Umweltverband zu Bauernprotest: „EU-Agrarsubventionen sollten komplett gestrichen werden“
Die geplante Bauerndemo in Brüssel sei rückwärtsgewandt, so Matthias Wolfschmidt vom Umweltverband nature solidarity. Er fordert eine Pestizidabgabe.
taz: Herr Wolfschmidt, am Donnerstag will der EU-Bauernverband Copa-Cogeca gegen die Agrarpolitik in Brüssel demonstrieren. Was halten Sie von diesem Aufruf?
Matthias Wolfschmidt: Der ist erstaunlich rückwärtsgewandt. Sie rufen im Kern danach, dass die Subventionen möglichst nicht gekürzt werden sollen und dass alles so bleibt, wie es ist. Und gleichzeitig will man dann eine Deregulierung. Dieser Ruf nach Deregulierung passt natürlich nicht zu dem Umstand, dass man weiterhin Subventionen hat, die genau dafür gezahlt werden, dass die Landwirte die ganzen Regulierungen einhalten.
Der 60-Jährige ist Geschäftsführender Vorstand und Gründer der neuen Umweltorganisation nature solidarity. Wolfschmidt ist approbierter Veterinärmediziner und war von 2002 bis 2023 Direktor für Strategie und Kampagnen bei der Verbraucherorganisation Foodwatch.
taz: Warum kann denn Ihrer Meinung nach nicht alles so bleiben?
Wolfschmidt: Die Landwirtschaft ist der größte Umweltzerstörer in der Europäischen Union, hauptverantwortlich für enormen Artenverlust und Gewässerbelastungen. Wir haben Pestizidrückstände in 80 Prozent der landwirtschaftlichen Böden. 75 Prozent der Ackerböden werden überdüngt. Ungefähr ein Drittel der Bestäuberinsekten sind gefährdete Arten. Bei den Feldvögeln sind die Populationen gegenüber 1990 um über 40 Prozent geschrumpft. Und wir haben ein Höfesterben, das unvermindert weitergegangen ist.
taz: Was tun?
Wolfschmidt: Die EU-Agrarsubventionen sollten komplett gestrichen werden. Seit der Jahrtausendwende hat die EU knapp 1,5 Billionen Euro dafür gezahlt. Stattdessen sollten wir mit marktbasierten Instrumenten umweltfreundliches Verhalten von Landwirtinnen und Landwirten belohnen. Zum Beispiel über Abgaben auf Pestizide, Mineraldünger und CO2. Wenn man nur noch bestimmte Kontingente für Pestizide erlaubt und die Preise entsprechend anziehen lässt, werden die Landwirte automatisch weniger Pestizide einsetzen, und es wird insgesamt eine umweltfreundlichere Landwirtschaft geben.
taz: Diese Abgaben würden die Produktionskosten der Landwirte erhöhen, und die Bauern verdienten noch weniger. Wie wollen Sie damit umgehen?
Wolfschmidt: Die Produktionskosten werden sich erhöhen. Und die Wettbewerbssituation auf dem Weltmarkt, wo es nur um den niedrigsten Preis geht, wird sich verändern. Deswegen schlagen wir vor, ein Grenzausgleichsregime einzuführen, also Zölle für Produkte aus Herkunftsstaaten, wo die Umweltgesetzgebung weniger rigide ist, als es hoffentlich in Zukunft in der Europäischen Union ist. Das wird dazu führen, dass die Bauern höhere Preise für ihre Produkte erlösen.
taz: Und die Verbraucher müssten mehr bezahlen für die Lebensmittel.
Wolfschmidt: Ja, die Verbraucher müssen dafür bezahlen. Bei Backwaren ist der Rohstoffanteil am Gesamtpreis sehr niedrig, bei Gemüse sehr hoch. Wir plädieren für einen entsprechenden sozialen Ausgleich. Wir wollen, dass mit dem Geld, das bisher in die Agrarsubventionen fließt, gute und gesunde Lebensmittel für alle bezahlbar bleiben. Die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel könnte man komplett streichen, weil man ja an anderer Stelle jede Menge öffentlicher Gelder einspart.
taz: Würden ohne Subventionen nicht noch mehr Höfe aufgeben?
Wolfschmidt: Die Höfe geben ja jetzt schon auf, zum Beispiel weil sie keine Nachfolgerinnen oder Nachfolger finden. Wenn die Subventionen wegfallen, umweltfreundliches Wirtschaften sich auszahlt und ein fairer Grenzausgleich gegen Billigimporte aus Drittstaaten gilt, muss das die Agrarstruktur nicht negativ beeinflussen. Es wird sogar leichter für innovative Leute mit kleineren Höfen, Nischen zu finden und intelligente Produktionsweisen zu entwickeln, mit denen sie im Markt bleiben können.
taz: Sie haben Ihre Organisation gerade erst gegründet. Warum ist sie nötig, wo doch schon viele Umwelt- und Verbraucherverbände das Thema bearbeiten?
Wolfschmidt: Weil nature solidarity die einzige Organisation ist, die dieses marktwirtschaftliche Konzept in den Mittelpunkt stellt und nicht versucht, den Agrarsektor über weitere Subventionen noch irgendwie dazu zu bewegen, ein bisschen umweltfreundliche Zusatzleistungen zu erbringen, die dann Gemeinwohlleistungen genannt werden. Denn das funktioniert nicht. Und anstatt unsere Zeit in Kommissionen zu vergeuden, machen wir das, was wir früher bei Foodwatch gemacht haben, wo ich viele Jahre gearbeitet habe: konfrontative Kampagnen. Wir benennen die Verursacher und die Profiteure des heutigen, enorm zerstörerisch mit der Natur umgehenden Ernährungssystems, das unsere Zukunftsaussichten und die der nächsten Generation in hohem Maße gefährdet.
taz: Wie finanzieren Sie sich?
Wolfschmidt: Nature solidarity ist ein eingetragener, als gemeinnützig anerkannter Verein. Er lehnt Finanzierungen durch staatliche Stellen oder Unternehmen ab und setzt auf private oder institutionelle Förderer. Derzeit ist das nur die gemeinnützige GmbH Olin. Die fördert vor allem Umweltverbände, die gemeinnützig sind. Hinter ihr steht der Hamburger Kaufmann Alexander Szlovák, der einen Teil des aus seiner Familie stammenden Vermögens in diese gemeinnützige GmbH gegeben hat.
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