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Rüstungslieferungen nach Israel„Die letzten Wahrer der deutschen Staatsräson“

Keine Rüstungsgüter mehr nach Israel? Für Teile der Union unvorstellbar. Dafür gibt es historische Gründe, sagt Politikwissenschaftler Daniel Marwecki.

Der israelische Premierminister David Ben-Gurion (l.) und der deutsche Kanzler Konrad Adenauer bei einem Treffen 1960 in New York Foto: dpa
Sabine am Orde
Interview von Sabine am Orde

taz: Herr Marwecki, Sie erforschen die Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen. Hat Sie die Empörungswelle in der Union überrascht, nachdem Kanzler Friedrich Merz angekündigt hatte, keine Rüstungsgüter mehr nach Israel zu liefern, die in Gaza eingesetzt werden können?

Daniel Marwecki: Nein, nicht wirklich. Zum einen ist diese Empörung auch in der augenblicklichen innenpolitischen Lage begründet. Manche Leute in der CDU wie zum Beispiel Jens Spahn profilieren sich so in Abgrenzung zu Merz als die letzten Wahrer der deutschen Staatsräson. Im Zusammenspiel übrigens mit Medien wie Bild und Nius, diesem Format von Julian Reichelt. Zum Zweiten gibt es historische Gründe für diese Empörung.

taz: Welche?

Marwecki: Die deutsch-israelischen Beziehungen hatten schon immer viel mit Waffen zu tun, auch gleich zu Beginn bei Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem israelischen Ministerpräsidenten David Ben-Gurion. Am Anfang steht zwar das Reparationsabkommen von 1952, dabei ging es vor allem um Industriehilfe. Mitte der 50er Jahre aber wurde da­raus schon eine Militärkooperation, und die war für Israel existenziell wichtig. Der Sechstagekrieg wäre 1967 ohne deutsche Waffenhilfe so nicht zu gewinnen gewesen. Die USA sind erst seit Mitte der 60er Jahre Israels primärer Partner. Für viele in der Union ist diese Militärkooperation der Kern der Solidarität mit Israel.

Im Interview: Daniel Marwecki

Politik­wissenschaftler aus Bremen, lehrt Internationale Bezie­hungen an der University of Hong Kong. Sein Buch „Absolution? Israel und die deutsche Staatsräson“ erschien 2024.

taz: „Wiedergutmachung“ wurde das damals genannt.

Marwecki: Ja, dabei war die Belieferung mit Waffen unter Adenauer nicht bedingungslos. Ben-Gurion hat im Gegenzug international zu einem besseren Image der Bundesrepublik beigetragen. Das war der Deal, wie sich an den Akten sehr leicht ablesen lässt, die Bevölkerung war hier wie dort nicht begeistert. Deshalb heißt mein Buch auch „Absolution“ oder auf Englisch „Whitewashing and State Building“. Später wurden unter Kohl und Merkel weiter Waffen geliefert, wobei besonders die U-Boote wichtig sind. Sie können nuklear bestückt werden und sind wichtig zur Verteidigung und Dominanz gegenüber dem Iran.

taz: Die CSU schien nach den Äußerungen von Merz besonders empört. Woran liegt das?

Marwecki: Natürlich hat auch das etwas mit der aktuellen Innenpolitik zu tun, dem Einfluss der CSU und Bayerns. Aber man kann es auch zurückverfolgen bis Franz Josef Strauß, der übrigens im Bundestag nicht für den Reparationsvertrag mit Israel gestimmt hat, weil er die arabischen Staaten nicht verärgern wollte. Als Verteidigungsminister hat er sich aber dann ganz besonders für Waffenlieferungen an Israel eingesetzt, da haben Adenauer und Strauß als Duo agiert. Auch hier gibt es also diese Tradition.

taz: Was halten Sie von der These, dass wegen der historischen Bedeutung der Waffenlieferungen die Empörung innerhalb der Union vermutlich größer war, als wenn Merz zu anderen Schritten gegenüber Israel gegriffen hätte, etwa ­einem Einreiseverbot für die beiden rechtsextremen Minister?

Marwecki: Ja, es geht hier um den Kern des Selbstverständnisses. Und wenn man das Wort Staatsräson ernst nimmt, dann kann es eigentlich sowieso nur auf Waffenlieferungen hinauslaufen. Staatsräson bedeutet ja, dass man die Sicherheit Israels zu seiner eigenen Aufgabe macht. Und was macht einen Staat sicher? Die Fähigkeit, sich zu verteidigen. Das heißt, Waffenlieferungen sind der materielle Ausdruck der Staatsräson.

taz: Der Begriff Staatsräson geht auf Angela Merkel und ihre Rede im israelischen Parlament 2008 zurück. Hat sie das damals tatsächlich so gemeint?

