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Berichterstattung über Coronapandemie„Medien haben die Regierung vor sich hergetrieben“

Der Kommunikationswissenschaftler Marcus Maurer hat die Berichterstattung großer Medienhäuser in der Pandemie untersucht. Die ausgewerteten Daten sind überraschend.

Nicht alle haben sich in Politik und Berichterstattung wiedergefunden: Demons­tration gegen Coronamaßnahmen, Berlin, November 2020 Foto: Sebastian Wells/ostkreuz
Antje Lang-Lendorff
Interview von Antje Lang-Lendorff

taz: Herr Maurer, der Bundestag hat kürzlich eine Kommission zur Aufarbeitung der Coronapolitik eingesetzt. Ist es wirklich nötig, über all das nochmal zu sprechen?

Marcus Maurer: Ich denke schon. Nicht, um nachträglich Dinge zurechtzurücken oder damit sich irgendwer bei irgendwem entschuldigt. Es ist wichtig, das aufzuarbeiten, um besser gewappnet zu sein, wenn so etwas noch mal passiert. Wie man das macht, ob man dafür eine Enquetekommission braucht, ist eine andere Frage.

Im Interview: Marcus Maurer

geboren 1969, ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Er forscht zu politischer Kommunikation und hat die Berichterstattung großer Medien in mehreren Krisen untersucht.

taz: Manche fordern eine Aufarbeitung, weil sie sich in der öffentlichen Debatte und in den Medien damals nicht wiedergefunden haben.

Maurer: Wenn wir über Medien sprechen, gilt das Gleiche wie für die Kommission: Wir sollten uns fragen, was falsch gelaufen ist, um es in der Zukunft besser zu machen.

taz: Sie haben untersucht, wie große Medien in den Jahren 2020 und 2021 über Corona berichteten. Was haben Sie festgestellt?

Maurer: Wir haben die Berichterstattung etablierter Online-medien wie spiegel.de, sueddeutsche.de welt.de oder bild.de und Fernsehnachrichten von ARD, ZDF und RTL ausgewertet. Dabei haben wir herausgefunden, dass die untersuchten Medien tatsächlich einseitig berichtet haben, sie waren sehr im „Team Vorsicht“. Manche mehr, manche weniger, aber alle haben deutlich vor der Pandemie gewarnt und für harte Maßnahmen plädiert. Das kann man gut oder schlecht finden. Normalerweise wollen wir eine vielfältige Berichterstattung, aber in der Pandemie standen wir vor großen Problemen, die gelöst werden mussten, da kann man das auch anders beurteilen.

taz: Die Medien waren der Regierung gegenüber zu unkritisch, lautete ein Vorwurf. Stimmt das?

Maurer: Das sehen wir so nicht in unseren Daten, im Gegenteil. Nach einer Anfangsphase, in der die Berichterstattung relativ positiv war, wurde die Regierung schnell stark kritisiert. Je länger die Pandemie gedauert hat, desto schärfer wurde die Kritik. Die von uns untersuchten Medien haben der Regierung vorgehalten, sich zu spät zu harten Maßnahmen durchgerungen zu haben.

taz: Der Regierungskurs wurde als zu lasch kritisiert?

Maurer: Ja. Den Medien generell wurde in der Pandemie ja vorgeworfen, dass sie der Regierung nur hinterhergelaufen seien. Unsere Auswertung hat jedoch ergeben, dass sie die Regierung vor sich hergetrieben und zu noch härteren Maßnahmen gedrängt haben. Sie haben einseitig berichtet, aber nicht unkritisch.

taz: Was ist bei dieser Einseitigkeit zu kurz gekommen?

Maurer: Die Auswahl der Experten war beschränkt, es gab einen starken Fokus auf Virologen. Das hat erst mal Sinn gemacht, denn es ging ja um ein Virus. Für die Beurteilung von Maßnahmen hätten dann aber andere Experten zu Wort kommen können. Was passiert mit einer Gesellschaft im Lockdown? Was mit Kindern, die nicht mehr in die Schule können? Was mit Selbstständigen, deren Restaurant pleite geht? Was mit alten Menschen, die alleine in Pflegeheimen sitzen? Das haben wir damals manchmal aus den Augen verloren.

taz: Es gab entsprechende Berichte.

