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Tricksereien in der NavigationssoftwareAnti-Auto-Aktion auf Google Maps

Weil ihr Städtchen im Sommer von Autos blockiert wird, gingen Be­woh­ne­r*in­nen digital dagegen vor. Doch die großen Konzerne nutzen ähnliche Tricks.

Gemeinsam gegen die Autofluten gingen die Be­woh­ne­r*in­nen von Zandvoort vor

Sommer, Sonne, Sonnenschein bedeutet häufig auch volle Straßen, Strandliegen und Parkplätze. So ist auch der niederländische Badeort Zandvoort, 25 Kilometer westlich von Amsterdam, im Sommer regelmäßig von Tou­ris­t*in­nen überlaufen.

Be­woh­ne­r*in­nen hatten nun genug von den angereisten Strandgänger*innen, die ihr Viertel zuparken, und griffen zu einem Trick, um diese möglichst fernzuhalten: Koordiniert meldeten sie bei Google Maps Straßensperrungen – die allesamt erfunden waren.

Um ihren Ort vor dem Übertourismus zu schützen, nutzten die An­woh­ne­r*in­nen von Zandvoort den Algorithmus von Google Maps. Wenn mehrere Personen gleichzeitig Straßensperrungen melden, hält Maps diese für echt und übernimmt sie in seine Navigation. Tourist*innen, die per Navi auf dem Weg nach Zandvoort waren, wurden daher auf die gesperrten Zufahrtsstraßen hingewiesen und umgeleitet. An­woh­ne­r*in­nen sprachen im Anschluss von einer gelungenen Aktion, tatsächlich seien aufgrund der gefälschten Meldungen viele Be­su­che­r*in­nen bereits im Vorhinein zu Hause geblieben.

Um dem digitalen zivilen Ungehorsam der Be­woh­ne­r*in­nen etwas entgegenzusetzen, hat die Gemeinde inzwischen Schilder aufgestellt, die frühzeitig auf die gefälschten Straßensperrungen hinweisen und empfehlen, nicht auf das Navigationssystem zu vertrauen. „Navigation aus, Parkroute folgen“, prangt es nun auf Niederländisch und Deutsch an den Zufahrtsstraßen.

Digitale Karten sind ein Feld gesellschaftlicher Machtkämpfe

Die Aktion in Zandvoort zeigt eindrücklich, wie manipulationsanfällig digitale Karten sind. Was durch den Algorithmus auf digitalen Karten abgebildet wird, schafft eine selektive Realität. Das wissen auch die Unternehmen hinter den digitalen Karten. Denn die Tricks von ein paar organisierten Be­woh­ne­r*in­nen wendet Google Maps selbst schon längst an.

Statt der Bereitstellung optimaler Routen führt Google Maps Nut­ze­r*in­nen häufig gezielt auf falsche Fährten. Was etwa als „belebte Zone“ oder schnellste Route ausgegeben wird, kann Nut­ze­r*in­nen bewusst an seinen finanzstarken Sponsoren vorbeiführen. Unternehmen zahlen Geld an Google, damit sie bei Maps schneller angezeigt werden, mit Markenlogo auftauchen und damit Routen eher an den Geschäften vorbeiführen.

Neben der gezielten Lenkung nach eigenen Geschäftsinteressen können Täuschungen und Fälschungen digitaler Karten auch noch drastischere Folgen haben. Laut einer Untersuchung der NGO Center for Countering Digital Hate werden Nutzer*innen, die in einigen US-Bundesstaaten nach Abtreibungskliniken in der Umgebung suchen, häufig zu Fake-Kliniken geführt, sogenannten „Crisis Pregnancy Centers“, die von radikalen Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen betrieben werden. Der NGO zufolge soll Google mit diesen fälschlichen Hinweisen 10 Millionen US-Dollar an Werbeeinnahmen erzielt haben.

Digitale Karten dienen eben nicht nur zur Navigation, ihre Beeinflussung kann für kommerzielle Interessen genutzt werden, sie sind ein Feld gesellschaftlicher Machtkämpfe. Bei einem weltweiten Marktanteil von über 70 Prozent hat Google Maps eine immense Macht über die geografische Realität. Die Aktion der Be­­woh­ne­r*in­nen von Zandvoort zeigt im Kleinen, wie leicht digitale Fakes die Wirklichkeit auf den Straßen beeinflussen können.

