Die richtige Story, die richtigen Leute – und der Zufall

KAMPAGNE Medienforscher in den USA analysieren den Erfolg des Internetfeldzuges gegen Joseph Kony

„Trau mir, Du MUSST das wissen“, tweetet Sängerin Rihanna. „Gemeinsam können wir etwas verändern und Kony stoppen“, verheißt Justin Bieber, und Oprah Winfrey lässt ihre Twitter-Gemeinde wissen: „Hab mit $ und Stimme unterstützt und werde nicht aufhören.“

Was traditionelle Medien und Organisationen in einem Vierteljahrhundert nicht geschafft haben, hat der Internetfeldzug der US-Organisation Invisible Children über Nacht erreicht: Der ugandische Rebellenführer und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesuchte Joseph Kony ist in aller Munde (siehe taz vom 10. März). Medienforscher in den USA sind über den Erfolg wenig verwundert.

70 Millionen Clicks in sieben Tagen – der YouTube-Film verbreitete sich wie ein Lauffeuer um die Welt. Am Ende gratulierte sogar der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, den „Hunderttausenden von Amerikanern, die sich für diesen einzigartigen Bewusstseinsprozess eingesetzt haben“.

Der Politologe und Soziologe Joel Rogers von der Universität Madison, Wisconsin meint im Vergleich zum Arabischen Frühling: „Im Fall von Kony ist es besonders leicht, einen globalen Konsens darüber zu finden, dass das, was er und die LRA tun, eine schlechte Sache ist. Wer kann schon dagegen sein, einen Schurken zu verurteilen, der Kinder raubt und zu Sexsklaven und Soldaten macht.“

Der soziale Medienforscher Jonah Peretti geht noch weiter. „Die Leute sorgen sich um diese Tragödien, aber sie wollen auch, dass andere sehen, dass sie das tun“, so der Gründer der Internetplattform Buzzfeed.com. „Indem sie das Kony-2012-Video verbreiten, zeigen sie ihren Freunden, dass sie sich um die Welt sorgen, dass sie etwas verändern wollen und am Kampf gegen das personifizierte Böse teilnehmen.“

Noch dazu sei das Video geschickt produziert, denn es baue mehr auf den Effekt des sozialen Mediums denn auf visualisierte Grausamkeit. „Schreckliche Bilder werden nur kurz gezeigt“, so Peretti. „Vielmehr geht es um inspirierende Dinge, die jeder tun kann, um die Situation zu verändern.“ Die Musik schaffe die zusätzlich nötigen Emotionen, und den Rest besorgen die Gesichter von Prominenten, die sich reihenweise hinter die Kampagne stellen – von Angelina Jolie über Bill Gates bis zu George Clooney.

Viel Schneeballeffekt sei da dabei, meint Steve Jones, Professor für Kommunikation an der Universität von Illinois in Chicago. „Und viel Zufall. Es ist der richtige Ort zur richtigen Zeit, die richtige Story, die richtigen Leute. Wenn nur einer von diesen Prominenten nicht mitgemacht hätte, wäre das ganze Gerüst vielleicht in sich zusammengebrochen.“

Die meisten Kony-2012-Internetkämpfer sind Teenager zwischen dreizehn und siebzehn Jahren. „Das ist etwa das Alter der Opfer im Film. Also ist es leicht, sich mit ihnen zu identifizieren“, sagt Kommunikationsforscher Christopher Sterling von der Georgetown Universität in Washington. Da werde eine Kampagne losgetreten, die so schnell sei, dass PR-Experten gar keine Zeit mehr bliebe zu reagieren. Aber, warnt Sterling, das könne mit einer „bösen Botschaft“ ebenso passieren wie mit einer guten.

Der Soziologe Rogers bezweifelt das. „Viele sagen, dieselben Leute, die heute aus guter Absicht agieren, könnten es morgen aus Hass tun, aber sie werden nicht dieselbe Zustimmung bekommen“, meint er. Nach dem E-Buch sei nun auf jeden Fall die E-Kampagne geboren. „Das Internet ist eine mächtige Technologie, deren Möglichkeiten die Menschen gerade erst anfangen zu entdecken.“ ANTJE PASSENHEIM