Die IG Metall und das Verbrenner-Aus: Gewerkschaft gegen Klimaziele
Die IG Metall springt auf den Zug der Autolobby auf und fordert schwächere CO₂-Grenzen für Fahrzeuge. Das soll angeblich Arbeitsplätze sichern.

EU-Gesetze schreiben vor, dass ab 2035 keine Neuwagen mehr mit Benzin- oder Dieselmotor verkauft werden dürfen. Eine Ausnahme gilt für neue Autos, die mit sogenannten E-Fuels fahren. Die Kraftstoffe gelten als CO2-neutral, wenn sie aus grünem Strom und Kohlendioxid aus der Luft hergestellt werden – sind aber umstritten, weil die Produktion sehr energieaufwendig und teuer ist. Deutlich effizienter ist es, die Energie direkt zum Laden eines E-Autos zu nutzen, sagen Klimaexpert:innen.
Bis das Verkaufsverbot für Verbrenner in Kraft tritt, müssen die Autobauer in Europa die durchschnittlichen Emissionen ihrer verkauften Neuwagen senken. Seit 2025 darf ein Pkw einer Neuwagenflotte im Durchschnitt 93,6 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums entspricht das bei einem Benziner einem Verbrauch von rund 4,1 Liter Sprit pro 100 gefahrenen Kilometern. Vorher lag der Flottengrenzwert bei 116 Gramm CO2 pro Kilometer.
Wenn ein Autokonzern die Vorgaben reißt, sollte er ursprünglich eine Strafe zahlen. Erst im Frühling aber war die Europäische Kommission den Herstellern entgegengekommen, sie haben nun mehr Zeit, die Grenzwerte einzuhalten. Wer die Ziele in diesem Jahr verfehlt, kann sie mit umso niedrigeren durchschnittlichen CO2-Emissionen 2026 und 2027 ausgleichen. Strafzahlungen für ein einzelnes Jahr fallen weg.
VDA und IG Metall: E-Auto-Markt wachse zu langsam
Seit die EU die Emissionsziele für die Autoindustrie festgelegt hat, hätten VDA und IG Metall darauf hingewiesen, „dass die Ziele sehr ambitioniert sind und nur bei rechtzeitiger Schaffung der Rahmenbedingungen erreicht werden können“. Das sei nicht geschehen, heißt es in der gemeinsamen Erklärung weiter. Der Markt für vollektrische Autos wachse zu langsam. „Vor diesem Hintergrund ist das Ziel für 2035 ohne kurzfristige Korrekturen nicht mehr erreichbar“, schreiben die Gewerkschaft und der Lobbyverband.
In ihrer Erklärung sprechen sie sich zwar dafür aus, die Elektromobilität weiter zu fördern – zum Beispiel müsse die Ladeinfrastruktur weiter ausgebaut, Ladestrom billiger und eine EU-weite Regelung für das sogenannte bidirektionale Laden eingeführt werden. Dabei dienen Fahrzeuge als mobile Energiespeicher: Strom fliesst also zusätzlich aus der Batterie eines Elektroautos zurück in ein Haus oder ins Stromnetz.
Genauso aber wollen IG Metall und VDA, dass umstrittene Plug-In-Hybridmodelle mit einem Verbrennungs- und einem E-Motor weiter mit sehr niedrigen CO2-Werten in die Bilanz eingehen dürfen. Und: Es brauche zusätzliche europäische Vorgaben, damit auch nach 2035 sicher noch Verbrenner verkauft werden dürfen, die E-Fuels im Tank haben.
Dabei sprechen mehrere, vor Kurzem veröffentlichte wissenschaftliche Studien gegen das, was der Verband und die Gewerkschaft in ihrer Erklärung schreiben. „Die IG Metall begibt sich auf einen Holzweg, wenn sie dem VDA bei der Forderung nach der Verwässerung der Regulierung von Plug-In-Hybriden folgt“, warnte Sebastian Bock, Geschäftsführer des Verkehrswendeverbands Transport & Environment (T&E).
