Bürger gegen Schönefeld: Alle fünf Minuten ein Donnergrollen

Derzeit liegen die Nachtflugregeln für den BBI in den Umlandgemeinden aus. Das Interesse der Bürger ist enorm - denn der Flughafen wird Orte und Menschen radikal verändern.

Bei den Bürgern landen die Flieger nachts nicht Bild: dpa

Karin Zimmermann zweifelt. "Verläuft die Flugbahn dann tatsächlich bis dahin, und sind das Start- und Landebahnen?", fragt die Frau den jungen Mann neben ihr. Die beiden stehen vor einem Plan über den Flughafen Berlin-Brandenburg International (BBI), gepinnt an eine Stellwand in der Gemeindeverwaltung Blankenfelde-Mahlow. Gut 25.000 Einwohner leben in der Schlafstadt im Speckgürtel, drei Kilometer Luftlinie sind es bis zum Flughafen Schönefeld. Etwa alle fünf Minuten wird eine Maschine über die Köpfe der Blankenfelder hinwegdonnern, wenn der Flughafen Ende 2011 eröffnet wird.

Die Aussicht auf den Dauerlärm regt Karin Zimmermann auf, seit Jahren schon. Die Diskussion um die Flughafenplanung hat sie von Anfang an verfolgt. Insofern schreckt sie auch der 260 Seiten dicke Wälzer nicht ab, der in der Gemeindeverwaltung zusammen mit den Plänen über Flughafengrenzen und Lärmschutzgebiete ausliegt. Immerhin könnten Grenzen oder Randzeiten von erlaubten Starts und Landungen verändert worden sein - und dann ginge es schnell um viel Geld und Schlaf.

Salem Ben Muftah bestätigt das große Interesse am "Planergänzungsbeschluss zum Lärmschutz" des Landes Brandenburg. Er studiert Stadt- und Regionalplanung an der Technischen Universität und ist während der Auslegung als Ansprechpartner vor Ort. "Es kommen stetig mehr Menschen", sagt Ben Muftah. Er hat sich seit längerem mit der Gemeinde Blankenfelde-Mahlow und ihrer Entwicklung im Flughafenumfeld befasst. Der praktische Einsatz ergänze sein angelerntes Wissen, sagt der Student. "In der Uni haben wir das alles theoretisch besprochen. Aber wenn man hier sitzt, merkt man erst einmal, welchen Frust die Leute schieben."

Von völliger Resignation bis zu hitzigen Wortgefechten - Ben Muftah hat in den ersten Tagen die ganze Bandbreite erlebt. Die meisten Bürger hätten konkrete Fragen, die zeigten, dass sie gut Bescheid wüssten. "Oft geht es um Entschädigungszahlungen oder die Zahl der Flugbewegungen", sagt er. Wie viele Flüge pro Nacht kommen wirklich? Liegt mein Grundstück in der Kernschutzzone? Wer zahlt, wenn nicht nur Schallschutzfenster eingebaut, sondern auch die Fassade erneuert werden muss?

Ein Großteil Blankenfelde-Mahlows gehört zum engeren Schutzbereich um den Flughafen. Die Bewohner sollen bis zu 4.000 Euro Entschädigung erhalten und sich davon Schallschutzfenster einbauen. Die Höhe der Zahlung hängt davon ab, ob man Grundstück oder Wohnung besitzt oder etwa im Mehrfamilienhaus wohnt.

Lebensqualität kann man sich von dem Geld nur bedingt kaufen: Die Gemeinde besteht vor allem aus Einfamilienhäusern. Ältere Bewohner wie Karin Zimmermann halten sich im Sommer vorwiegend im Garten auf - ein zweifelhaftes Vergnügen, wenn alle fünf Minuten ein Flugzeug in unmittelbarer Nähe landet oder startet. Bei offenem Fenster zu schlafen ist dann unmöglich, Sommerhitze hin oder her: Die Nachtflugregeln sehen im Durchschnitt 77 Flüge zwischen 22 und 6 Uhr vor; das wären fast dreimal so viele wie derzeit. "Hier ist im Prinzip der ganze Ort betroffen", sagt Zimmermann. Kein Wunder, dass sich die Blankenfelder vor Ort informieren - genauso wie sie stets zahlreich an Protestveranstaltungen teilnehmen.

