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US-Paar will so viele Kinder wie möglich„Sie setzen Embryonen ein, die sie für höherwertig halten“

Die Soziologin Susanne Schultz erklärt, wie Konservative in den USA die Bevölkerung künstlich verändern wollen – und was Elon Musk damit zu tun hat.

Die pronatalistische Vorzeigefamilie Collins wirbt für genetisch optimierte Kinder Foto: Bryan Anselm/Redux/laif
Patricia Hecht

Interview von

Patricia Hecht

taz: Frau Schultz, das US-amerikanische Ehepaar Simone und Malcolm Collins hat angekündigt, so viele Kinder wie möglich bekommen zu wollen. Was hat es mit dieser Familie auf sich?

Susanne Schultz: Die Collins’ haben bisher vier Kinder. Sie machen ihr Familienleben auf Social Media öffentlich und sind in der US-amerikanischen Presse omnipräsent. Sie behaupten zum einen, sogenannte entwickelte Nationen wie die USA wären aufgrund fallender Geburtenraten dabei, ökonomisch und sozial in die Krise zu geraten. Sie machen deshalb Propaganda für kinderreiche Familien. Zum anderen haben sie ihre Kinder nicht einfach so bekommen.

taz: Sondern?

Schultz: Sie haben die Embryonen auf bestimmte genetische Marker testen lassen, die angeblich mit Anlagen für Depressionen oder Intelligenz zusammenhängen. Die Zeugung verlief per In-Vitro-Fertilisation, danach wurde mithilfe von Präimplantationsdiagnostik getestet und selektiert. In Simone Collins Gebärmutter eingesetzt wurden diejenigen Embryonen, die den Untersuchungen zufolge als höherwertig galten.

taz: Es ist doch gar nicht möglich, Intelligenz genetisch vorherzusagen.

Schultz: Momentan befindet sich eine Forschung im Aufwind, die auf der Grundlage großer Datenmengen statistische Zusammenhänge zwischen genetischen Markern und sozialen Eigenschaften sucht. Auf dieser Basis werden dann Behauptungen über Wahrscheinlichkeiten etwa von höherem oder niedrigerem Bildungserfolg aufgestellt. Wissenschaftlich ist diese Forschung höchst fragwürdig. Trotzdem propagieren die Collins’ die Nutzung kommerzieller Testanbieter wie zum Beispiel Heliospect Genomics, der behauptet, Anlagen für Intelligenz ermitteln zu können oder Orchid, der ein umfangreiches Embryoscreening von Risikofaktoren für Diabetes, Alzheimer oder Schizophrenie anbietet. Die Collins’ gehören zur weißen Tech-Elite des Silicon Valley und sind Aushängeschild eines Phänomens, das Pronatalismus genannt wird.

taz: Was ist das?

Schultz: Der Begriff beschreibt alle Politiken, die besagen, bestimmte Geburtenraten müssten erhöht werden. Es geht dabei nicht um reproduktive Gerechtigkeit, die die Selbstbestimmung über den eigenen Körper sowie Elternschaft mit sozialer Gerechtigkeit verbindet und für alle da ist. Sondern es geht um das Wachstum bestimmter nationaler Bevölkerungen oder bestimmter Bevölkerungsgruppen. Historisch ist Pronatalismus mit selektiven Programmen verbunden, die vorgeben, welche gesellschaftlichen Gruppen Kinder bekommen sollen und welche nicht. In der historischen Eugenik geschah das in der extremsten Form im Nationalsozialismus, als der sogenannte Volkskörper vor angeblich vererbten „minderwertigen“ Eigenschaften geschützt werden sollte.

taz: Ist es nicht verständlich, dass Eltern möglichst gesunde Kinder haben wollen?

Schultz: Was heißt denn gesund? Entscheidend sind doch die sozialen Lebensbedingungen, die es ermöglichen, ein gutes Leben zu führen oder eben nicht – ganz gleich, welche genetischen Besonderheiten Menschen haben. Auch psychische Gesundheit ist äußerst abhängig von sozialen Faktoren.

taz: Und Herzkrankheiten, Diabetes, Alzheimer?

Schultz: Bisher wurde bei keiner dieser Erkrankungen das eine Gen gefunden, das sie auslösen könnte. Das ist nur bei wenigen sogenannten monogenetischen Krankheiten wie Mukoviszidose der Fall. Ansonsten hat die Forschung allenfalls statistische Zusammenhänge zwischen vielen genetischen Markern auf der DNA und leicht erhöhten Risiken entdeckt, etwa im Laufe des Lebens einen Herzinfarkt zu bekommen. Außerdem: Sollten Kinder, die bestimmte Eigenschaften tragen, per se nicht existenzberechtigt sein? Soll es nur autonome, autarke, kräftige Körper geben? Oder geht es eher darum, dass vielfältige Menschen in möglichst guten Bedingungen leben dürfen? Es ist Teil der pronatalistischen Propaganda, die gesündesten, klügsten, besten Kinder zu versprechen. Die Collins’ werden sogar deutlicher: Sie visionieren die „Massenproduktion genetisch selektierter Menschen“.

taz: Ein weiterer US-Amerikaner, der Berichten zufolge 14 Kinder hat, ist Elon Musk. Ist das Zufall?

Schultz: Elon Musk hat gesagt: „Die schlimmste Gefahr für unsere Zivilisation ist eine sinkende Geburtenrate.“ Er gehört zur weißen, rechten Tech-Elite, die neue reproduktionsmedizinische Möglichkeiten in der Entstehung ihrer Kinder voll ausschöpft. Er hat mindestens eine Leihgebärende hinzugezogen. Auch das chromosomale Geschlecht der Embryonen wurde selektiert.

taz: Er hat eine trans Tochter, die sich von ihm losgesagt hat.

