mache, sei das Mountainbike Forum Deutschland für gesetzliche Rahmenbedingungen, die den Umbau der Wälder fördern. „Der Wald ist notwendig für unseren Sport. Der Schutz des Waldes ist der Schutz unseres Sports“, hat Hessen gelernt. Mountainbiken ohne Wald sei zwar technisch möglich, aber für viele Mountainbiker*innen unattraktiv.
„Bisher schaffen es unsere Streckenpfleger, die Schäden zu beheben“, erklärt Stephan Marx vom Mountainbikepark Pfälzerwald. Das dortige Streckennetz ist über 900 Kilometer lang. „Zum Teil müssen wir mit temporären Umlegungen reagieren und die Strecke nach und nach wieder instand setzen.“ Auch hier gab es in den vergangenen Jahren starke Erosionsschäden, Trockenphasen hätten Äste absterben lassen, die dann bei stärkerem Wind zu Boden fallen“, so Marx.
Ein ganzer „Rattenschwanz“
Nicolas Gareis vom DAV, kennt „ganz vielfältige Auswirkungen“ der Klimakrise auf alle Bergsportarten. Der DAV kümmert sich insbesondere in den Alpen um die Wege, größtenteils ehrenamtlich. Die Pflege habe in den letzten Jahren eine „andere Dimension“ angenommen, sagt Gareis, arbeitsmäßig und finanziell. Wenn ein Teil eines Wegs durch eine Mure zerstört oder eine Brücke weggerissen wird, weil der Gebirgsbach zum reißenden Strom geworden ist, sei schweres Gerät notwendig. Nach Hangrutschen müssen Wege verlagert werden. Mountainbiker*innen müssten dann entweder ihr Bike durch ein Geröllfeld tragen oder einen Umweg in Kauf nehmen. Ein Nebeneffekt sei, dass eingeschränkte Befahrbarkeit oder gesperrte Wege zu mehr Nutzungskonflikten zwischen Biker*innen und wandernden Menschen führten.
Weil in den Alpen auch noch Gefahren wie vermehrter Steinschlag durch tauenden Permafrost hinzukommen, sieht sich der DAV mit der „schmerzvollen“ Frage konfrontiert, ob das komplette Wander- und Bikingwegenetz aufrechtzuerhalten ist. Die Klimakrise ziehe einen ganzen „Rattenschwanz“ nach sich, so Gareis.
Trotz aller Ärgernisse biete der Klimawandel aber auch Chancen für den Mountainbike-Tourismus, sagt der DAV-Experte: Die Saisonzeiten verlängerten sich. Bis spät in den Herbst und bereits früh im Frühjahr könne Mountainbike gefahren werden. Gerade in Mittelgebirgen entdecken vormals reine Wintersportdestinationen den Rad-Sport deshalb als neuen Wert. Hänge, die im Winter als Skipiste genutzt werden, werden nun für Biker*innen im Sommer freigegeben.
Zwar liege der Arbeitsschwerpunkt des DAV im alpinen Raum, aber wegen der Klimakrise verlagere man einen Teil der Arbeit in die Mittelgebirge, wo viele Sektionen heimisch sind, sagt Gareis. Diese Regionen müssten „zukunftsfest“ gemacht werden. Denn „Mountainbiken wohnortnah auszuüben, ist auch gut fürs Klima, weil man das Auto stehen lassen kann.“ Mehrere Destinationen in Deutschland, etwa im Sauerland oder im Fichtelgebirge setzen bereits auf diese Strategie.
Auch die „Wexl Trails“ in Niederösterreich sehen wirtschaftliche Chancen in der längeren Saison. Dort soll sogar ein zweiter Bike-Lift entstehen, um einen hybriden Betrieb von Skifahren und Mountainbiken zu ermöglichen. Für ein „neues Biker-Mindset“, sagt Marketingleiterin Ines Buchgeher, müsse auch die Werbung angepasst werden. Nicht nur „Sommer, Sonnenschein pur“, sondern auch Fotos vom Mountainbiken in grauer, nebelbedeckter Landschaft. „Hauptsache bewegen, Hauptsache draußen“, so ihr Motto, um den „Winterblues“ bei Mountainbiker*innen obsolet zu machen.
Flexibilität sei in Zukunft hinsichtlich der Wege, der Saisonzeiten und der Tourengestaltung gefragt, sagt DAV-Mann Gareis. „Mountainbiker haben ein großes Interesse, in intakter Natur unterwegs zu sein. Keiner hat Freude, durch eine Mondlandschaft zu fahren.“ Diesem Wunsch nachzukommen, wird herausfordernder. Das Mountainbiken wird weiter nach neuen Wegen suchen müssen – wie die Biker*innen selbst.
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