Rainer Manning ist Referent des Bürgermeisters. "Das Thema Flughafen ist hier das Ein und Alles", sagt er. Die Verwaltung hat eigens einen Flughafenausschuss eingerichtet; er trifft sich einmal im Monat und ist öffentlich. Der Ausschuss kann zwar kaum etwas beschließen, lässt aber Messungen vornehmen und diskutiert alternative Gutachten. "Das sind immer wilde Veranstaltungen", sagt Manning. "Da ist richtig der Teufel los."

Wobei sich die Wut der Bewohner selten gegen die Lokalpolitiker richtet: Die Gemeinde hat als eine von vieren gegen die Nachtflugregeln geklagt, der Bürgermeister ist nicht gerade als Pro-BBI-Fanatiker bekannt. Blankenfelde-Mahlow ist auch Teil der Schutzgemeinschaft der Umlandgemeinden Flughafen Schönefeld. Der Verein stimmt die Aktivitäten der einzelnen Orte aufeinander ab, dient der gegenseitigen Beratung und dem Meinungsaustausch.

Im Kern geht es darum, die Folgen des Flughafenausbaus abzumildern - die Umlandgemeinden im Osten, Westen und Süden rechnen eher mit negativen BBI-Auswirkungen. Einzig die Gemeinde Schönefeld dürfte profitieren: Hier siedelt sich schon jetzt Gewerbe an; der Fluglärm ist aufgrund der geografischen Lage verschwindend gering.

Referent Manning trat vor einem halben Jahr seinen Dienst in Blankenfelde an. Er kann die fortwährenden Proteste nachvollziehen. Natürlich seien die Planungen seit Jahren bekannt - aber es habe wohl niemand damit gerechnet, dass der Flughafen in diesem Ausmaß und mit diesen Auswirkungen kommt. Zugleich hat sich der gebürtige Niedersachse den Blick von außen bewahrt. Er vermisse die Auseinandersetzung mit weitergehenden Chancen und Herausforderungen, sagt Manning.

Blankenfelde-Mahlow hat seit der Wende 10.000 Einwohner hinzugewonnen. "Wir hätten gern noch mehr", bekennt der Verwaltungsmitarbeiter; realistisch dürfte aber sein, dass die Bevölkerung stagniert. Wer zieht schon in direkte Flughafennähe? Für die Großgemeinde, die aus drei Ortsteilen besteht, könnte das Ende des Wachstums indes die Chance sein, innerlich zusammenwachsen: Bis heute fehlt ein Zentrum, die Gemeinde ist zerfleddert, der soziale Zusammenhalt entspricht dem. Für die Verwaltung ist ein Neubau geplant; noch sind Manning und seine Kollegen in einem wenig ansehnlichen braunen Flachbau untergebracht. Es wäre an der Zeit für eine Neudefinition.

Auch die wirtschaftliche Entwicklung könnte Manning zufolge mehr als bisher forciert werden. Kürzlich hat er mit einer Delegation Gemeinden im Münchner Flughafenumfeld besucht. Dort hat sich allerlei Gewerbe angesiedelt, das die Nähe zum Flughafen schätzt. "Wir sollten mehr Marketing machen", bilanziert der Referent. Mit Rolls-Royce gibt es ein namhaftes Unternehmen im Gemeindegebiet, es könnte als Zugpferd dienen. Der Motorenhersteller entwickelt in Dahlewitz Triebwerke. "Solche Chancen nutzen wir gar nicht."

Der Jurist Manning verteidigt gleichwohl die Klage gegen den bisherigen Lärmschutz vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Es gehe darum, die Negativeffekte so weit wie möglich abzumildern. Jeder Flug weniger gilt als Gewinn - auch wenn die Anwohner trotzdem Nacht für Nacht aus dem Schlaf gerissen werden. Die Gemeinden zweifeln das Gutachten an, auf dessen Basis der Bedarf für Nachtflüge ermittelt wurde. Mit einem Urteil rechnen sie frühestens zur Eröffnung von BBI.

In Blankenfelde werden die Menschen weiter kämpfen. "Ich lasse mich nicht von diesem Projekt aus meiner Heimat vertreiben", sagt Zimmermann auf dem Parkplatz vor dem Gemeindehaus. Just in diesem Moment zieht eine Maschine über sie hinweg. Das Gespräch wird unterbrochen. "Na ja, wie sagt man so schön", sagt die Frau dann. "Die Hoffnung stirbt zuletzt."

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