Deutsche trinken weniger Alkohol: Agrarminister will Steuergeld in Werbung für Wein stecken
Angeblich soll es vor allem um alkoholfreie Optionen gehen, doch die beauftragte Agentur sieht das anders. Kritiker sprechen von Suchtförderung.

Zwar erklärte die Behörde: „Die Förderung soll sich auf alkoholfreie und alkoholreduzierte Weine konzentrieren“. Doch die Marketingorganisation Deutsches Weininstitut, das die Kampagne laut Agrarministerium organisiert, teilte mit, dass diese „unter anderem, nicht vor allem“ für die alkoholfreie Variante werben werde.
Pressesprecher Frank Büscher begründete das mit dem niedrigen Marktanteil alkoholfreien Weins „von ungefähr 1,5 Prozent“. Das Ministerium ließ die Frage der taz bis Redaktionsschluss unbeantwortet, ob der überwiegende Teil der Million in Werbung nur für alkoholfreie Weine fließen soll.
„Alkoholkonsum ist einer der wesentlichen Risikofaktoren für mehr als 200 Erkrankungen (zum Beispiel Krebserkrankungen, Erkrankungen der Leber und des Herz-Kreislauf-Systems, psychische Beeinträchtigungen) und für Unfälle“, warnt das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Internetseite. Selbst in geringen Mengen könne der Stoff „langfristig schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit haben“. Das Ministerium betont, „dass kein risikofreier Alkoholkonsum existiert.“ Im Jahr 2020 starben demnach rund 14.200 Menschen an Krankheiten, die ausschließlich auf Alkoholkonsum zurückzuführen sind.
Alkoholkonsum in Deutschland hoch, aber rückläufig
Deshalb begrüßen Mediziner, dass der Konsum in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist, auch wenn er nach Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen 2023 mit 10,2 Liter reinen Alkohols pro Kopf immer noch sehr hoch war im Vergleich zu anderen Staaten. Der Rückgang betrifft neben dem Topseller Bier auch Wein.
Agrarminister Rainer sieht das aber als Problem: „Der Weinkonsum, der in Deutschland viele Jahre konstant war, ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Entsprechend stehen die Preise unter Druck“, lässt der Bayer der taz ausrichten. Zahlreiche Betriebe kämpften „mit Liquiditätsproblemen“. Die Forschungsanstalt für Garten- und Weinbau im hessischen Geisenheim rechne „mit einem deutlichen Rückgang der bewirtschafteten Rebflächen“. Immer mehr Betriebe geben auf auf.
Der ausschlaggebende Faktor ist der Rückgang des Konsums – nicht, dass laut Ministerium „viel Wein importiert wird“. Denn der Anteil der Einfuhren am deutschen Verbrauch ist ziemlich konstant: Sowohl im Dreijahreszeitraum von 2018 bis 2020 als auch in dem von 2021 bis 2023 lag der Selbstversorgungsgrad dem Ministerium zufolge bei rund 46 Prozent. Anders lautende Vergleiche von nur 2 Jahren sind nicht aussagekräftig, weil die Erträge wegen des Wetters bei jeder Weinlese stark schwanken können.
Rainers Ministerium rechtfertigt den Zuschuss für die Werbekampagne damit, dass es auch „eine auskömmliche Erwerbssituation für die deutsche Landwirtschaft“ ermöglichen müsse. Der Weinbau sei zudem „ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, identitätsbildend und prägt die Landschaft vieler Regionen.“ Der CSU-Politiker will also deutschen Wein stärker fördern, damit mehr Weingüter überleben oder mehr Geld einnehmen.
Weder das Gesundheitsministerium noch die zuständigen Gesundheitspolitiker der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion wollten sich auf taz-Anfrage zu dem Thema äußern. Auch nicht der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Hendrik Streeck (CDU), der Alkohol gern als „Zellgift“ brandmarkt, das zum Beispiel aus dem Kassenbereich von Supermärkten verschwinden müsse.
Kritik kommt von Linken und Grünen
Die drogenpolitische Sprecherin Ates Gürpinar der Linksfraktion dagegen kritisierte, dass „die Regierung nun aktiv Suchtförderung in der Bevölkerung betreibt“. Der Gesundheitsschutz überwiege das wirtschaftliche Interesse der Winzer. „Auch bei einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung sind die Folgekosten im Gesundheitssystem enorm, die durch alkoholbedingte Erkrankungen entstehen. Dass der Konsum bei alkoholischen Getränken weiter zurückgeht, muss eine Bundesregierung unterstützen und nicht durch Steuermittel bekämpfen.“
Gürpinars Amtskollegin bei den Grünen, Linda Heitmann, warf Rainer „das pure Bedienen von Lobby- und Klientel-Interessen auf Kosten der Gesundheit und gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung“ vor. Der weinpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Harald Ebner, kritisierte: „Rainers Marketing-Million wird wirkungslos verpuffen“. Die Branche müsse bei der Entwicklung alkoholfreier Alternativen und der Etablierung klimafester Rebsorten unterstützt werden.
Der Agrarausschuss will am Mittwoch über den Haushaltsplan 2026 des Landwirtschaftsministeriums mit der Weinmillion beraten.
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