Marwecki: Angela Merkel hat damals kaum von den Palästinensern geredet. Die zweite Intifada war vorbei, der Oslo-Prozess in Richtung Zweistaatenlösung war gescheitert. Es war aber auch klar, dass die Palästinenser Israel nicht existen­ziell bedrohen können. Ein nuklear bewaffnetes iranisches Regime könnte das aber schon. Und um die Bedrohung durch den Iran ging es Merkel damals. Ich glaube nicht, dass sie sich gedacht hat, dass man später mal im Namen des Begriffs Staatsräson einen mehrjährigen Zerstörungskrieg gegen Gaza unterstützen würde.

taz: Meinen Sie also – völlig unabhängig davon, wie man es bewertet –, wenn ein Teil der Union jetzt argumentiert, Merz ’ Ankündigung verrate das Versprechen der Sicherheit Israels als Staatsräson, trägt das inhaltlich gar nicht?

Marwecki: Ja, genau. Ohnehin hat die Staatsräson im rhetorischen Sinn seit 2008 lange ein Schattendasein gefristet. Nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 wurde sie dann sehr präsent.

taz: Was genau ist die Funktion dieses Begriffs?

Marwecki: Er klingt wie ein Rechtsbegriff, aber das ist er nicht. Staatsräson als Begriff ist eine politische Setzung, die aus der Zeit des Absolutismus stammt. Schon 2008, als Merkel diese Rede in der Knesset gehalten hat, gab es zwischen Regierung und Gesellschaft ungleiche Einschätzungen mit Blick auf die Israelpolitik. Es gab damals keine gesellschaftliche Mehrheit für die Regierungspolitik, und heute gibt es die noch viel weniger. Der Begriff Staatsräson soll das auflösen. Er besagt, dass der Staat etwas tun muss, weil es die Existenz dieses Staats in seinem Kern berührt, und das ist quasi alternativlos, egal was die Mehrheit der Bevölkerung denkt. Konkret heißt das: Israels Sicherheit ist unsere eigene. Wenn man das von außen betrachtet, wirkt das alles sehr ideologisch.

taz: Finden Sie es nicht richtig, wenn sich Deutschland aus historischer Verantwortung heraus für die Sicherheit Israels zuständig fühlt?

Marwecki: Doch, aber darum geht es in Gaza nicht mehr, das hat letztlich sogar Friedrich Merz zur Begründung seiner Entscheidung gesagt. Er ist mit dieser letzten Eskalation Netanjahus in Gaza nicht einverstanden. Und außenpolitisch macht das alles jedenfalls keinen Sinn. Eigentlich unterstützen nur noch die USA unter Trump und Deutschland den israelischen Kurs. Aber wenn man sich als letzter Verteidiger der liberalen internationalen Ordnung gerieren möchte, dann sollte man die Kriegsverbrechen in Gaza nicht unterstützen und sich als Vertragsstaat des internationalen Strafgerichtshofs auch an dessen Strafbefehle gebunden fühlen …

taz: Sie spielen auf die Ankündigung von Friedrich Merz noch vor seiner Vereidigung als Bundeskanzler an, er werde dafür sorgen, dass Benjamin Netanjahu nach Deutschland reisen und es auch wieder verlassen kann, obwohl es einen Haftbefehl des Strafgerichtshofs gibt?

Marwecki: Genau. All das wird global natürlich wahrgenommen, auch der Kommentar der „Drecksarbeit“ im Zusammenhang mit dem Iran. Das darf man nicht unterschätzen. Der gute Ruf, den sich Deutschland unter anderem im Nahen Osten aufgebaut hatte, ist in den letzten zwei Jahren verschwunden.

taz: Welche Rolle spielt in dieser ganzen Debatte, dass sich die AfD jetzt auch noch als der größte Freund Israels darstellen kann?

Marwecki: Die AfD hat da einen neuen Hebel entdeckt, in dem sie auf die Ursprünge der deutschen Israelpolitik rekurriert, die wir ja bereits besprochen haben. Sie sagt, eigentlich wie Adenauer damals: Wenn man pro Israel ist, kann man kein Antisemit sein. Und gleichzeitig kann die AfD so auch neben ihrem Antisemitismus noch ihren antimuslimischen Rassismus zum Ausdruck bringen. Das ist alles sehr durchsichtig. Das Problem ist, dass diese Taktik im deutschen Debattenkontext so gut aufzugehen scheint.

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1 Kommentar

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  • Die Empörung in der Union über die Entscheidung von Merz, die Waffenlieferungen an Israel zu stoppen, kann auch als letztes Aufbäumen derer interpretiert werden, die auf Biegen und Brechen am Begriff der Staatsräson festhalten, um das besondere Verhältnis Deutschlands zu Israel zu definieren. Auf Dauer werden die Beziehungen zu Israel ohnehin neu bestimmt werden müssen, also typische konservative Rückzugsgefechte.



    Interessanter sind da doch die Anmerkungen Marweckis zum Verhältnis der AfD zu Israel. Bis auf einige hartgesottene „Traditions“-Nazis hat es die Neue Rechte - zu der ich die AfD zähle - nämlich überhaupt nicht mehr nötig, die antisemitische Klaviatur zu spielen. Islamfeindlichkeit geht da besser, um politische Mehrheiten zu generieren.



    Hinzu kommt die ideologische Nähe der Völkisch-Nationalen hierzulande zu den Rechtszionisten von Likud und der noch extremeren Rechten in Israel. Und eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.