Deutschland vor dem Schiedsgericht: Energiekonzern klagt gegen Steuer
Die Klesch Group verklagt Deutschland, Dänemark und die EU – mit einem ersten Erfolg. Ein neuer Bericht zeigt die Macht von privaten Schiedsgerichten.
„Multinationale Konzerne nutzen die Abkommen, um in alle Bereiche des öffentlichen Lebens, des Umweltschutzes und sogar der Sicherheitspolitik zu ihren Gunsten einzugreifen“, sagt Fabian Flues, Handelsexperte bei Powershift. Auch Privatpersonen, etwa Aktionäre oder Oligarchen, klagen. Das tun sie nicht nur, wenn sie investiertes Geld verloren haben, sondern auch, wenn staatliche Maßnahmen ihnen zukünftige erwartete Gewinne kaputt machen.
Laut Bericht wurden seit Beginn der Verfahren in den 1960er Jahren bis Ende 2024 weltweit 1.401 Streitfälle gegen 136 Staaten angestrengt, bei denen es insgesamt um mehr als 1,1 Billionen US-Dollar geht. Was am Ende tatsächlich gezahlt wird, ist nicht transparent, denn die Verfahren sind größtenteils geheim. 59 Prozent der abgeschlossenen Fälle gewannen Investoren.
Klesch will Übergewinnsteuer nicht zahlen
Jüngstes Beispiel gegen Deutschland: Dem internationalen Industrierohstoffkonzern Klesch-Group mit Sitz in London und Genf gehören zwei Raffinerien in Deutschland und Dänemark. Er klagt seit Oktober 2023 gegen die EU-Sondersteuer für Energieunternehmen gegen Deutschland, Dänemark und die EU.
Die EU hat diese sogenannte Übergewinn- oder Zufallsgewinnsteuer initiiert, nachdem die Energiepreise in die Höhe geschossen waren, als Europas größter Gasimporteur Russland 2022 die Ukraine angriff. Viele Energiekonzerne konnten ihre Gewinne verdoppeln, während Verbraucher unter steigenden Preisen litten. Die Steuer sollte einen Teil dieser übermäßigen Zufallsgewinne abschöpfen.
Unbemerkter Erfolg vor Schiedsgericht
Im Juli 2024 erzielte Klesch fast unbemerkt einen großen Erfolg im Fall gegen Deutschland. Die Schiedsrichter ordneten an, dass Deutschland die Steuer in Höhe von 47,2 Millionen Euro für 2022 nicht einziehen darf. Die Anordnung gilt noch nicht für 2023. Hierfür werden 69,4 Millionen erst dieses Jahr fällig. Auch dagegen klagt Klesch. „Die Entscheidung ist ungewöhnlich und fatal“, sagt Flues. Sie gebe eine Vorschau, wie die Richter argumentieren könnten. Sollten sie beim Urteil die Übergewinnsteuer für unzulässig erklären, drohen weitere Klagen, fürchtet Flues.
Das sehen auch im Investitionsrecht führende Anwaltskanzleien so. Die Münchner Kanzlei Addleshaw Goddard resümierte: „Betroffene Unternehmen können sich so gegebenenfalls auch mit Mitteln des Investitionsschutzes zur Wehr zu setzen“ und bot ihre Dienste an. Diese Möglichkeit dürfte nun noch interessanter sein: Ende 2024 wies das Bundesverfassungsgericht eine ähnliche Klage ab und erklärte die Übergewinnsteuer für rechtmäßig.
Klausel erlaubt Klagen 20 Jahre nach Austritt
Das private Schiedsgericht begründet die Entscheidung damit, dass es für die Klesch Group im Falle eines Sieges möglicherweise nicht „einfach“ wäre, die Steuer vom deutschen Staat zurückzufordern. Flues fürchtet genau das Gegenteil: dass es für Deutschland schwer wird, die Steuer nachträglich einzufordern. Denn Klesch versuche gerade seine Ölraffinerien „auszubluten“.
Die deutsche Raffinerie ist überschuldet, zahlt aber hohe Gewinne an den Mutterkonzern. „Die Klesch Group könnte behaupten, dass sie kein Geld mehr zur Zahlung der Steuer hat“, vermutet Flues. Das wäre nicht untypisch. Klesch wird dafür kritisiert, Unternehmen zu übernehmen, „um das Maximale herauszupressen“ an Gewinnen und sie dann wieder abzustoßen.
Der Konzern klagt auf Basis des Energiechartavertrags, aus dem Deutschland – wie der Großteil der EU – 2023 ausgetreten ist. Eine Klausel im Vertrag besagt jedoch, dass Klagen auch noch bis 20 Jahre nach Austritt möglich sind. Deutschland hat zudem weitere 80 Investitionsschutzverträge mit Staaten. Diese Verträge sollen eigentlich Investoren in Ländern schützen, wo die Rechtssicherheit gering ist. Vor allem deutsche Unternehmen profitieren davon, sie bestreiten die viertmeisten Klagen international.
Bundesregierung wie EU argumentieren, dass neuere Abkommen „anerkannte Gemeinwohlziele“ berücksichtigen. Das wiederholt auch ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums gegenüber der taz. „Das ist der völlig falsche Schluss“, sagt Flues. Das grundsätzliche Problem einer Paralleljustiz werde nicht behoben. Und: „Ob diese behaupteten Verbesserungen einen Unterschied machen, ist fragwürdig“.
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