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Prozess gegen Antifaschisten in BerlinEs war der Neonazi, der zustach

Zwei Antifas sollen auf einen Nazi eingestochen haben, sagt die Staatsanwaltschaft. Im Saal bestätigt sich eine taz-Recherche, die bereits zuvor das Gegenteil zeigte.

Beim Prozessauftakt im Amtsgericht Tiergarten in Berlin widersprach Leander S. am Montag der Anklage Foto: Taylan Gökalp/dpa

Es ist nur ein guter Meter, den die beiden Antifaschisten Konrad E. und Kolja B. von dem Neonazi Leander S. entfernt sitzen. Aber die drei schauen aneinander vorbei, weichen den Blicken aus. Dabei soll das Trio vor anderthalb Jahren schon einmal aufeinandergetroffen sein, im Hausflur des Mietshauses von Leander S. in Berlin-Pankow. Bei einer Auseinandersetzung, nach der alle drei danach mit Messerstichen schwer verletzt waren.

Die Tat am 18. April 2024 war einer der schwersten Vorfälle zwischen Rechtsextremen und An­ti­fa­schis­t*in­nen in Berlin in jüngster Zeit. Was genau geschah, blieb lange unklar. Die Staatsanwaltschaft Berlin indes legte sich fest: Es seien die beiden Antifaschisten Konrad E. und Kolja B. gewesen, ein Sozialarbeiter und ein Historiker, die zugestochen hätten. Sie sitzen deshalb am Montag im Amtsgericht Tiergarten, angeklagt für eine gemeinschaftliche, gefährliche Körperverletzung. Eine taz-Recherche aber zeigte schon zuvor auf, dass es anders gewesen sein dürfte: dass es der Neonazi Leander S. war, der zustach.

Es ist ein Prozess, der viel Aufsehen erregt. Schon am frühen Morgen sammeln sich Un­ter­stüt­ze­r*in­nen mit einer Kundgebung vor dem Gericht. Zugleich rücken auch Rechtsextreme des III. Wegs an, der Partei von Leander S. Eine Person berichtet, dass schon gegen 7.30 Uhr Rechtsextreme zwei Linke vom Gericht weggejagt hätten. Später trennt die Polizei vor Gericht die beiden Seiten.

Nicht alle Interessierten schaffen es in den Saal, so groß ist der Andrang. Einigen Linken aber gelingt es. Ebenso der Bundeschef des III. Wegs, Matthias Fischer, der Berliner Anführer Erik Storch und weitere Neonazis, darunter auch ein weiteres Parteimitglied und die Mutter von Storch, die als Zeu­g*in­nen geladen sind. Der Richter verweist sie, nachdem sie sich trotz Nachfrage zunächst nicht zu erkennen gaben, des Saals.

Anklage an „Einseitigkeit kaum zu übertreffen“

Schon gleich zu Beginn kritisiert die Verteidigung der Antifaschisten, dass die Anklage „mangelhaft“ sei, nicht der Aktenlage entspreche und an „Einseitigkeit kaum zu übertreffen“ – das Verfahren müsse eingestellt werden. Die Staatsanwaltschaft weist einseitige Ermittlungen zurück, auch der Senat lehnt den Antrag ab.

Dann trägt Staatsanwalt Tobias Dettmar die Anklage vor: Mit einem bis heute flüchtigen Mittäter hätten die Angeklagten sich vermummt und Leander S. in dessen Hausflur aufgelauert, dafür auch einen Hammer, Reizgas und ein Messer mitgebracht. Sie hätten dann auf S. eingeprügelt, auch zwei Mal mit dem Messer zugestochen, ihm später noch mit einer Glasflasche auf den Hinterkopf geschlagen. Dann seien sie geflüchtet.

Kolja B. schildert das Geschehen dagegen anders. Und er beginnt früher. Bekannte von ihnen seien in den vergangenen zwei Jahren Opfer rechter Gewalt geworden, beim Christopher Street Day oder in einem linken Jugendklub, berichtet er. Im Januar 2024 habe es erneut eine Attacke auf zwei Personen gegeben. „Der III. Weg war immer mit dabei.“ Als man dann erfahren habe, dass Leander S. in ihrer Gegend wohne und jede Woche zum Kampfsport gehe, habe man sich entschlossen, ihn zu „konfrontieren“.

Im Hausflur sei Leander S. mit einem wilden Schrei auf sie losgegangen.

