Warnung vor Europas „trojanischem Pferd“

LITAUEN Zur Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft gehen homophobe Politiker in die Offensive

VON REINHARD WOLFF

STOCKHOLM taz | Die EU garantiere jedem Menschen „das Leben zu leben, das er leben möchte“, betonte Viviane Reding, Vizepräsidentin der EU-Kommission Ende Mai in Vilnius: „Das Diskrimierungsverbot ist eines der Grundprinzipien der EU.“ Brüssel werde deshalb scharf reagieren, wenn ein Mitgliedsland meine, dieses Prinzip verletzten zu können. Die Mahnung galt dem Gastgeberland selbst. Zum 1. Juli übernimmt Litauen erstmals die EU-Ratspräsidentschaft. Wenige Tage vor Redings Worten hatte dort eine Parlamentsmehrheit mehrere diskriminierende Gesetzentwürfe auf den Weg gebracht.

Einer will jede „öffentliche Verunglimpfung konstitutioneller moralischer Werte und der Fundamente des Familienlebens“ unter Strafe stellen. Erfüllt sein soll der Tatbestand etwa durch „Propagierung“ lesbischer und schwuler Beziehungen, aber auch durch jede öffentliche homosexuelle Selbstäußerung oder Information über sexuelle Minderheiten. 68 Prozent der Abgeordneten stellten sich hinter diese Forderung. 74 Prozent unterstützten ein Gesetzesvorhaben, das Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare verbietet. Auch soll das Diskriminierungsverbot gelockert werden, wenn es um „Kritik von Homosexualität“ geht, sowie ein „Verbot medizinischer Geschlechtsumwandlung“ beschlossen werden.

Gintaras Grušas, Erzbischof von Vilnius, mahnte, sich nicht dem Druck aus Brüssel zu beugen. Die EU-Gleichstellungsgesetzgebung bezeichnete er im Parlament als „trojanisches Pferd“, das Litauens „familiäre Institutionen unterminieren“ wolle. Das Land müsse sich gegen die „Pseudoratschläge von außen“ wehren. Er zog dabei eine Parallele zur Unabhängigkeitsbewegung von der Sowjetunion vor zweieinhalb Jahrzehnten.

Hinter solchen Auffassungen stehe offenbar die Vorstellung, „dass die Agenten des verrotteten Europas das heilige Land von Maria erobern werden“, kommentierte die Tageszeitung Lietuvos rytas. Außenminister Linas Antanas Linkevičius warnte: Würden die Gesetze verabschiedet, werde Litauen ein homophobes Image bekommen.

„Wenn ihr weiter im Mittelalter leben wollt, hättet ihr nicht der EU beitreten sollen“, heißt es von einem Dutzend Kulturprominenten, die sich öffentlich zur Verteidigung der Rechte von Schwulen, Lesben und Transsexuellen äußerten. Statt Homosexuelle bestrafen zu wollen, die ihre Liebe zeigten, sollte es ein Gesetz geben, das Politiker mit Geldstrafen belegt, die humanitäre Rechte verletzen, schlug die Sängerin und Schauspielerin Juste Arlauskaite-Jazzu vor: „Die Mehrheit unserer Parlamentsabgeordneten wäre dann sicher schnell hoch verschuldet.“

Er glaube heute sogar mehr Feindschaft gegen Homosexuelle zu spüren als früher, sagte Ruslanas Kirilkinas, Litauens einziger offen schwuler Popstar. Seit er bei einem Konzert mit Eiern beworfen wurde, tritt er nur noch begleitet von Sicherheitsleuten auf. Vladimiras Simonko von Litauens Gay-Liga LGL macht das Bildungssystem für die fehlende Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten verantwortlich: „Homosexualität ist ein Tabuthema an Litauens Schulen. Lehrer haben Angst, von Eltern verklagt zu werden, sie würden Homosexualität propagieren, nur weil sie darüber sprechen.“ Simonko sieht die EU-Präsidentschaft als „einmalige Chance“ zu zeigen, dass „Litauen eine lebende Demokratie sei, gegründet auf pluralistischen Prinzipien“.