Die Perlen des Mr. Pink

Die Hamburger Zeitschrift „Kultur und Gespenster“ speist sich aus dem brachliegenden Potential, das in der Kulturwissenschaftler-Szene zu finden ist. Die Feuilletons jubeln – und nun kommt die neue Ausgabe

Es war im Sommer 2006, es war heiß und in den Feuilleton-Redaktionen konnte man die Wörter „Fußball WM“ nicht mehr hören. Man hatte Fußball-Ausstellungen besprochen, Fußball-Theaterstücke rezensiert, Fußball-Bücher vorgestellt. Zuvor hatten ständig PR-Agenturen angerufen in dem Glauben, die Feuilletonisten müssten dem Fußball dankbar sein, dass er ihnen einen Sommer lang vom hohen Ross hilft. Und die Feuilletonisten waren auch dankbar. Und noch dankbarer waren sie, als Anfang Juli diese Zeitschrift in der Post war: „Kultur und Gespenster“ hieß sie, war dick wie ein Buch und brachte Texte, die mit allem Möglichen zu tun hatten, aber nicht mit Mainstream.

Es war ein furioser Start. FAZ, DeutschlandRadio, Tagesspiegel, alle schrieben und lobten und sicher war ein Grund dafür, dass „Kultur und Gespenster“ von keiner PR-Agentur beworben wurde. Die Zeitschrift aus Hamburg kam leise daher und entwickelte eine Aura, die anzog: Hier gibt es etwas selbst zu entdecken, verstanden die Redakteure. Und es geht nicht ums Geld.

„Kultur und Gespenster“ erscheint vierteljährlich und enthält sehr lange Artikel ohne Bezug zu aktuellen Ereignissen. Es gibt jeweils einen Schwerpunkt in den Heften, zum Beispiel das Werk des Hamburger Dichters Hubert Fichte oder das Interview als solches, mal betrachtet als Textsorte und Realitätskonstrukt. Neben den Schwerpunkten gibt es frei florierende Artikel, eine Bildstrecke eines bildenden Künstlers, eine Modestrecke, einen Comic und Rezensionen. Das Lay-Out behält aufgrund der seitenlangen Artikel ganz von selbst die Ruhe, und trotzdem gibt es gestalterische Kniffe: Die Zeitschrift arbeitet beispielsweise mit verschiedenen Papier-Typen oder spielt mit einem kontinuierlich wandernden Blocksatz. Letzteres zeigt sich bei der sechsten Ausgabe namens „Ich will nicht Mr Pink sein“, in der es viel um Tarantino geht und die am 24. Januar präsentiert wird.

Gemacht wird die Zeitschrift von den Hamburgern Gustav Mechlenburg, Jan-Frederik Bandel und Nora Sdun, und zwar von zu Hause aus. Man kommuniziert per E-Mail miteinander, und das Netzwerk ist der Motor des Projekts: Es gibt da zum Beispiel die Kontakte zur Kulturwissenschaftler-Szene, die „Themen haben, die sie woanders so nicht unterbringen können“, sagt Mechlenburg. Dieses Potential wolle man in den Gebrauch überführen, sagt Sdun, und mitunter kommen dabei Perlen zu Tage, auf die auch kommerzielle, aber weniger gut vernetzte Medien scharf wären: Ein Interview mit dem Schriftsteller Thomas Bernhard zum Beispiel, das 1986 von einem damals jungen und naiv fragenden Literaturwissenschaftler geführt und noch nie in deutscher Sprache veröffentlicht wurde.

Weder die drei Redakteure noch die Autoren und Künstler bekommen ein Honorar, die Zeitschrift will lediglich mit einer schwarzen Null dastehen – was nur durch einen Zuschuss aus dem Deutschen Literaturfonds möglich ist. Die Auflage liegt bei 2.000 Stück pro Ausgabe und wenn die FAZ berichtet, werden auf einen Schlag 50 Hefte bestellt, aber nicht mehr. Für ein größeres Publikum ist das Heft zu speziell – und das soll es auch bleiben: „Das Ziel ist, das so lange zu machen, wie es Spaß macht“, sagt Sdun. „Mich wundert, dass so etwas nicht mehr Leute machen.“

KLAUS IRLER

Kultur & Gespenster Nr. 6 Release-Party inklusive Lesung von Frank Schäfer aus dessen neuem Buch „Homestories“: 24. Januar um 20 Uhr im Hafenklang Exil, Hamburg