Umsatzsteuer bleibt teils bei Landwirten: Bund plant wohl illegales Steuergeschenk für Bauern
Die Regierung will offenbar rechtswidrig auf zig Millionen Euro Umsatzsteuer von Landwirten verzichten. Der Rechnungshof warnt vor einer EU-Klage.
Die Bundesregierung plant offenbar, Landwirten rund 90 Millionen Euro Umsatzsteuer pro Jahr zu schenken – obwohl das gesetzlich nicht erlaubt ist. Das Finanzministerium wolle die zum 1. Januar 2026 „gesetzlich vorgeschriebene Absenkung des Durchschnittssatzes für Landwirte“ nicht umsetzen, schreibt der Bundesrechnungshof in einem vertraulichen Bericht, der der taz vorliegt.
Die Rechnungsprüfer kritisieren das Vorgehen als „einen gravierenden Rechtsverstoß“, der Deutschland auch eine Klage der EU-Kommission wegen unzulässiger Subventionen und zig Millionen Euro Strafe pro Tag einbringen könne.
Hintergrund ist eine Sonderregel für Agrarunternehmen mit höchstens 600.000 Euro Umsatz pro Jahr: Sie dürfen ihren Kunden pauschal 7,8 Prozent Umsatzsteuer berechnen – müssen dieses Geld aber nicht an das Finanzamt weitergeben. Im Gegenzug dürfen sie sich aber auch keine Umsatzsteuer vom Staat erstatten lassen, die sie selbst beim Einkauf zahlen. Diese Pauschal-Regelung soll ihnen Bürokratie ersparen.
Das Problem für den Staat: In den vergangenen Jahren haben die Pauschallandwirte im Schnitt mehr Umsatzsteuer eingenommen als ausgegeben. Der Steuersatz hätte nach Berechnungen des Agrarministeriums von 2021 bis 2023 durchschnittlich nur 6,1 Prozent betragen dürfen.
„Ein um 1,7 Prozentpunkte zu hoher Durchschnittssatz“
„In dieser Größenordnung entspricht ein um 1,7 Prozentpunkte zu hoher Durchschnittssatz einem Umsatzsteuerbetrag von über 90 Mio. Euro jährlich, die die Pauschallandwirte ihren Abnehmern zu viel berechnen und als Subvention vereinnahmen“, so der Bundesrechnungshof. Dieses Geld geht also dem Finanzamt verloren.
Lange tolerierte die Bundesregierung diese steuerliche Bevorzugung vieler Bauern. Doch nachdem die EU-Kommission Deutschland deshalb verklagt hatte (taz berichtete 2019), beschränkte das Parlament 2022 die Pauschalregel auf Landwirte mit bis zu 600.000 Euro Umsatz. Damals schrieb der Gesetzgeber auch vor, die Höhe des Durchschnittssatzes jedes Jahr zu überprüfen. Das Umsatzsteuergesetz gibt in seiner Anlage 5 sogar die genaue Formel vor, Paragraph 24 verpflichtet das Finanzministerium, den so errechneten Satz „mit Wirkung zum 1. Januar des Folgejahres“ in einer Verordnung vorzuschreiben.
Aber politisch hat auch das nun von dem CSU-Politiker Alois Rainer geführte Agrarministerium ein Wörtchen mitzureden. Das Ressort hat zwar laut Rechnungshof den neuen Steuersatz auf 6,1 Prozent kalkuliert, sich aber dagegen verwahrt, ihn anzuwenden. Die Berechnungsmethode bilde nicht die Realität bei den Pauschallandwirten ab. Statt Daten aus der offiziellen Umsatzsteuerstatistik will das Ministerium nun Angaben etwa von Unternehmen nutzen, die Buchführungssoftware für Landwirte herstellen.
Dabei ist dem Rechnungshof zufolge sogar unklar, auf welcher gesetzlichen Grundlage das Agrarministerium diese Daten dort erheben will. Bis 1. Januar 2026 scheint das auf keinen Fall etwas zu werden. Dann würden die Pauschallandwirte bis auf Weiteres mit dem höheren Steuersatz Kasse machen.
Die taz fragte das Finanz- und das Agrarministerium, ob sie gegen das Umsatzsteuergesetz verstoßen wollen und wie sich so ein Verzicht auf Steuereinnahmen rechtfertigen lässt, wenn gleichzeitig etwa bei Bürgergeldempfängern gespart werden soll.
Das Landwirtschaftsressort antwortete darauf unter anderem: „Ziel des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat ist es, die Land- und Ernährungswirtschaft zu stärken, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und damit für die Zukunft gut aufzustellen.“ Die Option für die pauschale Umsatzsteuer baue Bürokratie für die Agrarunternehmen ab, sei aber keine Subvention.
Das Gemeinwohl – etwa die Interessen der Steuerzahler – ließ das Ministerium unerwähnt. Der Minister hat allerdings bei seiner Vereidigung geschworen, seine Kraft „dem Wohle des deutschen Volkes“ insgesamt zu widmen.
Rechnungshof sieht keinen Spielraum für die Regierung
Genauso wie das Finanzministerium unter dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil teilte das Agrarressort der taz wie zuvor dem Rechnungshof mit, die Bundesregierung prüfe noch, ob sie eine Verordnung erlassen muss, um den Steuersatz zu ändern.
Die Rechnungsprüfer verweisen darauf, dass das ihrer Meinung nach eindeutige Gesetz der Regierung in dieser Frage „kein Ermessen“ einräume – sie müsse den Steuersatz senken, und zwar „schnell“, weil die Frist am 1. Januar ausläuft und der Bundesrat noch zustimmen muss.
„Die Bundesregierung sollte sich schnellstmöglich klarwerden, wie sie die rechtswidrige Praxis beenden und so ein EU-Vertragsverletzungsverfahren oder ein Beihilfeverfahren vermeiden will“, schrieb auch der Grünen-Haushaltspolitiker Leon Eckert der taz. „Alois Rainer inszeniert sich als Kämpfer für die Landwirtinnen und Landwirte, weiß aber selbst, dass der Bundesregierung in Hinblick auf EU-Recht kein Spielraum bleibt.“
Eckert verlangte eine Lösung, die weder kleine landwirtschaftliche Betriebe bürokratisch überfordere „noch Steuereinnahmen für die Finanzierung wichtiger Projekte beispielsweise für den klimagerechten Umbau der Landwirtschaft liegen lässt.“
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