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14 Kommentare

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  • Es gibt Alternativen zu Google Maps. Am bekanntesten ist das nichtkommerzielle Open-Source-Projekt www.OpenStreetMap.org, das ähnlich wie Wikipedia funktioniert. Dort kann jeder kostenlos die Karte betrachten und Routen berechnen, aber auch Ergänzungen eintragen.

    Mit den Apps Organic Maps oder OsmAnd lassen sich diese freien Daten am Handy nutzen. Wanderwege und Fahrradewege sind detaillierter wie bei Google, das sich auf's Autofahren konzentriert.

    Mehr Informationen dazu gibt es auf OpenStreetMap.de

    Für Autonavigation stehen die kommerziellen europäische Alternativen "HERE WeGo" und Mapy.cz dem großen Vorbild in nichts nach.

  • Die Quelle würde mich auch sehr interessieren!

  • Und ich hab mich schon gewundert, warum meine Route von Köln nach Frankfurt am Fashion Outlet Duisburg vorbeiführt....

  • Da würde mich mal interessieren, wie schnell Google da reagiert, ich mache immer wieder die Erfahrung, das Umleitungen erst dort erscheinen wenn sie nicht mehr bestehen. Wenn man falsche Strecken wie nicht befahrbare Wege oder falsche Benennugen dort z.b. per Email meldet erhält man fast nie eine Rückmeldung und es wird auch nichts geändert.

  • Der Fall Zandvoort verdeutlicht eindrücklich, wie Narrität und Technologie heute bedingen, ja produzieren. Google Maps reagiert auf kollektive Signale – und verstärkt damit Realität, selektiv und manipulierbar.

  • Das hört sich ein wenig nach einer Verschwörungserzählung an; meint Ihr nicht auch?

  • Seit Google Maps die "spritsparenden" Routen eingeführt hat, werden viele hier auch über für regelmäßigen Verkehr völlig ungeeignete Wirtschaftswege geleitet, die zuvor parktisch Spaziergängern, Radlern oder der Landwirtschaft vorbehalten waren. Sie sind zwar auf dem Papier ein paar Meter kürzer, aber viel gefährlicher und von der Dauer her länger als die üblichen Routen. Bei ein paar davon habe ich das gemeldet, aber Google ist das natürlich egal.

  • Dafür hätte ich gerne eine Quelle:

    "Statt der Bereitstellung optimaler Routen führt Google Maps Nut­ze­r*in­nen häufig gezielt auf falsche Fährten. Was etwa als „belebte Zone“ oder schnellste Route ausgegeben wird, kann Nut­ze­r*in­nen bewusst an seinen finanzstarken Sponsoren vorbeiführen. Unternehmen zahlen Geld an Google, damit sie bei Maps schneller angezeigt werden, mit Markenlogo auftauchen und damit Routen eher an den Geschäften vorbeiführen."

    Wahr ist, dass man mit Geldzahlungen seine Sichtbarkeit beeinflussen kann. Aber ich habe keine Hinweise gefunden, dass auch die Route angepasst wird.

    • @Peter Rabe:

      steht alles in Quality Land von Marc Uwe Kling. :)



      mehr Quellen sind mir auch nicht bekannt. Ich schließe mich also der Frage an.

    • @Peter Rabe:

      Richtig. wenn das wahr wäre, hätte es in IT-Kreisen schon lange einen Aufschrei gegeben, und das wäre mir nicht entgangen. Ich zweifle das auch stark an (und empfehle der taz, das ganz dringend zu prüfen - das ist die Behauptung einer potentiell geschäftsschädigenden Tatsache, bei denen Falschberichte übel ausgehen können - im Gegenzug, falls die taz das tatsächlich belegen kann, dann wäre das ein Coup).

    • @Peter Rabe:

      Das ist mal eine sehr starke Behauptung, ohne jegliche Quellenangabe. Wenn dem wirklich so ist, wäre das IMHO der viel größere Aufmacher. Daher: Bitte wirklich mal die Quelle dazu nachreichen.

      Wenn keine vorhanden: Bitte diesen Teil streichen, da solche Legendenbildung niemanden hilft, und kein Vertrauen in irgendwen aufbaut.

    • @Peter Rabe:

      Wird sie auch nicht. Ich habe im Auto ein normales Navi mit eigener Software, gelegentlich vergleichen meine Kinder die Route auf dem Smartphone via GoogleMaps. Ergebnis: es wird die identische Streckenführung empfohlen.

  • Klingt für mich so etwas wie ein Krieg der Gemeindeverwaltung gegen ihre Bürger ...