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Koloniale Spuren in BerlinGericht stoppt Umbenennung der „Mohrenstraße“

Im Berliner Zentrum sollte am Samstag der Begriff „Mohr“ aus einem Straßennamen gestrichen werden. Das Verwaltungsgericht stellt sich überraschend quer.

Schilder des Anstoßes: Am Samstag sollte die Straße in Berlin-Mitte eigentlich Anton-Wilhelm-Amo-Straße heißen Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Berlin afp/epd/taz | Die für Samstag in Berlin-Mitte geplante offizielle Umbenennung der „Mohrenstraße“ in Anton-Wilhelm-Amo-Straße ist vorerst gestoppt. Das Verwaltungsgericht Berlin gab mit einem am Freitag verkündeten Beschluss dem Eilantrag eines Anwohners statt. Zur Begründung hieß es, es fehle an einem besonderen öffentlichen Interesse für die sofortige Vollziehung des Umbenennungsbeschlusses des Bezirksamts Mitte.

Auf Initiative des Bezirksparlaments hatte das Grünen-geführte Bezirksamt bereits im April 2021 die Tilgung des als rassistisch und kolonialistisch verstandenen Begriffs „Mohr“ aus dem Straßennamen im Zentrum Berlins beschlossen. „Mohr“ sei diskriminierend und schade „dem Ansehen Berlins“.

Der geplante neue Name geht dagegen auf den um 1703 im heutigen Ghana in Westafrika geborenen Anton Wilhelm Amo zurück, der als Kind nach Deutschland verschleppt wurde. Er war hierzulande der erste bekannte Philosoph und Rechtswissenschaftler afrikanischer Herkunft.

Gegen den Beschluss des Bezirksamts erhoben mehrere Anwohner der Straße jeweils Klage. Eine dieser Klagen wies das Verwaltungsgericht Berlin ab, die anderen Klagen wurden im Einverständnis aller Beteiligten „ruhend gestellt“. Im Fall der bereits verhandelten Klage erklärte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Umbenennung im Juli dann für rechtskräftig. Daraufhin ordnete das Bezirksamt die sofortige Vollziehung der entsprechenden Allgemeinverfügung an.

Gericht interessiert sich nicht für Gedenktage

Die ersten Straßenschilder mit dem neuen Namen Anton-Wilhelm-Amo-Straße hängen dann auch bereits an einigen Ecken. Am Samstagnachmittag sollten sie symbolisch enthüllt werden. Das ist mit der nun kurz zuvor getroffenen Gerichtsentscheidung erst mal hinfällig.

In einem Eilantrag gegen die Verfügung machte einer der nach wie vor klagenden Anwohner geltend, dass die Umbenennung nicht vorgenommen werden dürfe, bevor über seinen bislang ruhenden Fall entschieden sei. Mit vorläufigem Erfolg: Das Bezirksamt habe nicht dargelegt, warum die Umbenennung so dringlich sei, dass sie an diesem Samstag und damit vor Abschluss des Klageverfahrens vollzogen werden müsse, erklärte das Verwaltungsgericht.

Dass der 23. August der Internationale Tag zur Erinnerung an den Sklavenhandel und seine Abschaffung sei, stelle „keinen zwingenden Grund“ dar, die Umbenennung „ausgerechnet an diesem Datum im Jahr 2025“ durchzuführen.

Auch die vielfältigen Vorbereitungen für die geplante Umbenennung begründeten keine besondere Dringlichkeit, da das Bezirksamt sie „sehenden Auges selbst veranlasst“ habe, so das Verwaltungsgericht.

Bezirk Mitte legt Berufung ein

Noch am Freitag legte das Bezirksamt Mitte beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Beschwerde ein gegen die Entscheidung. Wie das Bezirksamt mitteilte, bleibe die Rechtslage zur geplanten Umbenennung der „Mohrenstraße“ eindeutig.

