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Agrarministerkonferenz zu PestizidenUnionsminister wollen weniger Macht fürs Umweltbundesamt

Die Agrarressorts etwa von Bayern und Sachsen möchten das Vetorecht des Amts bei der Pestizidzulassung abschaffen. Eine grüne Ministerin hält dagegen.

Erstmal ordentlich umgraben und das Umweltministerium aushölen Foto: Marijan Murat/dpa

Berlin taz | Fast alle LandesagrarministerInnen von CDU, CSU und FDP mobilisieren gegen das Vetorecht des Umweltbundesamts (UBA) bei der Zulassung von Pestiziden. Sachsen und sechs weitere Bundesländer mit Ressortchefs der Union sowie die FDP-Ministerin aus Rheinland-Pfalz fordern in insgesamt zwei Anträgen für die am Mittwoch beginnende Agrarministerkonferenz in Heidelberg, das UBA künftig nur noch als „Benehmensbehörde“ einzustufen.

Bisher sieht das Pflanzenschutzgesetz vor, dass Pestizidprodukte nur „im Einvernehmen mit dem Umweltbundesamt“ hinsichtlich von Schäden an der Natur erlaubt werden dürfen. Denn Pestizide bekämpfen Schädlinge, tragen aber auch dazu bei, dass immer mehr Pflanzen- und Tierarten aussterben.

Sachsen, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen begründen ihre Forderung damit, dass es „eine zunehmende Anzahl von Bekämpfungslücken“ gebe. Sprich: Die LandwirtInnen hätten zu wenig Auswahl an Pestiziden, um unerwünschte Insekten, Pflanzen oder Pilze zu bekämpfen. Wenn das so weitergehe, werde „der Anbau einzelner Kulturen in Deutschland in absehbarer Zeit nicht mehr möglich sein“.

Daher bitten sie den Bund, „das Zulassungsverfahren effizienter und zügiger zu gestalten“, unter anderem durch Schwächung des UBA, damit das federführende Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) „souveräne, transparente und wissenschafts­basierte Entscheidungen fristgerecht“ treffen könne.

„Direkt aus der Feder der chemischen Industrie“

Sie verlangen auch, dass Deutschland sich für „eine Novellierung“ der EU-Pflanzenschutzverordnung einsetzt, die der Chemieindustrie zu streng ist. In eine ähnliche Richtung dürfte die Forderung gehen, die „Anwendungsbestimmungen und Auflagen zu vereinfachen“, die die Behörden für den Einsatz von Pestiziden erlassen.

Dabei geht es zum Beispiel um Vorschriften, die Mindestabstände zu Gewässern vorschreiben oder den Einsatz bei starkem Wind verbieten. Die Antragsteller wollen nach eigener Darstellung „eine bessere Verständlichkeit, Praxistauglichkeit sowie Kontrollierbarkeit“ der Regeln erreichen.

Bei Bundesagrarminister Alois Rainer (CSU) scheinen seine Länderkollegen von der Union auf offene Ohren zu stoßen. Er arbeitet gerade nach eigenen Angaben daran, dass „die Zulassungssituation von Pflanzenschutzmitteln verbessert“ und für „schnelle“ Verfahren durch „Verschlankung der behördlichen Zusammenarbeit“ gesorgt wird.

„Ich habe den Eindruck, dass einige Anträge auf der AMK direkt aus der Feder der chemischen Industrie kommen“, sagte Niedersachsens Ministerin Miriam Staudte der taz. Dazu zähle auch der Antrag, das Umweltbundesamt durch eine Herabstufung seiner Kompetenzen „zu degradieren“.

„Ich lehne es entschieden ab, die Belange des Artenschutzes, die wichtige Prüfung der Auswirkungen chemischer Substanzen auf Umwelt und Natur, so wie hier geplant, hinten anzustellen“, so die Grünen-Politikerin. Artenvielfalt, gesunde Böden, saubere Luft und unbelastetes Wasser seien zentrale Voraussetzungen, um langfristig gesunde Lebensmittel zu erzeugen.

Fraglich ist auch, ob es wirklich so viele „Bekämpfungslücken“ gibt, wie von den Unions­ministern ­behauptet. Staudte hat im Zusammenhang mit der Ausbreitung der Schilf-Glasflügelzikade, die Kartoffeln und Zuckerrüben schadet, darauf hingewiesen, dass sich das Insekt auch mit vielfältigen Fruchtfolgen und Schwarzbrachen bekämpfen lasse.

Anders als Agrar- und Chemie­lobby suggerieren, sind hierzulande nicht weniger, sondern sogar mehr Pestizidwirkstoffe erlaubt als in mehreren Nachbarländern. „Nach Angaben der EU-Kommission waren 2024 in Deutschland Pflanzenschutzmittel mit 281 Wirkstoffen regulär zugelassen, in den Niederlanden 266, in Österreich 248 und in Polen 277“, teilte ein UBA-Sprecher Ende Juli der taz mit.

Mehr erlaubte Pestizide in Deutschland als früher

Hinzu kämen Mittel mit Wirkstoffen, die eigentlich von der EU verboten sind, die ein Staat aber wegen einer nicht anders abwendbaren Gefahr für Agrarpflanzen ausnahmsweise erlauben darf. „In Deutschland ist die Zahl der Notfallzulassungen mit insgesamt 64 Fällen im Jahr 2024 besonders hoch, was die Zahl der de facto verfügbaren Wirkstoffe, auch im Vergleich zum Ausland, noch weiter erhöht“, so das UBA, das die Umweltrisiken von Pestiziden vor der Genehmigung prüft.

Das UBA widersprach auch der Kritik, dass heute weniger Pestizidwirkstoffe in Deutschland erlaubt seien als früher. „Die Zahl der in Deutschland zugelassenen Wirkstoffe ist in den letzten zehn Jahren nicht gesunken, sondern sogar leicht angestiegen“, so der UBA-Sprecher. 2013 seien nach BVL-Angaben 269 Wirkstoffe zugelassen gewesen, 2023 seien es 9 mehr gewesen. „2024 ist die Zahl nochmals gestiegen.“

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