Auswertung von AfD-Reden im Landtag: Auf 390 Seiten gegen die Verfassung
Die bayerischen Grünen haben Reden der AfD ausgewertet. Das Ergebnis spricht aus Grünen-Sicht für ein Verbot der Partei, „bevor aus Worten Taten werden“.
Schon beim Anblick des Schriftstücks, das einem die Grünen-Mitarbeiterin am Montagmorgen in die Hand drückt, gruselt es einen: In Frakturschrift prangen dort auf der Titelseite Vokabeln: „Volksfeindlich“, „Scheinasylanten“, „Bevölkerungsaustausch“, „Massenvergewaltiger“, „multiethnische Besiedlungszone“. Die Begriffe sind dem entnommen, was die Mitglieder der AfD-Fraktion im bayerischen Landtag zwischen 2018 und 2023 von sich gegeben haben, also in ihrer ersten Legislaturperiode.
Zu einer Zeit also, als Teile der Fraktion bisweilen noch als „gemäßigt“ bezeichnet wurden. Damals gab es einen erbitterten Streit, den die Anhänger des Thüringer Rechtsextremisten Björn Höcke rund um Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner gewannen. Seit Herbst 2023 besteht die Fraktion praktisch nur noch aus dieser Gruppe. Zwei der Abgeordneten werden derzeit vom Verfassungsschutz beobachtet.
Das 390 Seiten dicke Buch ist nun im Wesentlichen nichts anderes als eine kommentierte Zitatesammlung. 21.880 Seiten Plenarprotokolle hat eine kleine Gruppe von Grünen rund um den Landtagsabgeordneten Toni Schuberl dafür ausgewertet. Die Herausgeberin, die Grünen-Fraktion im bayerischen Landtag, will es als Beitrag zur Debatte um ein Verbot der AfD verstanden wissen. „Die AfD sollte verboten werden“, so die Warnung, „bevor aus Worten Taten werden“.
Verfassungsschutz beobachtet nicht im Plenarsaal
Das Buch trägt denn auch den Titel „Aus Worten werden Taten“. Mit dem Werk, so Schuberl am Montag im Pressegespräch, schließe man eine Lücke, denn der bayerische Verfassungsschutz habe es bislang unterlassen, Äußerungen auszuwerten, die im Parlament fielen – zum „Schutz des freien Mandats“. Das Bundesverfassungsgericht habe aber bereits klargestellt, dass gerade Aussagen, die in den Parlamenten fallen, zentral für ein Parteiverbotsverfahren seien.
Und es ist ja nicht so, dass die AfD-Abgeordneten sich im Parlament handzahm geben. Im Gegenteil: Oft, scheint es, richten sich ihre Landtagsreden gar nicht an das vor ihnen versammelte Parlament, sondern sind nur dafür konzipiert, die eigenen Kanäle in den sogenannten sozialen Medien möglichst passgenau zu bespielen.
Alle Beiträge sind auch auf der Website des Landtags als Protokoll nachzulesen oder im Video nachzuschauen. Da kann man dann etwa den Parlamentarischen Geschäftsführer Christoph Maier über den drohenden „Bevölkerungsaustausch“ schwadronieren hören: „Sie haben sich damit politisch kastriert und unser Land kampflos den Globalisten und Multikulturalisten übergeben. (…) Biodeutsche werden ersetzt durch Neudeutsche, was auch immer das sein mag. Ein Volk soll einfach ausgetauscht werden.“
Oder der Abgeordnete Oskar Atzinger: „Bis vor nicht allzu langer Zeit bekamen auch die deutschen Familien genügend Kinder, um den Fortbestand des Volkes zu gewährleisten. Seit einigen Jahrzehnten aber ist dies nicht mehr der Fall. Stattdessen importiert man hierzulande inzwischen Menschen und überlässt das Kinderkriegen lieber den Migranten.“
Verwandtschaft mit dem frühen Nationalsozialismus?
Für Schuberl steht fest: Die AfD-Fraktion vertritt ein geschlossen rechtsextremes Weltbild. „Da ist nicht einem mal was rausgerutscht, das erstreckt sich über die ganze Fraktion.“ Die Zeit der Ausreden sei daher vorbei.
Der Jurist sieht auch eine Wesensverwandtschaft mit dem frühen Nationalsozialismus. So tauche der Verschwörungsmythos des Bevölkerungsaustauschs bereits in Hitlers „Mein Kampf“ auf. Und wenn beispielsweise der AfD-Abgeordnete Maier Deutsche, die mindestens einen Elternteil haben, der nicht in Deutschland geboren sei, als Nichtdeutsche klassifiziere, erinnere ihn das doch sehr an die Nürnberger Rassengesetze der Nazis.
Die Grünen fordern nun die Einsetzung einer Bund-Länder-Kommission mit dem Ziel, ein Verbotsverfahren auf den Weg zu bringen.
Die bayerische AfD selbst indes war am vergangenen Wochenende mal wieder mit sich selbst beschäftigt. Bei ihrem Parteitag in Greding fand ein Antrag, acht Vorstandsmitglieder abzuwählen, nicht die nötige Zweidrittelmehrheit. Die Parteispitze steht somit erst im kommenden Jahr zur Wahl respektive Abwahl. Die Kluft ist allerdings keine inhaltliche. Teilen des Vorstands wurde beispielsweise vorgeworfen, mangelndes Engagement für die Kommunalwahlen im März zu zeigen.
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