Laut einer Analyse, die T&E erst am Mittwoch herausgegeben hatte, verursachen Plug-In-Hybride in der Realität fast fünf Mal so viele Emissionen wie auf dem Papier. „Das ist nicht nur schlecht für das Klima, sondern auch teuer für Autofahrer:innen, die den höheren Verbrauch an der Tankstelle bezahlen müssen“, kritisiert Bock.
E-Fuels: weder energie- noch kosteneffizient
Auch E-Fuels hätten einen hohen Preis – nicht nur für die Autofahrenden, sondern auch für die Industrie. Eine Studie der Initiative Klimaneutrales Deutschland kommt zu dem Ergebnis: „Für den Pkw-Massenmarkt sind E-Fuels weder energie- noch kosteneffizient.“ Die Elektrifizierung des Pkw-Verkehrs bleibe die erste Wahl, sagt Helena Wisbert, Mitautorin der Studie und Professorin für Automobilwirtschaft an der Ostfalia Hochschule in Wolfsburg.
Wenn die EU die Flottengrenzwerte aufweiche, drohe in den nächsten zehn Jahren eine Million Jobs in der europäischen Autoindustrie verloren zu gehen, ergab eine weitere Studie von T&E. Würden die aktuellen Klimaziele hingegen mit zusätzlichen Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität kombiniert, fielen nur vier Prozent der Stellen weg. Die Studie stand für Teile ihrer Methodik in der Kritik, die Grundaussage aber segneten unabhängige Wissenschaftler:innen ab: Je besser der Umbau auf vollelektrische Mobilität gelingt, desto mehr Jobs bleiben bestehen.
Außerdem seien die meisten Autobauer auf Kurs, die CO2-Grenzwerte 2027 einzuhalten, wie eine Marktanalyse des International Council on Clean Transportation (ICCT) zeigt. Das sei steigenden E-Autoverkäufen, besonders auch in Deutschland, zu verdanken. Falls die europäische Politik E-Mobilität nicht konsequent weiter fördere, könnten die hiesigen Autobauer im Vergleich zur internationalen Konkurrenz aber wieder ins Hintertreffen geraten, mahnt der ICCT.
Die Botschaft scheint klar. Für eine echte Wende hin zur E-Mobilität, sichere Jobs inklusive, braucht es noch mehr politischen Rückenwind, die Richtung aber stimmt bisher. Auch auf der IAA Mobility, der weltweit größten Mobilitätsmesse, präsentierte die Branche neue Produkte, die die E-Autoverkäufe weiter in anschieben könnten – elektrische Kleinwagen ab 25.000 Euro zum Beispiel, oder Boxen fürs bidirektionale Laden eines Pkw, mit denen der Strom aus dem Auto zurück ins Netz gespeist werden kann. In den Münchner Messehallen, wo die IAA am Freitag zu Ende geht, waren Testfahrten mit E-Autos so gefragt wie nie.
Autogipfel in Brüssel
Trotzdem ließen der VDA, Ausrichter der Messe, und deutsche Autobauer wie Mercedes-Benz kaum eine Gelegenheit aus, um sich für eine Aufweichung des Verbrennerverbots stark zu machen. Und nun lasse sich auch die IG Metall „von der Verbrenner-Lobby vor den Karren spannen“, kritisiert Marion Tiemann, Verkehrsexpertin bei Greenpeace. „Sich jetzt an eine gestrige Technik zu klammern, heißt, morgen vielleicht gar keine Arbeitsplätze mehr zu haben.“
Der Zeitpunkt der gemeinsamen Erklärung von VDA und IG Metall ist wohl kein Zufall: Am diesem Freitag trifft sich Ursula von der Leyen, die Vorsitzende der EU-Kommission, mit der europäischen Autoindustrie in Brüssel zu einem sogenannten Strategiedialog.
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