Mercosur-Abkommen mit Südamerika: Übertriebene Kritik
Der Vertrag würde EU-Bauern kaum schaden, Umweltschäden wären überschaubar. Aber er würde der Industrie nutzen – und den Beziehungen mit Südamerika.
D ie Kritik am Handelsabkommen der Europäischen Union mit vier Staaten der südamerikanischen Mercosur-Gruppe ist maßlos übertrieben. Anders als Landwirte behaupten, würden die Agrarmärkte der EU keinesfalls mit Billigware aus Südamerika überschwemmt. Schließlich würde die Europäische Union nur überschaubare Kontingente einräumen, die die Mercosur-Staaten zu niedrigeren Zöllen als bisher exportieren können – beispielsweise 99.000 Tonnen Rindfleisch pro Jahr. Das entspricht lediglich 1,5 Prozent der gesamten EU-Rindfleischproduktion.
Im Ergebnis würde die EU nach den Zollsenkungen lediglich rund 1 Prozent weniger Rindfleisch produzieren als derzeit. Das geht aus einer Modellrechnung des bundeseigenen Thünen-Agrarforschungsinstituts hervor. Noch niedriger wären die Einbußen bei Zucker. Eine andere Prognose zeigt, dass die zusätzlichen Rindfleischimporte der EU den Preis nur um 2 Prozent senken würden.
Zudem: Die EU ist der größte Agrar- und Lebensmittelexporteur der Welt, mit einem kräftigen Handelsbilanzüberschuss in diesem Sektor. Die Europäer sind Weltmeister bei der Ausfuhr von Käse und Schweinefleisch. Zwar stimmt es, dass zum Beispiel die Löhne in Deutschland höher sind als in Brasilien. Aber dafür können südamerikanische Landwirte von Agrarsubventionen auf EU-Niveau nur träumen: Die Europäer päppeln ihre Bauern mit 55 Milliarden Euro pro Jahr. Wer so viel subventioniert und exportiert, sollte sich nicht über ein paar zusätzliche Importe aus Mercosur-Staaten beklagen.
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Die eventuellen Umweltschäden in den südamerikanischen Ländern dagegen wären überschaubar. In der Kritik steht vor allem, dass die Ausweitung der Rindfleischexporte die Abholzung der Wälder im Mercosur beschleunigen würde. Tatsächlich würden die Südamerikaner aber dem Thünen-Institut zufolge nur rund 1 Prozent mehr dieses Fleisches produzieren. Daran wird sich das Schicksal des Regenwalds nicht entscheiden.
Diesen geringen Nachteilen stehen große Vorteile des Abkommens gegenüber: Die EU könnte mehr Industrieprodukte in den Mercosur-Staaten verkaufen. Das braucht gerade Deutschland, dessen Wirtschaft seit Jahren schwächelt. Industrielle Branchen bieten viel mehr und besser bezahlte Arbeitsplätze als die Landwirtschaft, die beispielsweise in der Bundesrepublik nur 0,8 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Von den zusätzlichen Ausfuhren nach Südamerika würden keinesfalls ausschließlich Konzerne profitieren: Die Mehrheit der deutschen Exporteure sind kleine Unternehmen.
Zu guter Letzt geht es bei dem Abkommen nicht nur um Geld. Angesichts der Krise im Verhältnis zu den USA muss die EU ihre Beziehungen mit anderen liberalen Demokratien stärken. Würde sie den Mercosur-Vertrag platzen lassen, täte sie genau das Gegenteil.
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