Maurer: Aber verhältnismäßig wenig. Das ist auch verständlich: Man sieht dieses Problem vor sich, das dringend gelöst werden muss. Und man sieht nicht, dass die Maßnahmen, die die Infektionen eindämmen sollen, für manche Menschen auch große Probleme verursachen. Die gesundheitlichen und die psychosozialen und wirtschaftlichen Folgen wurden wenig gegeneinander abgewogen. Das zu tun, hätte am Ende ja nicht heißen müssen, dass man sich gegen Maßnahmen entscheidet. Aber die Menschen so aus den Augen zu verlieren, das war nicht unbedingt schön.

taz: Es gab auch damals Kri­ti­ke­r*in­nen der Maßnahmen, etwa aus der Querdenkenbewegung. Die kamen wenn, dann nur negativ in der Berichterstattung vor, hat Ihre Studie ergeben. Richtig?

Maurer: Das kann man so sagen. Allerdings muss man unterscheiden. Wenn jemand sagt, das Virus sei ungefährlich, harmlos wie eine Grippe, dann ist das eine falsche Tatsachenbehauptung, die muss man als Medium nicht transportieren. Das Problem war meines Erachtens, dass zu wenig über diejenigen berichtet wurde, die gesagt haben: Wir können diese oder jene Maßnahme machen, doch sie wird auch negative Folgen haben, und jetzt müssen wir das abwägen. Das wäre wertvoll gewesen. Es fehlte auch eine Einordnung der Informationen.

taz: Was meinen Sie?

Maurer: Die Zahlen von Infizierten und von Toten wurden ständig kommuniziert, aber der Vergleich etwa mit anderen Todesursachen kam nur ganz selten vor. Wie viele Menschen sterben an der Grippe an einem Tag? Oder wie viele an einem Herzinfarkt? Und wie viele im Vergleich an Corona? So hätten sicher mehr Menschen verstanden, wie schlimm diese Pandemie wirklich ist.

taz: Wie hat sich die Berichterstattung über Corona auf das Vertrauen der Menschen in die Medien ausgewirkt?

Maurer: Es gab zu Beginn der Pandemie einen Anstieg des Vertrauens in die Medien und auch der Mediennutzung. Die Menschen hatten ein Informationsbedürfnis, und zum Glück nutzen sie dafür im Wesentlichen immer noch klassische Nachrichtenmedien. Im Laufe der Pandemie ging das Vertrauen dann zurück. Über die Gründe kann ich nur spekulieren. Wahrscheinlich sind das Leute, die ihren Standpunkt in der Berichterstattung zu wenig wiedergefunden haben.

taz: Manche Jour­na­lis­t*in­nen fühlten sich damals sicherlich auch mitverantwortlich für den Fortgang der Pandemie. Es gab die Sorge, dass Berichte über negative Folgen der Maßnahmen deren gesellschaftliche Akzeptanz gefährden könnten.

Maurer: Was ist die Aufgabe von Journalismus in solchen Momenten? Das ist die Frage. Ich kann gut nachvollziehen, dass Journalisten ihren Teil dazu beitragen wollten, dass diese Pandemie möglichst schnell beendet wird. Aber wahrscheinlich hätte man das auch erreicht, wenn man ein paar Gegenargumente mehr beschrieben hätte. Menschen kriegen die Probleme ja trotzdem mit und fragen sich: Warum schreibt keiner darüber? Das kann dann kontraproduktiv sein. 10 bis 15 Prozent vertrauen den Medien inzwischen überhaupt nicht mehr. Vor der Pandemie lag dieser Anteil noch bei rund fünf Prozent. Das ist eine deutliche Veränderung, die man im Blick behalten muss.

taz: Ist die mediale Einseitigkeit während Corona auch auf den Rally-’round-the-flag-Effekt zurückzuführen, also, dass Journalist*in­nen sich in Krisen wie alle anderen stärker um die eigene Staatsführung scharen und Vielfalt weniger Raum hat?

