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Gesundheitsgefahren durch AckergifteEU exportiert mehr hierzulande verbotene Pestizide

Die Menge habe sich seit 2018 mehr als verdoppelt, sagen Umweltschützer. Ein UN-Beauftragter wirft den Europäern wegen der Ausfuhren Doppelmoral vor.

Fast 9.000 Tonnen Pestizide wurden für die Ausfuhr nach Afrika registriert Foto: Joerg Boethling/imago

Die Europäische Union hat massiv die Exporte von Pestiziden gesteigert, die in EU-Ländern wegen inakzeptabler Gesundheits- oder Umweltrisiken verboten sind. Das Volumen habe sich 2024 im Vergleich zur letzten Datenanalyse 2018 ohne das 2020 aus der EU ausgetretene Großbritannien auf fast 122.000 Tonnen mehr als verdoppelt. Das berichteten die konzernkritische Organisation Public Eye und Unearthed, die Investigativabteilung von Greenpeace UK. Deutschland hatte demnach mit 40 Prozent der Ausfuhren den größten Anteil, das meiste von dem Ludwigshafener Konzern BASF. Die EU habe die Pestizide vor allem in Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen verkauft.

„Diese verwerfliche Doppelmoral ist eine Form der Ausbeutung auf den Feldern des Globalen Südens. Während Arbeiter und ihre Familien leiden, machen die Pestizidhersteller Profite“, kritisierte Marcos Orellana, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für giftige Chemikalien und Menschenrechte. „Für die Länder, die verbotene Pestizide herstellen und exportieren, haben Leben und Gesundheit der Menschen in Empfängerländern offenbar nicht dieselbe Bedeutung wie das Wohlbefinden der eigenen Bevölkerung.“

Die Praxis habe einen „rassistischen Unterton“. Auch die Verbraucher in Europa seien „aufgrund von Rückständen verbotener Pestizide in importierten Lebensmitteln gefährdet“, ergänzten die Umweltorganisationen. Solche Einfuhren sind den Verbänden zufolge zudem unfair gegenüber den Landwirten in der EU, die solche Pestizide nicht einsetzen dürfen.

Die Zahlen basieren auf den Ausfuhrmeldungen, die Unternehmen den Behörden schicken müssen, wenn die Firmen gefährliche, in der EU verbotene Chemikalien in Drittländer liefern wollen. Die Exporte seien vor allem deshalb so stark gestiegen, weil die EU seit 2018 rund 100 weitere Pestizide verboten habe, so die Verbände weiter. 2024 wurden demnach 75, 2018 nur 41 Stoffe für den Export gemeldet.

Glufosinat auf Rang 2

„Vom Volumen her an erster Stelle steht Dichlorpropen (1,3-D), ein Pestizid zur Schädlingsbekämpfung im Obst- und Gemüseanbau. Der Stoff wird in den USA als wahrscheinlich krebserregend eingestuft“, so die Analyse. In der EU sei er seit 2007 aufgrund von Risiken für das Grundwasser und Gefahren für Bienen, Vögel, Säugetiere und Bodenorganismen verboten. „Im vergangenen Jahr wurden mehr als 20.000 Tonnen davon zur Ausfuhr angemeldet.“

Auf Rang 2 stehe Glufosinat, ein von BASF exportiertes Unkrautvernichtungsmittel, das die Fruchtbarkeit schädigen könne. Insgesamt exportiere das Unternehmen mehr als 33.000 Tonnen hier verbotene Pestizide, so die Umweltschützer. Platz 3 belegt demnach Mancozeb: Die EU hat das Pilzbekämpfungsmittel 2020 verboten wegen gesundheitlicher Bedenken, „insbesondere in Bezug auf eine toxische Wirkung auf die Fortpflanzung“. „Zudem exportiert die EU weiterhin Tausende Tonnen Neonicotinoide“, die wegen der Risiken für Bienen verboten seien in der EU, so die Umweltorganisationen.

„Auf der Liste der Abnehmer stehen 93 Staaten, drei Viertel davon Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen.“ Fast 9.000 Tonnen Pestizide wurden für die Ausfuhr nach Afrika registriert, wobei die wichtigsten Zielländer Marokko und Südafrika waren. Die USA seien der größte einzelne Abnehmer, gefolgt von Brasilien.

In einem Schreiben an Public Eye erklärte die EU-Kommission, dass sie die Bedenken hinsichtlich der Exporte teile und entschlossen sei, dieses Thema anzugehen. 2023 habe sie eine Folgenabschätzung eines Verbots eingeleitet. Derzeit würden mögliche Optionen geprüft.

„Die Arbeiten der EU-Kommission, dieser Praxis ein Ende zu setzen, haben sich unter dem Druck der Agrochemie-Lobby verzögert“, kritisierten die Umweltschützer. Die Behörde habe ihr Versprechen gebrochen, bis Ende 2023 eine entsprechende Vorlage zu präsentieren.

BASF unterstützt keine Exportverbote

Frankreich und Belgien haben bereits nationale Verbote. Das sei ein Grund für den Anstieg der Exporte Deutschlands auf das Sechsfache der Menge von 2018. Der Hersteller Syngenta habe „einen Teil seiner Aktivitäten nach Deutschland verlagert“. In der Ampelkoalition konnten die Grünen kein eigenes Verbot durchsetzen.

Eine BASF-Sprecherin teilte der taz mit, dass der Konzern „keine Exportverbote von Pflanzenschutzmitteln“ unterstütze. Bereits jetzt werde das Zielland über einen potenziellen Import informiert und dürfe diesem widersprechen. Der von BASF exportierte Wirkstoff Glufosinat-Ammonium sei laut den Behörden etwa in den USA, Kanada, Japan und Australien „für Landwirte, Verbraucher und die Umwelt sicher“, wenn er gemäß den Anwendungsbestimmungen eingesetzt wird.

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