Europäisches Asylsystem (Geas): Warum Merz' Ankündigung kein Grund zur Freude ist
Der Kanzler will Grenzkontrollen beenden, wenn die europäische Reform der Grenzpolitik in Kraft tritt. Dann droht ein neues Kapitel der Abschottung.
D ie Grenzkontrollen und die Zurückweisungen Asylsuchender werden in absehbarer Zukunft beendet. So kündigte es Kanzler Friedrich Merz kürzlich an. Dann nämlich, wenn die Reform des Gemeinsamen europäischen Asylsystems (Geas) greift. Das wird Mitte 2026 der Fall sein. Darüber kann man aus guten Gründen erleichtert sein. Die Kontrollen mögen zwar nicht direkt rechtswidrig sein, sie waren aber eindeutig ein Verstoß gegen die Idee des Schengenraums mit offenen Grenzen.
Eindeutig illegal indes waren die Zurückweisungen von Schutzsuchenden. Wie offen die Bundesregierung hier das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts aus dem vergangenen Sommer ignoriert, ist nach wie vor ein Skandal. Nun könnte folgendes Fazit ziehen: Ungut, dass es so weit gekommen ist, gut, dass es jetzt eine Ausstiegsperspektive gibt. Allerdings sagt es einiges über die Geas-Reform, wenn Innenminister Alexander Dobrindt, CSU, und Kanzler Merz dazu bereit sind, ihre nationale Abschottungsstrategie gegen die Geas-Reform zu tauschen.
Schon in ihrer ursprünglichen Form war die Reform eine Zumutung: Schnellverfahren in Haftlagern an den EU-Außengrenzen ohne Anwält*innen und die Zivilgesellschaft, undurchsichtige Ausnahmeregelungen für Krisenfälle, bessere Möglichkeiten, illegale Pushbacks zu verschleiern. Das ist aber noch nicht alles. Am 8. Dezember einigten sich die EU-Innenminister auf eine Neufassung der Rückführungsverordnung.
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Dieser Schritt war überhaupt erst der Anlass für Merz’ Ankündigung, die nationalen Kontrollen bald beenden zu wollen. Was die Innenminister da beschlossen haben, macht den Weg frei für ein ganz neues Kapitel der europäischen Abschottung. Neben allerlei neuen Pflichten für Abzuschiebende und harten Strafen für alle, die sich widersetzen, kippt der Beschluss auch das sogenannte Verbindungselement.
Sollte das so vom EU-Parlament beschlossen werden, könnten abgelehnte Asylbewerber*innen bald in sogenannten Rückführungslagern interniert werden, in jenen Ländern, die die Betroffenen noch nie zuvor betreten haben. Fernab der Öffentlichkeit können sie dort festgehalten werden, bis sie freiwillig in ihr Herkunftsland zurückgehen oder dorthin abgeschoben werden.
Das gekippte Verbindungselement ist ein Schritt in Richtung einer noch drastischeren Lösung: der des sogenannten Ruanda-Modells. Nach diesem werden nicht nur abgelehnte Asylbewerber*innen, sondern auch die neu ankommenden Geflüchteten in ein fremdes Nicht-EU-Land verfrachtet.
Am Beispiel der USA, die bereits ähnlich vorgehen, zeigt sich, dass sich mit ausreichend politischem und wirtschaftlichem Druck durchaus Aufnahmeländer finden lassen. Nur kann man sich eben nicht sicher sein, dass Staaten wie der Südsudan die ihnen aufgezwungenen Menschen gut behandeln – oder sie nicht direkt dorthin abschieben, woher sie einst flohen. Mit diesem Szenario im Hinterkopf klingt Merz’ Ankündigung zum Ende der nationalen Grenzkontrollen eher wie eine Drohung.
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