Maurer: Das ist so. Die Regierung kommt in Krisenzeiten medial sehr viel stärker vor als die Opposition. Wir haben uns neben Corona auch die Berichterstattung in der Flüchtlingskrise 2015 und zu Beginn des Ukrainekriegs angeschaut, auch da sehen wir dieses Muster. Das muss gar kein gezieltes Anliegen sein. Medien sind in solchen Momenten auf Informationen der Regierung angewiesen, da passiert das automatisch. Bei jeder dieser Krisen haben wir zudem festgestellt, dass die Berichterstattung über die Regierung am Anfang der Krise positiver ist als normalerweise. In allen drei Krisen ließ das aber schnell nach.

taz: Gibt es dabei nicht große Unterschiede zwischen den Medien?

Maurer: Die taz schreibt normalerweise ganz anders über Themen als die FAZ, etwa über das Bürgergeld. In einer Krise berichten aber alle zunächst relativ gleich. Auch für Journalisten ist die Situation ja neu, es gibt eine große Unsicherheit, man verlässt sich erst mal auf die Vorschläge der Regierung, Journalisten orientieren sich auch aneinander. Bei Corona wurden die Unterschiede mit der Zeit wieder größer, etwa in der Beurteilung der Maßnahmen. Im Ukrainekrieg haben sich die Positionen eher angeglichen, da waren nach einigen Monaten fast alle für die Lieferung schwerer Waffen.

taz: Die nächste Krise kommt bestimmt. Was würden Sie Jour­na­lis­t*in­nen empfehlen – mehr Vielfalt wagen?

Maurer: Nicht bei allen Krisen geht es gleich um Leib und Leben wie bei Corona. Wenn das nicht der Fall ist, muss man auch nicht gleich Angst haben, Leben zu gefährden, wenn man mal jemanden zu Wort kommen lässt, der etwas anderes vertritt als die gängige Mehrheitsposition. Eine Vielfalt von Themen und Positionen ist ja eigentlich ein Gebot für die Medienberichterstattung, gerade für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In existenziellen Krisen mag das etwas anders sein. Aber auch da wäre eine gewisse Vielfalt wichtig und richtig.

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20 Kommentare

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  • Gut, dass es die Studie und dieses Interview dazu gibt.

    Die eigene Rolle zu reflektieren, scheint ja etwas zu sein, was Journalisten so gar nicht mögen.

    Man liest jedenfalls wenig dazu.

    Kann ich zu einem gewissen Grad verstehen, das Selbstbild ist ja, dass man neutral ist und die anderen kritisiert.

    Schade, weil es für zukünftige "Krisen" wichtig wäre, hier was aufzuarbeiten und Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.

    Überhaupt den Diskurs zu führen, ist für eine funktionierende liberale Demokratie wichtiger als das Ergebnis.

    Mich hätte interessiert, ob Herr Maurer Vergleichbares bei der aktuell von Trump ausgelösten Demokratiekrise sieht.

  • Man ist (zumindest ab einem gewissen Alter und einer gewissen Handlungsfähigkeit) im Grunde erstmal auf sich allein gestellt: Welchen Informationsquellen vertraue ich. Welchen nicht. Was mache ich. Was mache ich nicht. Gehe ich bestimmte Risiken ein, oder nicht. Wie verhalte ich mich anderen gegenüber? Schließe ich mich einer bestimmten Gruppe an, oder nicht? Wie verhalte ich mich "anderen" Gruppen gegenüber?



    Das wird in Krisen immer krass deutlich und überfordert offenbar viele Menschen, was zu irrationalem Verhalten führen bzw. beitragen kann.

  • Zunächst einmal Danke für das tolle Interview!

    Interessant für mich die folgende Stelle:

    "Das kann man so sagen. Allerdings muss man unterscheiden. Wenn jemand sagt, das Virus sei ungefährlich, harmlos wie eine Grippe, dann ist das eine falsche Tatsachenbehauptung, die muss man als Medium nicht transportieren. "

    Hier wird gleichzeitig eine falsche Tatsachenbehauptung aufgestellt, und gefordert keine falschen Tatsachenbehauptungen zu publizieren, was in diesem Fall ja offenkundig geschehen ist. Die Spanische Grippe Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte zu den tödlichsten Pandemien der Neuzeit. Vor einer Grippe Pandemie wurde auch Medial vor Corona Schwerpunktmäßig gewarnt.

    de.wikipedia.org/wiki/Spanische_Grippe

    Genau das ist das Problem dieser Form des medialen Filterns von tatsächlicher oder vermeintlicher Desinformation. Wer entscheidet was "Wahr" ist? Die wissenschaftliche Forschung ist auch nur der letzte Stand des Irrtums. Der Interviewte meinte vermutlich einen grippalen Infekt, dennoch ein wichtiger fachlicher Unterschied. Trotz dieses Fehlers habe ich mich gefreut das Interview publiziert zu sehen und zu lesen. Danke!

