Zugänglichkeit von Sprache: Klare Worte

Es gibt viele Konzepte, um Sprache verständlich zu gestalten. Doch auch Rechtspopulisten nutzen einfache Sprache längst für ihre Zwecke.

Geöffneter Mund von Bernie Sanders

Aus Bernie Sanders Mund kommt das Vokabular von 15-Jährigen, aus Trumps das von 12-Jährigen Foto: getty

BERLIN taz | Albert Einstein soll einmal gesagt haben: „Wenn man es keinem sechsjährigen Kind erklären kann, hat man es selbst nicht verstanden.“ Vieles von dem, was wir in der Zeitung lesen oder in den Nachrichten hören, würde den Sechsjährigen-Test wohl nicht bestehen: zu viele Fachwörter, zu viel vorausgesetztes Wissen, komplizierte Satzstrukturen. Seit einigen Jahren wird verstärkt darüber diskutiert, wie Geschriebenes und Gesagtes vereinfacht werden kann, um so viele Menschen wie möglich zu erreichen.

Am prominentesten unter diesen Versuchen ist die Leichte Sprache. Sie soll Menschen mit Behinderung, Migrant:innen, Menschen mit Leseschwäche oder älteren Menschen die Teilhabe am kommunikativen Prozess erleichtern.

In Deutschland durchgesetzt hat sich ein Konzept mit umfassendem Regelwerk, formuliert durch das Netzwerk Leichte Sprache. Danach werden etwa Nebensätze und Genitiv vermieden, Fachwörter erklärt, Bebilderungen genutzt und lange Wörter getrennt. Außerdem dürfen besonders lange Wörter mit einem Strich oder Punkt unterteilt werden.

Wer sich beim Schreiben an diese Regeln hält und den Text anschließend von Angehörigen der Zielgruppe gegenlesen lässt, darf dafür das Siegel des Netzwerks verwenden. Neben der Leichten Sprache besteht das Konzept der Einfachen Sprache – hier dürfen die Sätze etwas komplexer sein, und auch Bilder sind nicht zwangsläufig nötig. Mittlerweile finden sich Texte in Leichter Sprache auf Behörden-Websites, in Wahlprogrammen und einigen Medien.

Kritik von wissenschaftlicher Seite

Die von Deutschland ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention fordert vollen Zugang zu Kommunikation und damit verbunden die Übersetzung von Texten in „einfache Sprache“ – konkrete Regeln sind hier natürlich nicht enthalten. Von wissenschaftlicher Seite wird kritisiert, dass die einzelnen Vorgaben des umfassenden Regelwerks der Leichten Sprache empirisch teils nicht oder nicht ausreichend belegt sind – beispielsweise zeigen Forschungsergebnisse, dass Nebensätze nicht pauschal schwer verständlich sind.

Die Zielgruppen, die sich die Leichte Sprache auf die Fahnen schreibt, sind schlichtweg zu unterschiedlich, als dass einheitliche Regeln angebracht wären. In der Praxis sollte das Hauptaugenmerk deshalb stets auf einem möglichst zielgruppengerechten Schreiben liegen.

Wissenschaftliche Kritik an Aspekten der normierten Leichten Sprache soll aber nicht als Ablehnung einer vereinfachten Sprache insgesamt verstanden werden. Eine solche bringt unzähligen Menschen mehr Teilhabe: Arbeiter:innenkinder, die den Weg an die Universität genommen haben, fühlen sich in der akademischen Sprachwelt oft ausgeschlossen.

Das hinterlässt nicht nur ein ungutes Gefühl, sondern kann handfeste Nachteile mit sich bringen. Ar­bei­te­r:in­nen­kin­der beteiligen sich beispielsweise weniger an Seminardiskussionen. Das bedeutet, dass sie ihre Leistungsfähigkeit weniger zur Schau stellen und entsprechend seltener als Hilfskräfte eingesetzt werden oder sich selbst als Kan­di­da­t:in­nen für eine Promotion begreifen. Sprache hat zweifellos das Potenzial, auszugrenzen, Zugehörigkeiten zu schaffen oder abzuerkennen.

Gendern allein macht Texte nicht komplizierter

Wer nicht ausgrenzen möchte, bemüht sich neben verständlichen Worten oft auch um diskriminierungssensible Sprache. Was aber, wenn diese beiden Ansprüche kollidieren? Viele Menschen wissen mit Anglizismen wie Ableismus oder People of Color nichts anzufangen; und Bildschirmleseprogramme, auf die viele Menschen angewiesen sind, gehen mit den verschiedenen Arten des Genderns unterschiedlich gut um.