Schultz: Ja. Musk steht für die Vorstellung einer hyperpotenten Männlichkeit – dafür, die eigenen Gene durch seine Spermien so weit wie möglich zu verbreiten und die Frauen dann die Kinder großziehen zu lassen.

taz: Ende März fand im texanischen Austin die „Natal Conference“ statt. Welche Bedeutung hatte sie?

Schultz: Es wurde sehr deutlich, dass sich unter dem Motto Pronatalismus verschiedene rechte Kräfte austauschen und zusammentun – in Bezug auf selektive Reproduktion, höhere Geburtenraten als vermeintliche Krisenlösung, Rassismus und Antifeminismus. Man konnte beobachten, welche Allianzen und Konflikte es in Bezug auf die Frage gibt: Welche Kinder welcher Bevölkerungsgruppen sollen sich mit welchen Mitteln vermehren?

taz: Welche rechten Kräfte sind das?

Schultz: Vor Ort waren neben rechten „Tech-Bros“ aus dem Silicon Valley und wertkonservativen ChristInnen auch White Supremacists, die rassistische Ideen von Bevölkerungsaustausch vertreten. Sie behaupten, sowohl Einwanderung als auch höhere Geburtenraten migrantisierter und rassifizierter Gruppen machten die nationale weiße Volksgemeinschaft zur Minderheit. Eine Person, die sich Peachy Keenan nennt und als Tradwife bezeichnet – also als Frau, die ein traditionelles Rollenbild lebt – sprach in einem Vortrag von „Anker-Babys“. Sie unterstellt, dass Im­mi­gran­t*in­nen in den USA strategisch Kinder bekommen, um ihren Aufenthaltsstatus abzusichern.

taz: Die pronatalistische Szene ist sich nicht immer einig. Wo gibt es Konflikte?

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Schultz: Ein Thema zwischen der wertkonservativen religiösen Rechten und denen, die Fantasien genetischer Optimierung anhängen, ist die Frage, welchen Stellenwert der Embryo hat. Die sogenannte Lebensschutzszene lehnt es als Tötungen ab, Embryonen einzufrieren oder zu verwerfen, Abtreibung sowieso. Zudem unterscheiden sich die Gruppen in Bezug auf die Frage, welches Familienmodell propagiert wird. Die Collins’ zum Beispiel sind beide berufstätig und grenzen sich damit von Tradwives ab, die das Ein-Ernährer-Modell propagieren, also als Hausfrauen mit Kindern zu Hause bleiben und einen Mann umsorgen. Das unterscheidet sich wiederum vom Maskulinismus, für den Elon Musk oder Donald Trump stehen.

taz: Was hat Trump damit zu tun?

Schultz: Trump unterstützt die technologieaffine Programmatik, indem er den Zugang zu sogenannter künstlicher Befruchtung verbessern will und sich als „Befruchtungspräsident“ feiert. Sein Vizepräsident J. D. Vance bediente die sogenannte Lebensschutzszene, als er auf dem „Marsch für das Leben“ in Washington seine erste Rede als Vize hielt und erklärte: „Ich will mehr Babys in den Vereinigten Staaten von Amerika.“ Im „Projekt 2025“ der Heritage Foundation, die den Fahrplan der zweiten Trump-Amtszeit entwarf, sind pronatalistische Maßnahmen begründet, die die Regierung nun anschiebt. Darunter sind 1.000 Dollar Startkapital für jedes Baby mit US-Staatsbürgerschaft.

taz: Gibt es hierzulande vergleichbare Ansätze pronatalistischer Organisierung?

Schultz: Die höhere Geburtenrate gegen Einwanderung in Anschlag zu bringen und bestimmte Bevölkerungsgruppen abzuwerten, ist ein zentrales Projekt der heutigen transnationalen Rechten und auch für die AfD-Programmatik ein Schlüsselelement.

taz: Und bei der Technologie? Die deutschen Gesetze sind in Bezug auf Präimplantationsdiagnostik viel strenger.

Schultz: Die reproduktionstechnologische Industrie agiert global – weg von kleinen Kliniken, die eher aus dem Gesundheitssektor kommen, hin zu Start-ups und lukrativen Ketten, die sich als spekulatives Kapital für Investoren eignen. Simone Collins arbeitete früher für den rechten Vordenker Peter Thiel. Sam Altman, Gründer von Open AI, investiert in ein Start-up, das an der Herstellung künstlicher Keimzellen arbeitet. Der Unternehmer Martín Varsavsky wiederum operiert mit dem Prelude Fertility Netzwerk an 36 Orten in den USA und ist Aufsichtsrat bei Springer, wo Musk einen Gastbeitrag publizierte, in dem er sich für die AfD starkmachte. In dieser transnationalen Branche geht es nicht nur um die Ideologie der eigenen Überlegenheit, sondern auch um hohe Gewinnmargen. Der Pronatalismus ist ein ideologisches, hierarchisches Projekt, in dem konservative Technologiekritik und eine hochtechnologische, marktbasierte Eugenik Allianzen bilden.

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1 Kommentar

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  • Wenn ich mir die viereinhalb Hoffnungsträger auf dem Foto so anschaue ... Ein Leonardo da Vinci, Michelangelo, Edison oder Einstein wird dabei wohl nicht herauskommen.



    Allerdings halte ich diese Denke für äußerst gefährlich. Wir sollten uns 90 Jahre zurückerinnern und uns "Lebensborn e. V." ins Gedächtnis zurückrufen: Dieser NS-Verein verfolgte vergleichbare Ziele.