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Wahlen in den NiederlandenDer patriotische Populismus ist noch nicht besiegt

Kommentar von

Tobias Müller

Ja, das politische Zentrum geht als Sieger aus den Wahlen in den Niederlanden hervor. Warum überschwänglicher Jubel trotzdem nicht angebracht ist.

Sie haben gut Jubeln, die Rechtsextremen der Niederlande Foto: Peter Dejong/AP/dpa

A ufatmen nach der Wahlnacht: Die rechtspopulistische Freiheitspartei (PVV) verliert 11 Sitze – eine drastische Abstrafung für den ewigen Parteivorsitzenden Geert Wilders. Aus Sicht seiner An­hän­ge­r*in­nen ist es die Quittung für den Bruch der Regierungskoalition. Seine zahlreichen Geg­ne­r*in­nen verstehen es als Konsequenz aus Wilders ständigem obsessiven Pochen auf einen „Asyl-Stopp“ und immer härtere Zuwanderungsbeschränkungen. Wer der PVV neutraler gegenübersteht, wirft ihr zumindest Polarisierung und zwei Jahre politisches Chaos in Den Haag vor.

Dass zugleich ausgerechnet die progressiven Democraten 66 mit ihrer hoffnungsvollen Wahlkampagne das beste Ergebnis ihrer Geschichte erzielten und damit zunächst vor der PVV lagen, sorgte für euphorische Zustände auf der Wahlparty der linksliberalen Partei. Progressive in ganz Europa sehen darin einen Hoffnungsschimmer: Endlich, frohlockt man, sei Wilders besiegt. So ähnlich verkündete es immerhin auch Rob Jetten, der D66-Spitzenkandidat, seinem jubelnden Publikum – als ob der Anfang vom Ende der rechtspopulistischen Welle nun eine Tatsache sei.

Dass das Wahlergebnis um einiges komplexer ist, wurde spätestens klar, als die PVV im Verlauf des Stimmenzählens zu D66 aufschloss. Daran, dass der Hoffnungsträger Jetten als künftiger Premier hervorragende Karten hat, ändert das nichts. Das ungewohnte Ergebnis zwingt jedoch dazu, genauer hinzusehen, was die Nie­der­län­de­r*in­nen da eigentlich gewählt haben.

Zwei Erkenntnisse

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Bevor der Blick aufs Detail geht, zwei grundlegende Erkenntnisse. Zum einen ist da die charakteristische Zersplitterung der Parteienlandschaft. Noch nie zuvor hatte ein Wahlsieger so wenig Sitze wie D66 – und ja, die PVV, die noch immer das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte erzielte. 26 von 150 Sitzen, das sind nicht einmal 17,5 Prozent.

Zweitens bestätigt sich eine Entwicklung, die schon seit zehn Jahren zu erkennen ist: Sehr viele Menschen haben keine feste Parteienpräferenz. Zwevende kiezers werden sie auf Niederländisch genannt – schwebende Wähler, also Wechselwähler. Gut ein Drittel traf die Entscheidung auch diesmal erst am Wahltag. Das bedeutet: Kurzfristige Umfragenhypes haben oft einen bemerkenswert hohen Effekt auf das Wahlergebnis.

So errangen etwa 2023 die PVV und der konservative Nieuw Sociaal Contract überraschende Erfolge und vier Jahre zuvor das rechtsextreme Forum voor Democratie. Nicht selten stürzen solche Shootingstars dann recht bald wieder ab. Andere schwingen wie ein Jojo – was auf die aktuellen Wahlgewinnerinnen, D66 und die christdemokratische CDA, zutrifft. Letztere wurde vor zwei Jahren fast eine Splitterpartei, um nun wieder triumphierend zurückzukommen.

Der Rechtspopulismus lebt weiter

Das Bedürfnis nach einem Politikwechsel bei Millionen von Nie­der­län­de­r*in­nen ist groß. Und zweifellos geht das Zentrum, für das D66 und CDA stehen, die beide auf Verbindung statt Polarisierung setzten, aus diesen Wahlen gestärkt hervor. Zugleich ist es nicht angebracht, die PVV, Wilders oder gar den patriotischen Populismus als solche für besiegt zu erklären. Davon zeugen allein schon die deutlichen Erfolge der rechtskonservativen JA21, die sich als bürgerliche Alternative zur PVV präsentiert, und dem Forum voor Democratie, das sich im Umfeld von Alt-Right-Verschwörungen und Impf­geg­ne­r*in­nen bewegt.

Dass beide inzwischen neben der PVV ihren festen Platz im niederländischen Parteienspektrum einnehmen, zeigt, wie sehr sich dieses seit dem Aufkommen des populistischen PVV-Urvaters Fortuyn und seines Nachfolgers Wilders nach rechts gewandelt hat. Weitere Beispiele sind Schlagworte wie „Asyl-Stopp“ oder „Remigration“, die sich inzwischen längst auch in den Programmen anderer Parteien wiederfinden. Nach dieser richtungsweisenden Wahl befinden sich nicht nur zahlreiche Wäh­le­r*in­nen in einer Art Schwebezustand, sondern eine ganze Gesellschaft. Teile dieser wollen durchaus aus den rechtspopulistischen Narrativen und Kontexten ausbrechen, doch sie ist davon tief durchdrungen.

Dass die D66 nun die Hoffnung auf diesen Durchbruch verkörpert und nicht das rot-grüne Bündnis aus der sozialdemokratischen PvdA und GroenLinks, ist bezeichnend. PvdA-Anführer Frans Timmermans hatte am Vorabend der Wahl die Ära Wilders für beendet erklärt. 24 Stunden später war es seine eigene Ära, die endete. Die harte Niederlage zeugt vor allem davon, dass es für einen auch sozial-ökonomisch ambitionierten linken Aufbruch in der bestehenden politischen Kultur der Niederlande kaum Rückhalt gibt. Eine Erkenntnis, die nicht zum ersten Mal, aber nun in frappierender Deutlichkeit sichtbar wird. Die niederländische Linke hat eine fulminante Bruchlandung hingelegt.

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