Informationen zur eigenen Gesundheit: Krank? Ich doch nicht!
Informationsvermeidung selbst bei schwerwiegenden Diagnosen ist weit verbreitet – und psychologisch verwurzelt. Was dagegen helfen kann.

Betrachtet man den Menschen als durchweg rationales Wesen, ist ein Arztbesuch die logische Reaktion auf gesundheitliche Probleme. Was aber, wenn diese Vorstellung vom Menschen bei der eigenen Gesundheit nicht zutrifft? Eine neue Studie zeigt, dass fast jeder dritte Mensch Informationen zur eigenen Gesundheit meidet.
Die Erkenntnisse stammen aus einer Metaanalyse des Max-Planck-Instituts. Dafür haben die Forscher:innen Daten aus 92 Studien mit insgesamt mehr als 500.000 Teilnehmenden ausgewertet. Die Daten wurden über fast vier Jahrzehnte in 25 Ländern auf allen fünf Kontinenten gesammelt. Die wichtigsten Krankheitsbilder für die Erhebung sind Diabetes, Krebs, HIV, die Huntington-Krankheit und Alzheimer. Auch nicht erkrankte Menschen waren Teil der Untersuchung.
Die Forscher:innen definieren Informationsvermeidung als Verhaltensweisen, mit denen Menschen den Erwerb von Informationen über ihre eigene Gesundheit verzögern oder verhindern. Dazu gehört zum Beispiel, dass Patient:innen ihre Arzttermine und Krebsvorsorgeuntersuchungen nicht wahrnehmen, vereinbarte Rückrufe bei Ärzt:innen vermeiden oder die Bekanntgabe des HIV-Testergebnisses ignorieren.
Viel Korrelation, aber keine Kausalität
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Das Forschungsteam wollte außerdem verstehen, welche Gefühle und Gedanken bei der Informationsvermeidung eine Rolle spielen. Wer sich überfordert fühlt, Angst vor einer Krankheit oder Diagnose hat oder dem Gesundheitswesen nicht traut, neigt eher dazu, sich nicht weiter zu informieren. Auch die Angst, von seinem Umfeld stigmatisiert zu werden, wenn eine Diagnose vorliegt, ist ein Hemmnis.
„Entscheidend ist: Die Ergebnisse sind Korrelationen. Wir können nicht sagen, dass das eine zum anderen führt“, sagt Konstantin Offer, Erstautor und Doktorand am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. In der klinisch-medizinischen Forschung werden kausale Effekte nur selten überprüft. Zwar werden Zusammenhänge beobachtet, doch lassen sich Ursache-Wirkung-Dynamiken daraus nur schwer herausstellen.
Das Problem der Informationsvermeidung dürfte vielen bekannt sein. „In persönlichen Gesprächen berichten viele, dass sie dieses Phänomen selbst erlebt haben oder es aus dem Freundes- und Familienkreis kennen“, sagt Konstantin Offer.
Wie Gesundheitsthemen besser kommuniziert werden könnten, hat das Forschungsteam nicht untersucht. Aber Gesundheitspsycholog:innen und Kommunikationswissenschaftler:innen beschäftigen sich damit schon lange.
Weg vom Fachjargon
Etwa Simone Dohle, Leiterin des Labors für Gesundheits- und Risikokommunikation am Universitätsklinikum Bonn. „Informationen sollten in einer klaren, verständlichen Sprache vermittelt werden, die auf Fachjargon verzichtet und stattdessen auf einfache Formulierungen, visuelle Hilfsmittel wie Infografiken oder Videos sowie eine schrittweise Vermittlung setzt“, sagt sie.
Als Beispiel nennt Dohle das Rauchfreiprogramm des Instituts für Therapieforschung und des Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit. Dort würden neben Wissen vor allem praktische Übungen, soziale Unterstützung und positive Verstärkung geboten. Ziel sei es, ein Gefühl von „Ich kann das schaffen!“ oder auch die Haltung „Ich weiß, wie ich handeln muss“ nachhaltig zu verankern.
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Ein weiteres Positivbeispiel seien Patient:innenschulungen, wie zum Beispiel bei Hypertonie. Dabei handelt es sich um ambulante Programme, für die sich Unterrichtsmaterial bestellen lässt, mit dem Erkrankte mehr über ihr Krankheitsbild erfahren, Fähigkeiten zur selbstständigen Kontrolle wie Blutdruckmessung lernen und eine Einstellung zu einem gesünderen Lebensstil entwickeln können.
Angstmachende Kommunikation schreckt ab
Furchtappelle schrecken indes ab, so Psychologin Dohle. Doch leider sitze die Gesundheitskommunikation noch immer dem Trugschluss auf, dass eine gefühlte Bedrohlichkeit handlungsbereit mache. Stattdessen triggert sie Fluchtreflexe. „Entscheidend ist vielmehr, dass Betroffene spüren, einer Gesundheitsbedrohung nicht hilflos ausgeliefert zu sein, sondern wirksam dagegen handeln zu können“, sagt Simone Dohle.
Laut Sonia Lippke, Professorin für Gesundheitsförderung und Prävention an der HAW Hamburg, müsse sich auch in der Gesundheitsbildung vieles ändern. Menschen aller Altersgruppen sollten mit den Informationen etwas anfangen können. „Bildung muss Spaß machen, zum Beispiel mit neuen Medien und Formaten“, sagt Lippke. An ihrer Hochschule setzt man auf Gamification und hört zu, was die jeweilige Zielgruppe selbst will und braucht.
Das Bundesministerium für Gesundheit rief im September 2020 das Onlineportal gesund.bund ins Leben. Auch in leichter Sprache lassen sich Informationen einholen und Ärzt:innen und Krankenhäuser suchen. Das Ministerium verweist zudem auf einen Beitrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen.
Auf deren Webseite gibt es eine Checkliste und ein Video dazu, wie man gute Gesundheitsinformationen im Internet findet und sich vor Werbeanzeigen und unseriösen Informationen schützt.
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