Koloniale Spuren in Berlin: Gericht stoppt Umbenennung der „Mohrenstraße“
Im Berliner Zentrum sollte am Samstag der Begriff „Mohr“ aus einem Straßennamen gestrichen werden. Das Verwaltungsgericht stellt sich überraschend quer.

Auf Initiative des Bezirksparlaments hatte das Grünen-geführte Bezirksamt bereits im April 2021 die Tilgung des als rassistisch und kolonialistisch verstandenen Begriffs „Mohr“ aus dem Straßennamen im Zentrum Berlins beschlossen. „Mohr“ sei diskriminierend und schade „dem Ansehen Berlins“.
Der geplante neue Name geht dagegen auf den um 1703 im heutigen Ghana in Westafrika geborenen Anton Wilhelm Amo zurück, der als Kind nach Deutschland verschleppt wurde. Er war hierzulande der erste bekannte Philosoph und Rechtswissenschaftler afrikanischer Herkunft.
Gegen den Beschluss des Bezirksamts erhoben mehrere Anwohner der Straße jeweils Klage. Eine dieser Klagen wies das Verwaltungsgericht Berlin ab, die anderen Klagen wurden im Einverständnis aller Beteiligten „ruhend gestellt“. Im Fall der bereits verhandelten Klage erklärte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Umbenennung im Juli dann für rechtskräftig. Daraufhin ordnete das Bezirksamt die sofortige Vollziehung der entsprechenden Allgemeinverfügung an.
Gericht interessiert sich nicht für Gedenktage
Die ersten Straßenschilder mit dem neuen Namen Anton-Wilhelm-Amo-Straße hängen dann auch bereits an einigen Ecken. Am Samstagnachmittag sollten sie symbolisch enthüllt werden. Das ist mit der nun kurz zuvor getroffenen Gerichtsentscheidung erst mal hinfällig.
In einem Eilantrag gegen die Verfügung machte einer der nach wie vor klagenden Anwohner geltend, dass die Umbenennung nicht vorgenommen werden dürfe, bevor über seinen bislang ruhenden Fall entschieden sei. Mit vorläufigem Erfolg: Das Bezirksamt habe nicht dargelegt, warum die Umbenennung so dringlich sei, dass sie an diesem Samstag und damit vor Abschluss des Klageverfahrens vollzogen werden müsse, erklärte das Verwaltungsgericht.
Dass der 23. August der Internationale Tag zur Erinnerung an den Sklavenhandel und seine Abschaffung sei, stelle „keinen zwingenden Grund“ dar, die Umbenennung „ausgerechnet an diesem Datum im Jahr 2025“ durchzuführen.
Auch die vielfältigen Vorbereitungen für die geplante Umbenennung begründeten keine besondere Dringlichkeit, da das Bezirksamt sie „sehenden Auges selbst veranlasst“ habe, so das Verwaltungsgericht.
Bezirk Mitte legt Berufung ein
Noch am Freitag legte das Bezirksamt Mitte beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Beschwerde ein gegen die Entscheidung. Wie das Bezirksamt mitteilte, bleibe die Rechtslage zur geplanten Umbenennung der „Mohrenstraße“ eindeutig.
Der Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts sei rechtsfehlerhaft, sagte Mittes Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger (Grüne). Die Umbenennung könne ihrer Überzeugung nach wie geplant am Samstag vollzogen werden.
Auch die Organisatoren des für Samstag angekündigten „Antikolonialen Amo-Fests“ auf dem Hausvogteiplatz am östlichen Ende der „Mohrenstraße“ halten daran fest, das Straßenfest stattfinden zu lassen. Wie der Verein Decolonize Berlin am Freitag betonte, habe der Eilantrag nur aufschiebende Wirkung für den Austausch der Straßenschilder. Die Umbenennung selbst könne nicht rückabgewickelt werden.
Trotzdem sei es „wirklich irritierend, wie eine kleine Gruppe von Anwohnenden einen demokratisch legitimierten Prozess aufhält und einen Perspektivwechsel bei Würdigungen im Berliner Straßenbild verhindert“, sagte Tahir Della, Vorstand von Decolonize Berlin und der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei „ein Schlag ins Gesicht für alle Menschen, die tagtäglich von Rassismus betroffen sind“.
Update: 22.8.2025, 14.15 Uhr
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