Man sei zu dritt in den Hausflur des Wohnhauses von Leander S. gegangen, mit dem Ziel, ihm deutlich zu machen, „dass er endlich damit aufhören soll, Menschen anzugreifen, die nicht in sein Weltbild passen“. Man habe „ihm Angst einjagen“ wollen, ihn mit einem Hammer bedrohen und klarmachen wollen, sonst komme es „noch schlimmer“. Zur eigenen Sicherheit habe man auch Pfefferspray dabeigehabt. Dass sie auch ein Messer dabeihatten, bestreitet Kolja B. aber. „Niemals wäre das für uns überhaupt in Frage gekommen.“ Es sei auch klar abgesprochen worden, dass der Hammer nicht eingesetzt werden solle.

Antifas unterschätzten Neonazi

Im Hausflur sei Leander S. mit einem wilden Schrei auf sie losgegangen, habe sofort mit einem Messer zugestochen, auch auf ihn, sagt Kolja B. Er habe Todesangst bekommen, sei geschockt von der Aggressivität gewesen und habe versucht zu fliehen, was im engen Flur aber nicht gelang. Leander S. habe dann Konrad E. gepackt. Er habe versucht, diesen zu befreien, es sei sehr unübersichtlich gewesen, so Kolja B.. „Ihr scheiß Kommunistenfotzen“, habe S. gerufen. „Ist das alles?“

Man habe es dann doch aus dem Haus geschafft, habe Pfefferspray eingesetzt, um sich loszureißen, so Kolja B. Über einen Spielplatz sei man dann geflohen. Leander S. sei hinterher, habe gerufen: „Ich töte dich.“ Bis zu einer Brücke hinter dem Spielplatz habe man es noch geschafft, dann seien er und Konrad E. zusammengebrochen. Dass auch Leander S. verletzt war, könne er sich nur damit erklären, dass dieser sich im Gerangel selbst verletzt habe. Man habe Leander S. „völlig unterschätzt“, sagt Kolja B. „Wir waren total naiv.“ Der Tag sei eine Zäsur gewesen, unter der er bis heute leide, er sei lange in Psychotherapie gewesen.

Konrad E. schließt sich der Schilderung an und betont, dass er Todesangst hatte, dass der Abend ein „traumatisiertes Erlebnis“ war. Er sei ebenso seitdem in Psychotherapie, habe Narben, sein Zeigefinger sei dauerhaft lädiert. Konrad E. und Kolja B. hatten damals zentimeterlange Stichwunden im Oberkörper, im Oberschenkel und an Händen.

Leander S. gibt zu, zugestochen zu haben

Und dann kommt Leander S. – gescheitelt, im blauen Karohemd – und bestätigt die taz-Recherche. Er sei damals vom Boxtraining gekommen, habe in seinem Hausflur vier bis sechs schwarz Vermummte gesehen, sei von diesen ohne Vorwarnung angegriffen worden, erzählt der 24-Jährige. Dies hätten ihn mit Schlägen traktiert und zu Boden geworfen, eine Person habe sich auf ihn raufgesetzt.

Da habe er aus seiner Hosentasche ein Messer gezogen und „wild auf mein Gegenüber eingewirkt“, berichtet S. Jemand habe dann „Abbruch“ gerufen, die Personen hätten flüchten wollen. Eine aber habe er festgehalten, es sei Pfefferspray gesprüht worden, auf dem Spielplatz seien dann aber alle entkommen. Erst da habe er seine klaffende Wunde an der Wade bemerkt.

S. räumt auf Nachfrage ein, dass er öfter ein Messer trage, aus Angst vor Angriffen. Die Vermummten genauer beschreiben kann er nicht. Es sei für ihn aber klar, dass er wegen seiner „nationalen Einstellung“ angegriffen wurde, sagt der Neonazi. Längerfristige Folgen habe die Attacke für ihn nicht gehabt, „gar nicht“. Er sei im Alltag nur etwas vorsichtiger.

Die Wohnung von S. wurde nicht durchsucht

Damit widerspricht Leander S. der Anklage, wer das Messer führte. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn in den Ermittlungen gar nicht direkt befragt und, anders als bei den Antifaschisten, auch seine Wohnung nicht durchsucht. Nur einen Fragebogen hatten die Ermittler an seinen Anwalt übersandt, den er beantwortete. Warum S. die Frage zum Messer dort unbeantwortet ließ, fragt eine der Verteidigerinnen. „Ich wollte mich erst mal nicht belasten“, antwortet S.

Am kommenden Montag soll der Prozess fortgesetzt werden und auch ein Urteil fallen. Eins scheint nach dem Auftakt klar: Für einen Messerangriff dürften die beiden Antifaschisten nicht mehr verurteilt werden.

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