  • Ich hoffe, es geht wirklich darum, einer ähnlichen Situation künftig besser gerecht zu werden. Gesellschaftlich dürfte es dann vermutlich noch schwieriger werden, als bei Corona. In einer solchen Ausnahme- und Notsituation muss man zusammenhalten, sollte weniger auf persönliche Freiheiten pochen.



    Die einzigen Menschen, die hierzulande wirklich "weggesperrt" wurden (Lockdown), waren Bewohner von Gemeinschaftseinrichtungen. Da gab es keinen Besuch mehr. Und war Corona im Haus, auch keine Gemeinschaft. Quarantäne: Einzelhaft, quasi.



    Darüber hört man eigentlich kaum etwas.

  • Das spiegelt auch meine Wahrnehmung wieder. Ich gehöre zu den 15 %, deren Vertrauen in die Medien, damit meine ich vornehmlich 'meine' linksliberalen Medien, seit Corona erschüttert ist. Davor war ich ein überzeugter Anhänger des ÖR, jetzt stehe ich dem sehr kritisch bis distanziert gegenüber. Übrigens ganz im Unterschied zur taz. Bei der taz weiß ich, die hat eine Haltung, die teile ich, oder eben nicht. Bei den ÖR habe ich - seit Corona - die Befürchtung, dass ich durch Framing zu einer Haltung gebracht werden soll. So etwas will ich als erwachsener Mensch nicht.

    • @fleischsalat:

      Dem kann ich mich nur anschließen.

    • @fleischsalat:

      Ihr Misstrauen verstehe ich nur zum Teil. Auch in den ÖR, gerade in den Talkshows kamen doch ganz unterschiedliche Leute mit unterschiedlichen Meinungen zu Wort.

  • Das Problem, dass etablierte Medien oft ins gleiche Horn stoßen oder gar von einander abschreiben ist kein Problem der Corona-Zeit, sondern ein generelles, das eben dazu führt, dass Menschen das Gefühl von einheitsmedien bekommen und zu alternativen Quellen flüchten.



    Und wenn dann komplexe Themen emotionalisert und polarisiert diskutiert werden, dann schafft das Mißtrauen, Zwietracht, Spaltung. Und so sehr, wie ich selbst damals eher zur Gruppe der "Vorsichtigen" gehört habe, fand ich die Keule, die da teilweise über Menschen mit andere Denkansätzenn geschwungen wurde völlig daneben. Das hatte manchmal schwer autoritäre Züge und hat Skeptiker in die Arme der Rechten und Verschwörungstheoretiiker getrieben. Das hat Freundeskreise und Familien zerissen und hat einen guten Anteil am Aufstieg der AfD zu verantworten.



    Vieles lag im Unklaren und die meisten Maßnahmen waren sicher gerechtfertigt. Der Furor mit dem Kritiker in eine Ecke geschoben worden war falsch. Und da gabs auch hier Artikel, die sehr sehr fragwürdig waren. Medien haben große Verantwortung und es wäre ein Fortschritt, wenn die Erkenntnis nicht immer erst hinterher reifen würde.

    • @Deep South:

      "...fand ich die Keule, die da teilweise über Menschen mit andere Denkansätzenn geschwungen wurde völlig daneben."

      So ging es mir auch. Trotz meiner Entscheidung mich damals Impfen zu lassen, war ich völlig entsetzt darüber wie eine von Politikern und Medien völlig verängstigte knappe Mehrheit über Abweichler hergefallen ist. Fakten wurden selektiv wahrgenommen, wilde Spekulationen als unumstößliche Wahrheit verkauft - die reinste Panik. Es war schlicht einer pluralen Demokratie unwürdig und gehört aufgearbeitet. Durchaus auch mal mit einer Entschuldigung. Dieses Interview leistet dazu einen wichtigen Beitrag.

