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Frauenfußball-EMZu flügellastig, zu wenig flexibel

Alina Schwermer
Kommentar von Alina Schwermer

Das deutsche Team ist im Halbfinale ausgeschieden. Die selbst ernannten Titelkandidatinnen spielten oft wie ein Underdog.

Verloren und traurig: Nach dem Spiel gegen Spanien umarmen sich die Spielerinnen Klara Bühl und Selina Cerci Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

A m Ende haben sie vielleicht selbst geglaubt, dass Mentalität, Zweikampf und Aufopferung allein es schon richten werden bei dieser EM. Gegen die spielstarken Spanierinnen hat sich das DFB-Team im Halbfinale über alle Maßen eingeigelt – und ist verdient in der Verlängerung ausgeschieden. Seit der Abwehrschlacht gegen Frankreich ging der öffentliche Diskurs in Deutschland penetrant um vermeintliche deutsche Kampftugenden. Das ist sowohl Ausweis des Zeitgeists als auch der spielerischen Mängel, an denen die Elf im Turnier litt.

Viel zu flügellastig war der Spielaufbau, viel zu wenig variabel die Offensive, gerade das Zentrum oft kaum eingebunden. Taktisch ist man in einem Fußball von vor zehn Jahren stecken geblieben. Also galt: Verteidigen, was das Zeug hält. Schön war das selten. Die selbst ernannten Titelkandidatinnen spielten oft wie ein Underdog. Gegen Spanien hätte es trotzdem wieder gut gehen können. Ein Glück, dass sich die Künstlerinnen durchgesetzt haben.

Es ergibt sich nach dem Halbfinal-Aus eine merkwürdige Dissonanz zwischen der tatsächlichen Qualität des DFB-Teams und der Wahrnehmung. Denn viele Fans in Deutschland hat gerade diese Spielweise begeistert. In Deutschland gelten Tacklings und Flanke-Kopfball-Tor-Fußball seit je her mehr als ein kluger Pass in die Tiefe. Und traditionell werden Turniere vom Ergebnis her analysiert. Da war die DFB-Elf ein paar Minuten vom Finale entfernt.

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Es ist gut für den Fußball der Frauen, dass die Welle der Begeisterung rollt. Das leidenschaftliche Kollektiv hat es sich verdient. Schlecht ist diese Schönfärberei für die sportliche Aufarbeitung. Das Halbfinal-Aus war kein Pech, sondern eher ein etwas zu gutes Resultat. Die Deutschen müssten vor allem dringend ihren taktischen Rückstand im Offensivspiel angehen.

Auch eine Spielidee war kaum erkennbar. Doch Trainer Wück und seine Spielerinnen hoben vor allem ihren Stolz und eigenes Pech hervor. Kanzler Merz schrieb ranschmeißerisch bei Instagram: „Bis zuletzt stark gekämpft, am Ende hat es leider doch nicht gereicht“. Unfreiwillig ziemlich gut auf den Punkt.

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Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum und Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen und übers Reisen. Autorin mehrerer Bücher, zuletzt "Futopia - Ideen für eine bessere Fußballwelt" (2022), das auf der Shortlist zum Fußballbuch des Jahres stand.
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9 Kommentare

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  • Wenn eine Mannschaft deutlich schlechter spielt als die andere und anschließend wegen eines Torwärterinnenfehlers (dieses Wort kannte der Korrekteur noch nicht) verliert, dann ist das Ergebnis ok. Und das hat sogar Ann-Katrin Berger selbst gesagt. Erst mit einer halben Stunde Verspätung ist auch die ARD draufgekommen, dass in der fraglichen Situation die kurze Ecke zu sein muss.

  • Vielen Dank für die Analyse - Analysen sind im Frauenfußball leider immer noch rar, und zwischen dem Bashing und den Jubelpersereien schwer zu finden.



    Dennoch teilweiser Widerspruch:



    Zum einen haben meiner Meinung nach die Deutschen nicht aus Dummheit und Verstocktheit flügellastig gespielt, sondern aus zwei Gründen - erstens, weil die Spanierinnen cool verteidigt und das Zentrum dichtgehalten haben, zweitens aus Respekt vor der Kontermacht der Spanierinnen - bei einem Ballverlust am Spielfeldrand ist eine Verteidigung sehr viel einfacher, weil man gute Chancen hat, die ballführende Spielerin am Spielfeldrand einzuklemmen und den Ball ins Aus zu befördern. Aus exakt denselben Gründen haben übrigens auch die Spanierinnen flügellastiger gespielt als gewohnt: weil im Zentrum wenig ging, und weil auch sie keine Lust auf schnelle Gegenstöße von Bühl und Brand hatten.



