Klimawandel in den Alpen: Bergsteigen wird gefährlicher

Weil es in den Alpen schmilzt, kommen Felsen ins Rutschen. Das erhöht das Risiko von Steinschlägen. Aber die Gefahr scheint bisher überschaubar.

Zwei Wanderer im Tiroler Sulztal

Man muss heutzutage den Berg immer weiter herauf wandern, um zum Gletscher zu kommen Foto: Hans Grundig/picture-alliance

LÄNGENFELD taz | Riesige Felsbrocken krachen mit lautem Getöse auf den Gletscher – nur wenig entfernt von unserer Wandergruppe. Manche Steine sind teils einige Meter groß und würden jeden Menschen erschlagen, den sie treffen. Immer mehr Geröll breitet sich minutenlang auf dem als Sulztalferner bekannten Gletscher in den österreichischen Alpen aus. Wie ein Lavastrom arbeitet sich das grauschwarze Band von einer eisfreien Bergspitze oberhalb des Gletschers Richtung Tal. Die Wucht dieses Gröllabgangs, sein gewaltiger Lärm, seine Dauer flößen Respekt und manchen auch Angst ein. Zum Glück ist über unserer Seite des Gletschers kein Fels ohne Eisdecke.

„Die Stütze durchs Eis ist nicht mehr da“, erklärt unser Bergführer, warum die Steine sich gelöst haben. „Das Eis, wenn es groß genug ist, stützt ja ein bisschen. Anstatt dass da Schnee liegt, haben wir nun eine glänzende Oberfläche.“ Und Boden, der früher vom Eis bedeckt und von diesem zusammengehalten worden war, taut auf, weil der Gletscher ständig schrumpft. Dass er schrumpft, liegt an den gestiegenen Temperaturen. Der Schnee und das Eis schmelzen, ohne dass sich genügend Nachschub bildet.

Unter unseren Füßen sehen wir das Schmelzwasser abfließen, was im Sommer auch vor dem Klimawandel passierte – aber nicht in diesem Ausmaß. Vor 130 Jahren reichte der Sulztalferner bis in die Nähe der Amberger Hütte, bei der unsere Wanderung begann. Heute mussten wir dreieinhalb Stunden laufen, bis wir am Rand des Gletschers ankamen.

Das Eis schmilzt weltweit. Ein Team um Wissenschaftler David Rounce von der Carnegie Mellon University im US-Bundesstaat Pennsylvania hat in der Fachzeitschrift Science prognostiziert, dass Gebirgsgletscher bei einem globalen Temperaturanstieg von 1,5 bis 4 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 ein Viertel bis fast die Hälfte ihrer Masse verlieren werden. Dabei seien Gebirgsgletscher für fast 2 Milliarden Menschen eine wichtige Wasserressource. Zudem trägt ihr Schmelzen dazu bei, dass der Meeresspiegel steigt.

Forschende warnen vor mehr Risiken für Wandernde

Doch das sind für viele andere Menschen Gefahren, die ihnen als weit weg erscheinen. Genauso wie andere Risiken durch die Erderhitzung. Aber wenn vor den eigenen Augen lebensbedrohliche Felsen niedergehen, dann wirkt der Klimawandel plötzlich ganz nah. Es geht nicht mehr „nur“ um ungesund hohe Temperaturen in einigen Jahrzehnten, Überschwemmungen in weit entfernten Orten, Dürren auf Feldern irgendwo, sondern um einen Fels, der einen hier und jetzt erschlagen könnte.

Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften stellte 2021 in einer vom Schweizer Bundesamt für Umwelt finanzierten Studie eine „Zunahme der Gefahren für Wandernde“ in der Alpenrepublik durch den Klimawandel fest. Das betreffe zum Beispiel die „oft spontanen, gravitativen Naturgefahren“ wie Steinschlag oder Muren. Mit Muren sind Ströme von Schlamm und Gesteinsschutt gemeint, die durch starken Regen oder Schneeschmelze hervorgerufen werden.

