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Rentensystem„Der Blick allein auf das Alter greift viel zu kurz“

Die Bundesregierung streitet über ihr Rentenpaket. Dabei müsste man die Probleme ganz anders angehen, sagt der österreichische Sozialforscher Josef Wöss.

Müssten Rentner bald wieder an den Schreibtisch oder gibt es auch andere Lösungen? Senioren-Speeddating in Wien Foto: Christian Bruna/epa

Interview von

Theresa Walter

taz: Herr Wöss, muss aus dem Thema Rente immer ein Generationenkonflikt werden?

Josef Wöss: Nein, das muss keineswegs so sein. Eigentlich müsste es zum Beispiel im Interesse der Jüngeren sein, dass sie selbst mal eine gute und sichere Rente bekommen, also dass das Rentenniveau eher steigt und jedenfalls nicht weiter sinkt.

taz: Aber ist das nicht sowieso unmöglich, wenn es nun mal immer weniger junge Menschen und immer mehr alte Menschen gibt?

Wöss: Das wirkt nur so, weil die Diskussion in Deutschland viel zu verkürzt geführt wird.

Im Interview: Josef Wöss

Wöss leitete bis zu seinem Ruhestand 2021 die Abteilung Sozialpolitik der Arbeiterkammer Wien. Er ist Experte für Renten- und Sozialpolitik und forscht zu der Frage, warum der Arbeitsmarkt der Schlüssel zur erfolgreichen Bewältigung des demografischen Wandels ist.

taz: Inwiefern?

Wöss: Es wird oft als alternativlos dargestellt, das Rentenniveau abzusenken oder das Renteneintrittsalter noch weiter zu erhöhen, also Menschen noch später in Rente gehen zu lassen. Die einzige weitere Möglichkeit, die es dann noch in die Diskussion über den Umgang mit dem demografischen Wandel schafft, ist die kräftige Erhöhung der Beitragssätze.

taz: Entweder die Leute arbeiten länger, es wird mehr eingezahlt oder das Rentenniveau sinkt. Klingt für mich logisch als Alternativen, die wir haben.

Wöss: Aber gerade aus der Perspektive der Jugend wäre es doch naheliegend, eine weitere Option ins Spiel zu bringen und auf mehr und bessere Arbeitsplätze zu setzen. Die entscheidende Frage ist: Wie viele von uns haben gute Arbeitsplätze und tragen damit im nötigen Ausmaß zur Finanzierung der Sozialsysteme bei und bei wie vielen ist das nicht der Fall?

taz: Was hat das mit der Zukunft der Rente zu tun?

Wöss: Ein zentraler Punkt ist, was wir die ökonomische Abhängigkeitsquote nennen: Wie viele Leistungsbezieher gibt es und wie viele Beitragszahler stehen ihnen gegenüber? Als Leistungsbezieher sollte man dabei nicht nur Rentner sehen, sondern auch Arbeitslose, also alle, für die die Einzahler aufkommen müssen. Wie wird diese Quote aussehen, wenn es in Zukunft viel mehr Ältere gibt als heute? Der Blick allein auf das Alter greift viel zu kurz, um diese Frage zu beantworten. Das Ergebnis hängt ganz wesentlich davon ab, wie viele Menschen in Zukunft einen guten Arbeitsplatz haben und ob es gelingt, dass ein deutlich höherer Anteil der Menschen im Erwerbsalter tatsächlich erwerbstätig ist – und damit viel weniger Menschen aus dieser Altersgruppe auf Sozialleistungen angewiesen sind, als das heute der Fall ist.

taz: Warum ist die Art der Arbeit wichtig?

Wöss: Es geht nicht um irgendwelche Jobs, sondern um gute Arbeitsplätze. In Deutschland sind aktuell rund 10 Prozent aller als erwerbstätig eingestuften Personen nur geringfügig als Minijobber beschäftigt und zahlen dadurch wenig oder gar nichts in die Rentenkasse ein. Auch der Niedriglohnsektor ist ein Problem für die Rente. Menschen, die dort arbeiten, erwerben nur sehr geringe Rentenansprüche und laufen Gefahr, in Altersarmut zu landen. Die niedrigen Rentenbeiträge verursachen außerdem ein Problem für die aktuellen Renten, die die jeweils Erwerbstätigen in einem Umlageverfahren durch ihre Beiträge finanzieren.

taz: Also könnten mehr Jobs und bessere Jobs die Rente retten?