  • Die einseitige Berichterstattung während der ersten 1,5 Jahren der Coronapandemie waren eine Desaster für das Vertrauen in die Objektivität der öffentlich rechtlichen Medien. Wer nicht im "Team Panik" unterwegs war, der fand sich in den Medien nicht mehr wieder, da machte auch die Taz keine Ausnahme. Kein Wunder das Menschen dann andere "Informationskanäle" suchten, leider...



    Inzwischen haben die meisten Medien wieder zu einer halbwegs kritischen Berichterstattung zurück gefunden. Aber viel Vertrauen wurde unwiederbringlich zerstört.

    • @Aymen:

      in der taz gab ein einige wenige rühmliche Ausnahmen.

  • Ja, die "Auswahl" der zu Wort kommenden Experten hat schon damals sehr verwundert.



    Virologen, ja OK.



    Aber warum Epedemiologen nie gehört wurden ist schon erschreckend. Zumal einer der weltweit führenden (Stöhr) Deutscher ist. Die kennen sich am Besten aus, mit der Verbreitung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten.



    Stattdessen diese fachfremden Simulations-Wissenschaftler, auf allen Kanälen, die irgendwelche hochtheoretsichen Berechnungen präsentierten, und meinten deshalb sagen zu können, wie man eine Epedemie bekämpfen solle.

    • @T-Rom:

      Sehr richtig, spätestens als die Simulationen ein ums andere mal völlig falsch waren (was natürlich nur am Präventions-Paradoxon lag, nicht an der Fehlerhaftigkeit der Modelle) , hätte man ja mal schlauer werden können.

  • Also es gibt ja auch eine gewisse Hierarchie der Notwendigkeiten in einer so existenziellen Krise. Vorab über psychosoziale Folgen zu spekulieren, wäre auch unseriös gewesen. Hilfreicher wäre es vielleicht gewesen, sich zu überlegen, wie man bestimmte Folgen mildern hätte können. Zum Beispiel auch für Kinder. Und natürlich gab es einfach auch absurde Maßnahmen wie das Sperren von Spielplätzen oder das Verbot von Spaziergängen. Deutlich wurde auch, dass viele Leute mit der wissenschaftlichen Denkweise überfordert waren, sich dann oft lieber auf unterkomplexe, die eigenen Gefühle stützende Aussagen stützten. Ich kann mich erinnern, dass ich aus dem Bekanntenkreis immer wieder Videos mit neuen „Fakten“ geschickt bekam, um dann in 99 % aller Fälle rückmelden zu müssen, dass das nicht stimmt und längst widerlegt ist. Das waren so Sachen wie Masken würden Karies verursachen oder auch ganz am Anfang die Paracetamol oder Ibuprofen Geschichte. Insofern finde ich es schon gut, dass die meisten QualitätsMedien sowas auch sorgfältig recherchiert und nicht Querdenker-Quellen verbreitet haben. Gut Ausnahmen gab es natürlich. Die Berliner Zeitung zb.

    • @Karla Columna:

      Vorher über die psychosozialen Folgen zu spekulieren war/ist/wäre ungefähr so seriös/unseriös wie auf Basis von Rechenmodellen die Verbreitung eines Virus zu ermitteln zu versuchen. Warum schätzen das viele anders ein? Weil die durch wissenschaftliche Forschung und Praxiserfahrung gestützte Expertise von u.a. Soziolog:innen, Kindheitspsychololog: innen, Sozialarbeiter:innen, Erzieher:innen, (Grundschul)Lehrer:innen usw. Systematisch entwertet wird und wurde. Halt nicht so magisch überzeugend wie vermeintlich objektive Mathematik (kein Problem mit den Rechenverfahren, aber Modelle sind eben nur so gut wie die herangezogenen Daten). Das es sich bei allen diesen Professionen eher um weiblich geprägte handelt… vllt nur Zufall. Es haben regelmäßig Fachkräfte davor gewarnt, dass insb. die Entwicklung im frühkindlichen Bereich durch die Maßnahmen beeinträchtigt wird. Wollte keiner hören oder im Anschluss Geld rausrücken um gezielt in die Aufarbeitung zu gehen. Und das ärgert mich bis heute. Auch wenn ich die Maßnahmen als solche nicht besonders kritisch sehe, bzw. auf Grund der Situation klar war, dass auch erstmal Entscheidungen getroffen werden müssen, die ggf. nicht optimal waren.