Der Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts sei rechtsfehlerhaft, sagte Mittes Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger (Grüne). Die Umbenennung könne ihrer Überzeugung nach wie geplant am Samstag vollzogen werden.

Auch die Organisatoren des für Samstag angekündigten „Antikolonialen Amo-Fests“ auf dem Hausvogteiplatz am östlichen Ende der „Mohrenstraße“ halten daran fest, das Straßenfest stattfinden zu lassen. Wie der Verein Decolonize Berlin am Freitag betonte, habe der Eilantrag nur aufschiebende Wirkung für den Austausch der Straßenschilder. Die Umbenennung selbst könne nicht rückabgewickelt werden.

Trotzdem sei es „wirklich irritierend, wie eine kleine Gruppe von Anwohnenden einen demokratisch legitimierten Prozess aufhält und einen Perspektivwechsel bei Würdigungen im Berliner Straßenbild verhindert“, sagte Tahir Della, Vorstand von Decolonize Berlin und der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei „ein Schlag ins Gesicht für alle Menschen, die tagtäglich von Rassismus betroffen sind“.

Update: 22.8.2025, 14.15 Uhr

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14 Kommentare

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  • Es ist schon erschreckend wie krass eng die Leute sind, die Nachbarn ? Die Zeitungsleser der taz ? Das Mohrenstr. schon lange nicht mehr als Straßennahme im Berliner Machtzentrum stehen sollte, finde ich total richtig!An einem rassistischem Schimpfwort fest zu halten, krass! Leider haben die, die das alte Schloss wieder haben wollten und auch die Christlichen Herrschaftssprüche oben drauf finanzieren können, bei uns noch viel zu viel Macht und Geld und Einfluss. Die Umbenennung nach Herrn Amo finde ich ebenso nachvollziehbar, um Schwarze Menschen in Deutschland sichtbar zu machen, die trotz der hier herrschenden, kolonialistischen und rassistischen Herrschaftsverhältnisse, es auch damals schon geschafft haben, etwas zur Kultur bei zu tragen. humanitäre= menschliche Kultur beruht stets auf Migration, nicht nur auf Beherrschung und Unterdrückung, denn Migration gab es auch schon vor den Imperien und Nationen und Patriarchalen Zwängen, das Gewalt herrschen müsse. Menschliche Kultur beruhte immer auf Migration und Austausch, ergo auch auf Kooperation, ohne die eben nur der Krieg als Bezug bleibt, aber der Fieden nicht herstellbar ist.

  • Das Fest heißt kurz und knapp "Antikoloniales Amo-Fest", aber die Anwohnys sollen in der Anton-Wilhelm-Amo-Straße wohnen? Was stimmt daran nicht?



    PS: Der Berliner Musiker Carsten Mohren hätte eine Straße verdient.



    PPS: Wirklich skandalös ist die Udetzeile in Tempelhof. Udet = Nazigeneral. Echter Nazi. Echter General. Technisch verantwortlich für die Entwicklung des deutschen Bombenterrors in Guernica, Coventry, London etc. Staatsbegräbnis mit Hitler.

  • Frau Della findet den Rechtsstaat also irritierend, indem jeder das Recht hat, gegen solche Verwaltungsakte Rechtsmittel einzulegen. Es spielt bei solchen Klagen auch keine Rolle, wie groß die Gruppe der Klagenden ist und demokratisch legitimiert heißt ja nun noch lange nicht immer, das es rechtlich auf dem Boden des Gesetzes steht, darüber haben nämlich dann Gerichte zu entscheiden

  • Was Anton Wilhelm Amo mit Berlin zu tun hatte, bleibt ein Rätsel. Das er zu Lebzeiten ein wissenschaftliches Streitgespräch „Über die Rechtsstellung der Mohren in Europa“ geführt haben soll, ist überliefert.

    So stünde Amo eigentlich dafür, dass nicht der idealistische Streit über die richtige Wortwahl, sondern die profane, sprachlich unbeschränkte, Auseinandersetzung über (materialistische) Wirklichkeiten im Mittelpunkt unseres Interesse stehen sollte.

