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Nach den Wahlen in Tansania„Idi Amin Mama“ ist abgetaucht

Mit fast 98 Prozent soll Samia Suluhu die Wahl in Tansania gewonnen haben. Proteste dagegen werden niedergeschlagen, Infos und Nahrung sind knapp.

Ist abgetaucht: die Präsidentin der Republik Tansania, Samia Suluhu Hassan Foto: Boniface Muthoni/imago

Die Serie von Präsidentschaftswahlen in Afrika in diesem Jahr, bei denen die wichtigsten Oppositionsführer nicht antreten dürfen, hat in Tansania einen unrühmlichen Abschluss gefunden. Die Wahlkommission des 70-Millionen-Einwohner-Landes erklärte am Samstag Präsidentin Samia Suluhu Hassan zur Siegerin der Wahlen vom 29. Oktober mit 97,66 Prozent der Stimmen – bei einer unglaubwürdig hohen Wahlbeteiligung von fast 87 Prozent.

Zur Siegesverkündung wurde das Internet kurz wieder angestellt, das Tansanias Behörden am Wahltag abgestellt hatten, als schwere Unruhen zahlreiche Städte erfassten. Junge Demonstranten, die sich kollektiv wie in vielen Ländern „Gen Z“ nennen (Generation Z), gingen in allen großen Städten auf die Straße und verlangten faire Wahlen. Die Unruhen dauerten in den Tagen nach der Wahl an. Vielerorts wurden öffentliche Gebäude gestürmt und angezündet, Materialien der Wahlkommission und Stimmzettel geplündert und verwüstet.

Sicherheitskräfte gingen mit extremer Gewalt dagegen vor. Bis Freitag wurden über 700 Menschen getötet, berichtete Tansanias von den Wahlen ausgeschlossene größten Oppositionspartei Chadema auf der Grundlage von Erhebungen in Krankenhäusern. Oppositionsnahe Medien nannten die Zahl von 816 Toten. Die Nachrichtenagentur AFP zitierte Diplomaten und Quellen im Sicherheitsapparat, die diese Angaben „glaubwürdig“ nannten und selbst von „Hunderten“ Toten sprachen.

Wir erleben ein totalitäres Regime. Zum ersten Mal in unserer Geschichte erleben wir Massentötungen von Protestierenden

Charlea Kitima, Generalsekretär der katholischen Bischofskonferenz in Daressalam,

Aufgrund der Kommunikationssperre sind nähere Verifizierungen derzeit nicht möglich. Nicht nur blieb das Internet mit Ausnahme der kurzen Pause am Samstag gesperrt, was auch den elektronischen Zahlungsverkehr lahmlegt – in weiten Landesteilen wurde auch der Strom abgestellt, um alle Verbindungen zur Außenwelt zu kappen. Es gilt eine landesweite Ausgangssperre zwischen 18 und 6 Uhr. Straßensperren hindern die Bewegungsfreiheit, es gibt keinen öffentlichen Verkehr mehr.

Lebensmittel, Bargeld und Treibstoff werden knapp, meldete am Sonntag die britische Botschaft in Daressalam. Die wenigen kurzen Videos aus Tansanias Städten, die im Ausland verbreitet worden sind, zeigen menschenleere Straßen mit vereinzelten Leichen, die sich niemand zu bergen traut, oder mit patrouillierenden bewaffneten Uniformierten, die hier und da auf nicht sichtbare Ziele, etwa im Straßengraben, das Feuer eröffnen.

Von Angela Merkel zu Mama Amin

Als Samia Suluhu Hassan 2021 mit 60 Jahren Präsidentin von Tansania wurde, galt sie noch als Hoffnungsträgerin nach der autoritären und populistischen Herrschaft ihres Vorgängers John Magufuli, der schließlich an Covid-19 starb. Seine Vizepräsidentin Suluhu trat ganz anders auf, leise und sachlich. Die in Großbritannien und den USA ausgebildete langjährige Projektmanagerin beim UN-Welternährungsprogramm WFP wurde als „Afrikas Angela Merkel“ gepriesen, etwa vom ugandischen Kommentator Joachim Buwembo in der taz. „Versöhnung, Reform, Resilienz und Wiederaufbau“ versprach die vorherige Vizepräsidentin in Abgrenzung zu ihrem Vorgänger, hob Beschränkungen der Versammlungs- und Pressefreiheit auf und entließ Oppositionelle aus der Haft.

Aber je näher die Wahlen 2025 rückten, desto schärfer zog der Machtapparat der seit Tansanias Unabhängigkeit 1961 regierenden, ehemals sozialistischen CCM (Chama Cha Mapinduzi) die Zügel wieder an. Oppositionelle wanderten wieder hinter Gitter oder wurden getötet. Die Kommunalwahlen 2024 gewann CCM mit 99 Prozent. Im April 2025 wurde Chadema-Präsidenschaftskandidat Tundu Lissu unter Terroranklage inhaftiert. Die Liste von Verschwundenen wurde immer länger.

Die Merkel-Vergleiche für Suluhu sind Vergangenheit, inzwischen nennen Tansanier im Exil ihre Präsidentin „Idi Amin Mama“ – unter der Diktatur des Gewaltherrschers Idi Amin in Uganda 1971 bis 1979 starben Hunderttausende. Bis zu diesen Wahlen schien der Vergleich überzogen. Jetzt nicht mehr. „Wir erleben ein totalitäres Regime“, sagte der Generalsekretär der katholischen Bischofskonferenz in Daressalam, Charlea Kitima. „Zum ersten Mal in unserer Geschichte erleben wir Massentötungen von Protestierenden.“

Wo sich die Präsidentin derzeit aufhält, ist nicht bekannt. Sie hat keine öffentliche Siegesrede gehalten. Einigen Berichten zufolge soll sie am Samstag oder am Sonntag bereits heimlich im kleinen Kreis in ihre neue Amtszeit eingeführt worden sein.

An den Wahlergebnissen bestehen erhebliche Zweifel. Den amtlichen Zahlen zufolge hat Suluhu doppelt so viele Stimmen erhalten wie ihr Vorgänger Magufuli bei der letzten Wahl 2020 – trotz Oppositionsboykotts. Unabhängigen Quellen zufolge waren viele Wahllokale verwaist. Eine funktionierende Wahlbeobachtung gab es offenbar nicht. Die Wahlbeobachter von Südafrikas regierendem ANC (African National Congress), der sich als Schwesterpartei der tansanischen CCM begreift, erklärten: „Aus gegenwärtig unbekannten Gründen konnte die Delegation keinen einzigen Aspekt der Wahlen beobachten.“ Eine Anfechtung der Wahlergebnisse vor Gericht ist in Tansania nicht möglich.

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