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Raila Odinga ist totKenias ewiger Revoluzzer

Sein Vater war einer der Gründer des unabhängigen Kenia, er selbst stritt für ein besseres Land. Nun ist Raila Odinga mit 80 Jahren gestorben.

Der kenianische Oppositionsführer der Koalition für Reformen und Demokratie (CORD), Raila Odinga, hatte viele Anhänger Foto: Goran Tomasevic/reuters

Berlin taz | Kenia steht unter Schock. Raila Odinga, einer der Spitzenpolitiker des Landes, ist in Indien gestorben. In einer Augenklinik im Bundesstaat Kerala sei er am Dienstag früh plötzlich tot umgefallen, die Ärzte konnten nur noch Herzstillstand feststellen, heißt es in Berichten. Kenias Präsident William Ruto hat sieben Tage Staatstrauer ausgerufen, das Parlament unterbrach seine Sitzung, in Odingas Hochburgen strömen Trauernde fassungslos auf die Straßen, mit Palmwedeln als Zeichen der Trauer.

„Man liebt ihn oder man verabscheut ihn, aber niemanden in Kenia lässt Raila Odinga kalt“, schrieb Ilona Eveleens, die ehemalige Nairobi-Korrespondentin der taz, im Sommer 2017, als er mal wieder die Präsidentschaftswahlen verloren hatte. Der oft populistisch auftretende, aber höchst professionell agierende Kenianer hat die Politik des Landes geprägt, seit in den frühen 1990er Jahren die Einparteienherrschaft endete.

Sein Vater Oginga Odinga hatte geholfen, Kenia 1963 zur Unabhängigkeit von Großbritannien zu führen, als Vizepräsident unter Präsident Uhuru Kenyatta. Der 1945 geborene Sohn Raila befand sich da in der DDR, wo er von 1962 bis 1970 in Leipzig und Magdeburg Maschinenbau studierte. Eine sozialistisch geprägte Weltsicht behielt er zeitlebens. Aber ein Kommunist war Raila Odinga nie.

Als Raila Odinga 1970 mit seinem DDR-Schweißerzertifikat in die Heimat zurückkehrte, saß sein Vater in Haft. Er machte sich als Geschäftsmann selbständig, 1982 wurde er als angeblicher Anstifter eines Putschversuchs gegen Kenias damaligen Diktator Daniel arap Moi verhaftet. Bis 1991 saß er im Gefängnis, dann fand er Zuflucht in Norwegen. Seine politische Karriere in der Heimat begann 1992, als sein Vater eine Oppositionsbewegung gründete, kurz bevor er starb.

Alle Wahlen verloren, aber immer respektiert

Raila Odinga, im Ausland und im Gefängnis groß geworden, fand nie eine dauerhafte politische Heimat. Um seine Gunst als reich gewordener Unternehmer buhlten viele, aber in einer Partei nach der anderen eckte er an. Er kandidierte häufig bei Präsidentschaftswahlen und verlor sie alle, zuweilen verdächtig knapp. Seine Niederlagen – zuletzt 2022 mit 48,85 Prozent – sorgten für regelmäßige Krisen. Immer aber fand Odinga einen Ausweg durch Verständigung mit den jeweiligen Siegern und blieb durch alle Lager respektiert.

„Man muss für Krisen eine Lösung finden, sonst gibt es Anarchie“, erläuterte Odinga seine Strategie in seinem letzten TV-Interview. Odinga stand dafür, dass Wandel zum Besseren nicht nur nötig, sondern auch möglich ist, und sich selbst hielt er für den Beweis dafür. Noch zu Lebzeiten ist er zur Ikone geworden.

Raila Odinga sei ein „Fackelträger“ in Kenias „zweiter Befreiung“, also dem Kampf für Demokratie, sagte Präsident William Ruto jetzt in seiner Trauerbotschaft. „Seine Stimme hat furchtlos den Mächtigen die Wahrheit gesagt.“ Er kündigte ein Staatsbegräbnis an. Schon vorher, wenn das Flugzeug mit seinem Leichnam aus Indien landet, dürfte Kenia kopfstehen.

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