„Die klimatischen Änderungen führen zum Auftauen von bindendem Eis (Gletscher, Blockgletscher, Permafrost) und zur Übersättigung der Felsen und Böden mit Wasser, was zu Instabilitäten des Untergrunds führen kann“, erläutern die ForscherInnen. Aber auch die veränderten „meteorologischen Gefahren“ wie vermehrte oder stärkere Stürme oder Gewitter nähmen zu.

Steinschläge würden „insbesondere in Gebieten mit Permafrost“ und bei Starkregen häufiger stattfinden. Felsstürze, bei denen noch mehr Gesteinsmasse als bei Steinschlägen fällt, würden nicht nur häufiger, sondern auch größer werden. Auch wird es der Prognose zufolge mehr Muren geben.

Im Hochgebirge fehlt der Eiskleber

„Das Wandern in den hochalpinen Regionen der Alpen wird gefährlicher“, sagte Tirols Landesgeologe Thomas Figl der taz. Steinschläge und Felsstürze habe es auch schon früher gegeben. „Aber es kommt eben vor allem in hochalpinen Bereichen immer öfter zu derartigen Ereignissen.“ In unbewachsenen und felsigen Hochgebirgslandschaften, in denen nun der Eiskleber fehlt, sei die Gefahr naturgemäß höher als in Regionen des niedrigeren bayerischen Alpenvorlands, in denen Gras und Bäume den Boden halten.

„Gerade für Hochtourengeher sind die Folgen der Erderhitzung und die damit verbundenen, erhöhten Risiken in den (noch) vergletscherten Regionen dramatisch“, räumt sogar der Österreichische Alpenverein ein, der den Bergsport fördert. „Wir müssen uns aber der zunehmend größeren, objektiven Gefahren bewusst werden und der Tatsache ins Auge blicken, dass manche Touren anspruchsvoller werden, manche nur mehr in einem kleinen Zeitfenster machbar sein werden und manche Touren gar nicht mehr unter einem vertretbaren Risiko begangen werden können.“

Vom Wandern in den Alpen will aber keiner der von der taz befragten Experten generell abraten. „Man kann weiter sicher wandern“, sagt zum Beispiel Permafrost-Forscher Alexander Bast vom Institut für Schnee und Lawinenforschung in der Schweiz. Die Behörden würden Wanderwege sperren, auf denen das Risiko etwa für Steinschlag zu hoch sei.

Tatsächlich ist das Risiko durch Ereignisse wie Steinschläge überschaubar, die durch den Klimawandel zunehmen kön­nen:­ In Österreich kam 2022 nur 1 Mensch bei einem Alpinunfall durch Steinschlag um, aber 96 durch Absturz, Ausrutschen, Ausgleiten oder Stolpern und 70 durch eine Herz-Kreislauf-Störung. Das teilte das Österreichische Kuratorium für Alpine Sicherheit der taz mit.

26 der 109 Menschen, die 2022 laut Schweizer Alpen-Club im dortigen Gebirge beim Bergsport ums Leben kamen, starben durch Spalteneinbruch auf Gletschern, Steinschlag, Eisschlag oder Lawinen. 79 dagegen stürzten.

Lieber keine Pause unter einer hohen Felswand

„Aber man muss einfach wissen: Es kann etwas passieren, und deshalb muss man aufpassen“, sagt Permafrostexperte Bast. Unterhalb einer hohen Felswand etwa sollte man nicht Pause machen, sondern zügig gehen, um das Steinschlagrisiko zu reduzieren.

„Früher war eine Begehung der Eiger-Nordwand bei winterlichen Bedingungen außergewöhnlich, heutzutage ist dies aufgrund der herrschenden Steinschlaggefahr im Sommer ein absolutes Muss“, rät der Österreichische Alpenverein. Im Grunde müssten jetzt die meisten Hochtouren vom Spätherbst bis zum Frühjahr begangen werden, sofern die Routen überhaupt noch existieren, so Gerhard Mössmer, Bergsportexperte der Organisation. Und: „Wurde der Steinschlaghelm auf Hochtour früher noch belächelt, ist er heute Standard.“

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