Komm, Baby, komm!

ENTBINDUNG Nur wenige Säuglinge halten sich an den errechneten Geburtstermin. Rund ein Drittel kommt zu spät. Betroffene Schwangere sollten besser Ruhe bewahren und sich entspannen, als auf die Wirkung von natürlichen „Geburtsbeschleunigern“ zu hoffen

Der normale Zeitraum für die Geburt liegt bei 14 Tagen vor und nach dem Termin

VON JANET WEISHART

Nervös ist sie nie gewesen. „Das verdanke ich meiner Hebamme vom Geburtshaus Maja in Pankow, die mich beruhigte und liebevoll betreute“, erinnert sich die Berlinerin Axinia Bielig ans Warten auf die Geburt. Die 35-Jährige gehörte zu den Frauen, bei denen Ärzte von einer „Terminüberschreitung“ sprechen.

Das betreffe in Deutschland etwa ein Drittel der Schwangerschaften, sagt Ernst Beinder, Direktor der Klinik für Geburtsmedizin der Charité, „zehn Prozent warten sogar länger als sieben Tage“. Laut Monika Selow, Beirätin des Deutschen Hebammenverbandes (DHV) haben vor wenigen Jahren noch fast 50 Prozent den Termin überschritten. Selow beklagt: „Nur aufgrund der vielen Kaiserschnitte vor Termin und Geburtseinleitungen werden es weniger.“ Dabei liegt der normale Zeitraum für die Geburt bei 14 Tagen vor und nach dem errechneten Termin – und darüber liegt nur ein Prozent der Schwangeren.

IT-Fachfrau Bielig musste letztlich nur drei Tage länger ausharren, bis der Sohn auf die Welt kam. Entspannte Frauen wie sie sind im zehnten Schwangerschaftsmonat aber selten. Der dicke Bauch, Wassereinlagerungen in den Beinen und Sodbrennen plagen. „Bei vielen Frauen liegen die Nerven blank, weil es länger dauert“, sagt Hebamme Yvonne Bovermann vom Geburtshaus Charlottenburg, die seit 22 Jahren Geburten begleitet. „Eine gute Beratung und viele Gespräche sind dann sehr wichtig.“ Dass Mütter in Panik geraten, liege aber auch an den steten Nachfragen von Familie und Freunden, die verunsichern.

Dabei kann Frau, vorausgesetzt sie und das Kind sind gesund, eigentlich entspannt bleiben. Wie lange sie das sollte? Geburtsmediziner Beinder: „Nach zehn bis zwölf Tagen Wartzeit leiten wir in der Geburtsmedizinischen Klinik der Charité die Geburt ein. Die neuen Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe empfehlen das ab dem siebten Tag, und dem werden wir uns nach und nach auch anpassen.“

Kliniken wollen damit das Risiko einer Todgeburt verringern, das im Zeitraum der 37. bis 42. Schwangerschaftswoche bei fortgeführten Schwangerschaften um das Drei- bis Vierfache ansteigt. „Eine Gefahr für das Baby ist insbesondere die Plazentainsuffizienz, also die Unterfunktion des Mutterkuchens“, erklärt Beinder. „Diese können wir mit unseren Mitteln bei Terminüberschreitung nicht erkennen.“ Auch der DHV will die neue Richtlinie beachten und Frauen ab dem siebten Tag über die Möglichkeit der Geburtseinleitung aufklären. Richtlinie ist Richtlinie, gerade für freiberufliche Hebammen, die sich rechtlich auf glattem Eis bewegen.

DHV-Beirätin Selow bemängelt, dass das Papier ohne Hebammen erstellt wurde. „Derzeit werden Schwangere verunsichert und unter Druck gesetzt, bei denen die Geburt bis zum Termin noch nicht eingesetzt hat.“ Hebamme Bovermann pflichtet ihr bei: „Wir Hebammen bleiben dabei, dass wir bei jedem gesunden Kind bis zum 14. Tag Zeit haben, ehe wir eine Einleitung empfehlen. Wir müssen aber jene Kinder und Frauen aufspüren, bei denen man nicht abwarten sollte.“ Dazu gehören zum Beispiel Kinder, die zum Termin nur 2.500 Gramm wiegen, oder Mütter, bei denen die Plazenta nicht gut funktioniert, oder der Blutdruck steigt.

Für alle anderen Frauen heißt es: Geduld und das Leben genießen. „Frauen können die Illusion aufgeben, den Geburtstermin aktiv beeinflussen zu können“, meint Hebamme Bovermann. „Der wird von Körper und Kind bestimmt. Wenn das Kind für die Geburt reif ist, gibt die Plazenta ein Signal und im Muttermund bilden sich Rezeptoren, die eine Wirkung der Wehenhormone erst möglich machen.“ In der Praxis treten Wehen übrigens gerade dann auf, wenn Schwangere wenig Stress haben.

Dass stundenlanges Treppensteigen, heiße Bäder oder Fensterputzen Wehen fördert, können Hebammen und Ärzte nicht bestätigen. Ernst Beinder empfiehlt Spaziergänge und viel trinken. „Das regt die Verdauung an, die wiederum die Wehentätigkeit stimuliert. Auch Sexualität begünstigt Kontraktionen.“ Echte „Geburtsbeschleuniger“ gibt’s aber auch. Dazu gehört der Rizinuscocktail aus Saft, Alkohol und 20 Milliliter Rizinusöl. Hebamme Bovermann wendet ihn am 12. Tag nach Termin an, aber nur unter Aufsicht. Eine Rizinusstudie an der Frauenklinik der Uni Ulm bestätigte 2009 die uneingeschränkt positive Wirkung bei Mehrgebärenden.

Ganzheitliche Wege geht die chinesische Medizin bei Terminüberschreitung. Laut Heilpraktikerin Ruthild Schulze könne eine Milz-Qi-Schwäche für die Verzögerung verantwortlich sein. Hebammen erkennen es daran, dass Schwangere an Ödemen leiden oder Heißhunger auf Süßes haben. Schulze: „Je nach Syndrom gibt es ganz individuelle Körperpunkte, die eine Hebamme mit Akupressur oder Akupunktur zur Weheneinleitung reizen kann.“