Wöss: Wenn der Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung stark in die Höhe geht, wird ein höherer Teil des Bruttoinlandsprodukts für sie aufgewendet werden müssen. Daran führt kein Weg vorbei, wenn es auch für die heute Jüngeren halbwegs gute Renten und eine gute Gesundheitsversorgung im Alter geben soll. Allerdings würden mehr und bessere Jobs die von vielen befürchtete massive Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern erheblich eindämmen.

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taz: Das ist erst mal ein abstrakter Appell. Was müsste ganz konkret getan werden?

Wöss: Wer für die heute Jüngeren eine gute Perspektive für die Rente aufbauen will, muss sich um ihre aktuellen Probleme am Arbeitsmarkt kümmern. Um ein einfaches Beispiel zu nennen: Unzureichende Ausbildung führt dazu, dass viele nicht ins Erwerbsleben hineinkommen und auch später wenig Chancen haben – mit den angesprochenen negativen Folgen für die Rente.

taz: Aus- und Fortbildung für Jugendliche ohne Schul- und Berufsabschluss kostet erst mal viel Geld.

Wöss: Das kostet viel weniger Geld, als die Folgen im Nachhinein auszubügeln. Genauso bei Kinderbetreuungsplätzen. Viele Frauen arbeiten in Teilzeit, würden aber gerne ihre Arbeitszeit erhöhen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen würden. Da geht es vor allem um gute Kinderbetreuung. Eine weitere Gruppe mit viel Potenzial sind Zugewanderte. Auch hier gilt: Bessere Arbeitsmarktintegration würde zu mehr Beschäftigten führen und damit auch zu mehr Einzahlungen in die Sozialkassen.

taz: Das läuft darauf hinaus, dass alle möglichst viel arbeiten. In einer Familie am besten beide Elternteile Vollzeit, zugunsten der Rentenkasse. Soll das wirklich die Zukunft sein?

Wöss: Es geht nicht darum, dass alle möglichst viel arbeiten, sondern es geht um eine bessere Verteilung von Arbeit, sowohl der bezahlten als auch der unbezahlten. Schauen wir mal andersherum darauf: Kann es die Zukunft sein, dass diejenigen, die heute jung, gut ausgebildet und gesund sind, bis an ihr Limit arbeiten, während andere keinen Zugang zum Arbeitsmarkt finden? Da scheint es doch sinnvoller, Arbeit besser zu verteilen. Mit guten Jobs für alle.

taz: Was ist das, ein guter Job?

Wöss: Ein guter Job, so definieren das auch die Gewerkschaften, ist einer, der gut entlohnt wird und dessen Arbeitsbedingungen mit dem Privatleben vereinbar sind. Außerdem gibt es Mitbestimmungsmöglichkeiten und Gesundheitsschutz. Der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ist auch ein Hebel für mehr Beschäftigung. Es gibt Berufe, bei denen die Belastung so hoch ist, dass sie kaum bis zur Rente durchzuhalten sind, zum Beispiel in der Pflege. Wer hier die Arbeitsbedingungen verbessert, sorgt auch dafür, dass Menschen länger arbeiten können.

taz: Können denn die Maßnahmen, die Sie aufzählen, wirklich ausreichen, um die Probleme einer alternden Gesellschaft für die Rente zu bewältigen?

Wöss: Sie können das Problem der Alterung jedenfalls massiv entschärfen. Aber sie müssen Teil einer Gesamtstrategie sein. Letztlich geht es darum, dass der erarbeitete Wohlstand breit verteilt wird. Dazu gehören dann zum Beispiel auch Maßnahmen gegen Steuerdumping und generell eine bessere Verteilungspolitik.

taz: Gibt es denn Beispiele von Ländern, wo es geklappt hat, die Folgen des demografischen Wandels durch Arbeitsmarktpolitik abzumildern?

Wöss: Das findet de facto in vielen Ländern statt, wird aber wenig beachtet. Die Erwerbsbeteiligung ist sowohl bei den Frauen als auch generell im höheren Erwerbsalter erheblich nach oben gegangen. Zusammen mit der Zuwanderung hat das schon bisher bewirkt, dass die sogenannte ökonomische Abhängigkeitsquote viel weniger stark gestiegen ist, als das ursprünglich prognostiziert wurde.

taz: Sie meinen, dass sich die schon heute gealterte Gesellschaft weniger im Rentenproblem zeigt, als man das früher dachte?

Wöss: Ja. Wir sehen zum Beispiel in Österreich: Bei einer alternden Gesellschaft ist das Verhältnis zwischen Rentnern und Beitragszahlern in den letzten 20, 30 Jahren ziemlich konstant geblieben ist.

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