    Warum fordert niemand die Umbenennung der nach Immanuel Kant benannten Straßen und Schulen? Der hat seinen zynischen Rassismus selbst zu Papier gebracht und wird doch immer noch als Vordenker universeller Menschenrechte gefeiert.

    • @DemokratischeZelleEins:

      Und zwar völlig zu Recht. Kant hat nämlich - und das war im 18. und frühen 19. Jh. alles andere als Konsens - entschieden für die Einheit des Menschengeschlechts plädiert. Er war, nebenbei bemerkt, auch ein erklärter Gegner von Sklaverei u. Kolonialismus (Zum ewigen Frieden, 1795). Zugleich musste er auf der Grundlage der nach wie vor als verbindlich angesehenen bibl. Schöpfungsgeschichte die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen von Menschen erklären u. war andererseits hinsichtlich seiner Kenntnis außereuropäischer Völker auf Reiseberichte angewiesen. In denen stand tatsächlich viel Unsinn. Zudem gehörte es im 18. Jh. zum unbestrittenen Wissen, dass Völker unterschiedliche Charaktereigenschaften hatten. Gerade Kants Vorlesungen zur physischen Geographie enthalten reichlich krudes Zeug auch über europäische Völker. Nun ist aber gerade bei diesen Vorlesungen unklar, wo er referiert u. was eigene Meinung ist, zumal die Vorlesungen größtenteils nur über Mitschriften überliefert sind.



      Mit anderen Worten: Es ist alles viel komplizierter u. deshalb gibt es nicht ohne Grund eine umfangreiche, kontroverse Lit. zum Thema Kant & Rassismus. Zumindest das sollte man aber wissen.

  • Wann werden eigentlich der Teutonenwege in Frankfurt, Hamburg und Lübeck umbenannt? Der Begriff, der von den römischen Kolonialisten erfunden und benutzt wurde, ist unerträglich.

  • Irritierend finde ich eher, dass Tahir Della meint für irgend eine Mehrheit zu sprechen die es gar nicht gibt. Die einzigen Betroffenen sind die Anwohner und 99% der Berliner ist es völlig egal wie die Straße zu Zeit heißt.

  • "Trotzdem sei es „wirklich irritierend, wie eine kleine Gruppe von Anwohnenden einen demokratisch legitimierten Prozess aufhält und einen Perspektivwechsel bei Würdigungen im Berliner Straßenbild verhindert“, sagte Tahir Della, ..."



    Nun, mal abgesehen davon, dass Umbenennungen von Straßennamen regelmäßig auf Widerstand von Anwohnern stoßen, ist es im wesentlichen eine kleine Gruppe von Aktivisten, die hier das Ganze vorantreibt.



    Ganz unabhängig davon ist die Gerichtsentscheidung aber ein geeigneter Anlass, einiges zu hinterfragen. Thomas Sandkühler, der Anfang des Jahres eine kritische Untersuchung zu Anton Wilhelm Amo vorgelegt hat (Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 2025, H. 1) spricht in diesem Zusammenhang von "invented traditions". Ganz abgesehen davon, dass Amo keinen Bezug zu Berlin hat, sei die Geschichte vom verschleppten Kind schlecht zu belegen und überdies könne nicht einmal ausgeschlossen werden, dass Amo seinerseits aus einer Familie westafrikanischer Sklavenhändler stamme. Aber durch so etwas lassen sich die besagten Aktivisten natürlich nicht irritieren, dazu sind die eigenen Narrative einfach zu schön.