Einfache Lösungen gibt es hier nicht. Es gilt, eine gute Balance zu finden, die sich beiden Ansprüchen möglichst weit nähert. Dabei ist eine diskriminierungssensible Schreibe aber gerade nicht als Hindernis, sondern als weiterer Schritt zur Berücksichtigung unterschiedlichster Menschen zu betrachten. Von Geg­ne­r:in­nen des Genderns kommt oft der Vorwurf, es würde einen Text für viele Menschen unzugänglich machen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes nutzt den Genderstern unter Berücksichtigung von Studien und auf Grundlage von Empfehlungen von Selbstvertretungsverbänden.

Darüber hinaus stellt sich die Frage: macht das Gendern allein einen Text wirklich kompliziert? Es gibt so viele mögliche Fallstricke, dass Doppelpunkt oder Sternchen nicht den entscheidenden Unterschied machen.

Ungeachtet dessen gehört zur Balance auch, im Rahmen des Möglichen alles für eine noch bessere Verständlichkeit zu tun. Fachbegriffe und neue Ausdrücke können erklärt oder gar zum eigenständigen Thema gemacht werden. Medien können eine gewisse Anzahl an Artikeln in Einfacher Sprache bereitstellen und in komplexen Texten zumindest an einigen Stellschrauben drehen. Im konstruktiven Dialog lässt sich gut darüber nachdenken, ob es für Anglizismen gute deutsche Entsprechungen geben kann oder was sich als Alternative anbietet. Leider wird die diskriminierungssensible Sprache von ihren Geg­ne­r:in­nen aber oft so rundheraus abgelehnt, dass es nicht übers Bashing hinausreicht.

Der Mehrwert von Unterkomplexität

Während sich die einen Gedanken darüber machen, wie sie einfach schreiben und dabei möglichst viele und differenzierte Informationen transportieren können, suchen die anderen gezielt nach dem Mehrwert der Unterkomplexität. Spätestens seit Donald Trump und den Tiraden der AfD ist uns bewusst, wie einfache Worte und undifferenzierte Darstellungen eingesetzt werden können.

Ein psychologisches Forschungsteam der Universität von Austin konnte durch Auswertung der Sprechweise ehemaliger US-Präsidenten bestätigen, dass sich Wäh­le­r:in­nen „vermehrt zu Führungsfiguren hingezogen fühlen, die schwierige, komplexe Probleme durch intuitive, selbstbewusste Antworten einfacher werden lassen“. Studien zufolge nutzt Donald Trump das Vokabular von 12-jährigen, Bernie Sanders hingegen das von 15-jährigen Heranwachsenden. Unabhängig vom Inhalt, den die beiden vermitteln möchten, lässt sich also sagen, dass man Trump einfacher versteht als Sanders.

Überlässt man also den rechten Po­pu­lis­t:in­nen die klaren Worte, werden sehr viele Menschen nur mit deren Version der Wahrheit versorgt. Zugegeben: In einer Welt voller Informationen über vielschichtige Problemlagen ist es nicht leicht, diese einfach darzustellen. Und doch zeigen immer wieder Projekte, dass es geht.

Sham Jaff schreibt seit 2014 den Newsletter „what happend last week?“ und erklärt darin, was in der vergangenen Woche in Ländern los war, die es häufig nicht in die Tagesthemen schaffen. Um möglichst viele Menschen weltweit zu erreichen, sind die Texte auf Englisch – doch obwohl es sich um komplexe politische Themenfelder handelt, gelingt es der Journalistin, für alle verständlich zumindest einen Überblick über die jeweilige Situation zu schaffen.

Und wer denkt bei einfach erklärten Nachrichten nicht gerne an die Kindersendung „logo!“, in der komplizierte Themen so weit heruntergebrochen und illustriert werden, dass je­de:r mitkommt. Sollen wir nun alle Kindernachrichten schauen? Wer möchte, gerne! Doch auch für alle anderen sollte es mehr Angebote geben, die komplexe Themen gut erklären und kein umfangreiches Fachwissen voraussetzen. Dass die Donalds und Bilds dieser Welt am besten verstanden werden, wirkt schließlich jedem solidarischen Miteinander entgegen.

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