    Zum anderen finde ich nicht, dass eine Spielidee gefehlt hat. Es ist nun einmal so, dass Deutschland im Frauenfußball Nachholbedarf hat. Dass Frankreich und Spanien besser kicken können, wussten wir schon vorher. Das ist weder eine Schande, noch ein Grund, kampflos zu verlieren. Daher: Sehr gut das Beste rausgeholt.

  • Natürlich geht es um den Sieg. Wenn es nicht so wäre, könnten wir das Ganze, also von der Verbandsarbeit bis hin zu den großen Turnieren, einfach lassen. Und da ist es zweitrangig, ob es um Schönspielerei oder um Mentalität geht.



    Gestern war es eben mitnichten so, dass die Schönspielerinnen (3 Gelbe) durch die brutalen, nur Foul könnenden Willensmonster (1 Gelbe) gestoppt wurden, bis letztere in der 113. Min. zwei schwere Fehler begingen.



    In der ersten Halbzeit hätten sich die Dt. mehr zutrauen können, aber sie folgten ihrem Spielplan: dichtmachen. Hätte in den letzten 5 Mi. schiefgehen können, die einzige Phase, wo den Spanierinnen mal das Kurzpassspiel durch die Mitte gelang.



    Ansonsten war das Spiel der Span. ebenfalls (entgegen der Analyse oben) sehr "flügellastig", besonders über links.



    Ab Mitte der zweiten Halbzeit ließ dann die Spiellaune der Span. (oder ihre Physis) langsam nach.



    Das Ergebnis geht aus meiner Sicht so völlig in Ordnung. Bestraft wurden eben die beiden erwähnten Fehler (wobei der individuelle Fehler von Fr. Berger natürlich einen tragischen Aspekt hat).



    Alles in allem: Das deut. Minimalziel, immer unter die besten Vier eines Turniers zu kommen, wurde erreicht.

  • Danke werte Damen, dass ihr so weit gekommen seid.



    Und lasst euch den Erfolg nicht von 40 Millionen männlichen Fußballspezialisten schlecht reden.

  • Etwas erschreckend fand ich, dass Wück dann sinngemäss sagte, er wolle sich nichts von den Spanierinnen abschauen, sondern diesen Stil fortsetzen. Dann brauchts auch keine Talentförderung, sondern mehr Kampfsportausbildung.

    • @TV:

      Nene, aber man kann das Training komplett ohne Ball gestalten. Ab in den Wald, und dann laufen, bis die Lunge nicht mehr mitspielt.

    • @TV:

      Nicht jemand anderes schlicht zu kopieren, ist in meinen Augen eine gute Entscheidung. Dass Wück Stillstand im Sinn hat, habe ich wohl überhört

  • Es gibt keinen Spielstil, der immer überlegen ist und immer gewinnt. Bei den Männern haben die Spanier jahrelang mit ihrem Tiqui-Taka die großen Turniere dominiert, 2014 aber haben sie damit dann gegen Holland eine 1:5-Klatsche kassiert und sind früh ausgeschieden.

    Wenn man bedenkt, dass bei der aktuellen Frauen-EM mit Oberdorf und Gwinn zwei ganz zentrale Spielerinnen gefehlt haben (ist wohl so ähnlich, als hätten die Männer 2014 ohne Kroos und Schweinsteiger spielen müssen), dann ist das Erreichen des Halbfinals wohl fast schon mehr, als zu erwarten war.

  • Kann der Autorin nur beipflichten. Eigentlich ist das Ergebnis zu gut. Und das ganze Gesums von "Spielen und Siegen" und "Mentalität" zeigt wieder einmal, wie Fußball fur identitäre Diskurse vereinnahmt wird. Eigentlich hatte mir gerade deswegen auch der Frauen-Fußball mehr gefallen, weil es bislang vor allem um Sport ging dabei. Schade drum!