  • Ernstgemeinte Frage:



    Was ist an diesem Befund überraschend?



    Bzw. wie muss man die Berichterstattung wahrgenommen haben, um das Vor-sich-Hertreiben der Politik nicht zu bemerken?



    Hieran sieht man auch einen Grund, weshalb die Angst-Strategie („Das Verschweigen des Worst Case ist keine Option“) nicht funktionieren kann: Ohne Dagegenhalten besonnener Positionen hat dies zu einer politischen Destabilisierung geführt, die bis heute nachwirkt.



    In diesem Zusammenhang ist auch irgendwie drollig, dass aktuell anscheinend jeder Artikel in Verbindung mit Corona-Aufarbeitung die Aussage enthalten muss, dass es bestimmt nicht um Entschuldigungen geht. (Für diese Bewältigungsphase gibt es bestimmt einen schlauen Fachbegriff aus der Psychologie.) Richtig, es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass eine/r der Verantwortlichen sich ehrlich für die Corona-Politik entschuldigt - das geschieht sonst in der Politik auch nicht. Nur sind die Folgen hier so tiefgreifend und massiv, dass es hier wirklich hilfreich wäre, wenn wir eine handlungsfähige und demokratische Gesellschaft bleiben wollen.

  • Da ich während des Lockdowns unendlich viel Zeit hatte, habe ich mich über alle mir zugängigen Medien über den Stand der Dinge informiert. Aus allen Meinungen habe ich mir so meine eigene bilden können.



    Mein Motto war dabei von Anfang an: Lieber später ein paar psychische Macken reparieren als tot und begraben.



    Für die Kinder war die Isolation sicher schwer zu ertragen. Ich selbst habe nicht besonders gelitten. Ich konnte meine Arbeit am Bildschirm erledigen. Das hat Zeit gespart. Ich konnte endlich mal die Bücher lesen, die ich schon immer lesen wollte. Es gab das Telefon und die sozialen Medien. Und ich habe viele kleine und große Wanderungen unternommen - teils allein, teils mit Freunden und Familie. Nach den ersten Impfungen, mit der Maske im Gesicht und 2 m Abstand war das alles doch kein Problem.

    • @Il_Leopardo:

      "Lieber später ein paar psychische Macken reparieren als tot und begraben."

      Puh, welch harte, empathielose und fachlich vollkommen falsche Sichtweise. Davon abgesehen ist die Gruppe, die nun "ein paar psychische Macken" hat, so gut wie gar nicht gefährdet, also ist die Logik noch nicht einmal gegeben.

  • Harmlos wie eine Grippe?



    Grippe kommt regelmäßig aber stets überraschend mit einer neuen gemeingefährlichen Variante. Nicht zu verwechseln mit einer Erkältung.

  • Danke, tolles Interview. Mein Eindruck war sehr ähnlich, gerade was die Einseitigkeit der Experten betrifft. Wenn es um Arbeitsplätze ging, wurde es geradezu tabuisiert, dies in die Waagschale zu werfen, obwohl es zum Beispiel Berichte über Betriebe gab, die teure Filter gekauft haben und dann trotzdem schließen mussten, als hätten sie keinerlei Schutz. Kinder- und Jugendpsyiarter haben früh gewarnt usw.

    Übrigens gibt es auch eine Bestätigung für das Interview in einem neulich gelesenen Buch von Robin Alexander (wo es auch um die Kanzlerkandidatenwahl Söder/Laschet ging). Dort ist beschrieben, wie Bayern immer die schlechtesten Zahlen hatte und daher selbst die Regeln verschärfen musste - und dann so getan hat, als wäre der Bund schuld und alle Bundesländer müssten den strengen Kurs Bayerns mitgehen, auch Schleswig-Holstein, das ganz andere Zahlen hatte und daher eigentlich auch andere Maßnahmen wollte.