  • Ok, ich schreibe nicht, dass der Begriff Mohr fuer mich sehr positiv belegt ist. Er erinnert mich an Maerchen in der Kindheit und leckere Schokolade. Ansonsten ist gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht viel zu sagen. Sicher kann man eine Straße umbenennen, nur sollte man das Fell des Baeren nicht Verteilen bevor er erlegt ist. Eine Aussage wie "Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei „ein Schlag ins Gesicht für alle Menschen, die tagtäglich von Rassismus betroffen sind“



    ist vor dem Hintergrund wenig hilfreich. Vielleicht mal die Kirche im Dorf lassen und die laufenden Verfahren mit etwas Geduld abwarten. Der Sommer nächstes Jahr wird bestimmt auch schön und bis dahin ist der neue Name wohl durch.

  • Wenn Verwaltungsakte wegen eines Gerichtsurteils oder einer Gerichtsverfügung nicht oder nicht zum gewünschtem Zetpunkt stattfinden können, dann gibt es Richterschelte, da diese einen "demokratisch legitimierten Prozess" aufhalten würden.



    Gehört zu einem "demokratisch legitimierten Prozess" nicht auch, dass anhängige Gerichtsverfahren abgeschlossen sind? Sonst könnte sich auch der Scheuer Andi auf einen "demokratisch legitimierten Prozess" berufen, schließlich war er Minister einer demokratisch kegitimierten Regierung, und auch der Bundestag hatte damals (2017) eine Maut für PKW beschlossen.

  • Tja. Deutschland hält am M-Wort fest, wenn das N-Wort schon verpönt ist.

    Restaurants, Apotheken, Straßen werden immernoch nach dem Fehlschluss benannt, dass das M-Wort Menschen aus Afrika besonders und wertschätzend hervorgehoben werden soll zu damaliger Zeit, und somit kein Rassismus sei. Aber dass gleichzeitig Völkerschauen betrieben wurden, oder Weiße ihre Überlegenheit zeigen wollen, wenn sie M-Wörter besuchen, scheint dann doch mehr kolonialistische Unterdrückung im weißen Machtapparat zu sein. Warum heißt sonst eine Apotheke nicht Nama-Apotheke? Oder Bantu-Apotheke? Bantu = Menschen, Leute, Personen? Zu feige gewesen, Afrikanischstämmige als Menschen anzusehen?

    Aber keine Sorge... dauert vielleicht noch 10 Jahre. Dann ist das N-Wort wieder problemlos sagbar. In den USA vielleicht schon in 5.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Sie haben das argumentative Problem, dass die Völkerschauen stattfanden, als die Mohrenstraße schon längst so hieß.

      Da war keine Gleichzeitigkeit.

      Die Mohrenstraße in Berlin heißt vermutlich so, weil dort wirklich mal Leute wohnten, die als solche bezeichnet wurden.

      Die Umbenennung würde sie nun restlos unsichtbar machen.

      Den Schluss, dass man Bantu nicht als Menschen angesehen habe, weil man keine Apotheke " Bantu-Apotheke" genannt hat, kann ich nicht nachvollziehen.

      Vor mehreren Jahrzehnten war der Begriff "Bantu" fast ausschließlich entsprechenden Wissenschaftlern geläufig.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Also im Bezug auf Apotheken ist der Begriff Mohren wirklich von Wertschätzung geprägt gewesen. Sowohl der Orient als auch die Mauren waren, was die Heilkunst betrifft, zur damaligen Zeit führend.



      Eine Mohren-Apotheke ist demnach keine rassistische Beleidigung, sondern eine Anerkennung und Wertschätzung der Heilkünste aus damaliger Zeit - deswegen gab und gibt es vielerorts ja überhaupt so viele Mohren-Apotheken.

      • @Saskia Brehn:

        Vermutlich prallt das Argument an den Aktivisten ab, da das schmücken mit maurischer Heilkunst als Kulturelle Aneignung zu werten sei.



        „Mohr“ als abwertendes Schimpfwort ist mir in meinen 55 Lebensjahren noch nicht untergekommen.



        Meine Mutter (urkölsche, hellhäutige Mitteleuropäerin) wurde Zeit Lebens wegen ihrer schwarzen Haare von ihren Freundinnen liebevoll als „Möhrchen“ bezeichnet.