Die Gang auf dem Laufsteg

FASHION WEEK Ein Taschenhersteller will authentisch sein. Und leiht sich dafür das Image von Jugendlichen aus Berliner Problemkiezen

Das Wort: Mit Corporate Social Responsibility, kurz CSR, bezeichnen Firmen, was sie über Gesetze hinaus für Gesellschaft und Umwelt tun. Laut Marketingforschern hat sich der Bereich in den vergangenen Jahren vergrößert und professionalisiert. Mehr kritische Konsumenten machen die Arbeit am Ruf wichtiger.

Der Fall: Die Taschen- und Kleidungsmarke Eastpak sprach im vergangenen Jahr den Verein Gangway an, der in Berlin Straßensozialarbeit organisiert. Auf der Fashion Week am 2. Juli laufen 20 Jugendliche in Eastpak-Kleidung über den Laufsteg.

Die Kritik: Umweltverbände und Nord-Süd-Aktivisten bemängeln an CSR-Projekten, dass öffentlichkeitswirksame Sozialevents vor langfristigen Veränderungen der Produktionsbedingungen angepackt werden.

Die Vorgänger: Sich einen Weltverbessereranstrich zu geben ist in der Mode nicht neu. United Colors of Benetton warb schon 1995 mit Fotos von Ölpest und Aids.

VON LUISE STROTHMANN

Die Marketingleiterin des Taschenherstellers Eastpak lag das erste Mal seit langem krank auf ihrem Sofa und konnte plötzlich nicht mehr weiterzappen. Bei RTL2 lief Trash-TV, „Frauentausch“, eine Folge, in der eine junge Fleischereifachverkäuferin und ein Berliner Model ihren Alltag wechselten. „Das arme Mädchen hat mich fasziniert“, sagt Katja Eismann-Erler. „Die Reiche war total abgehoben, und die Arme hat am Ende gesagt: ‚Ich finde es bei meiner Familie schöner, das ist mir wichtiger als Geld.‘ Sie hat Grundwerte wie Vertrauen, Liebe ausgestrahlt. Sie war authentisch.“

Zombies sind durch

Seit RTL2 ist Katja Eismann-Erler auf der Suche nach Authentizität. Denn Eastpak verkauft Streetwear – Straßenkleidung – und muss sich vor seinen Käufern ständig provokant neu erfinden. Halbnackte Männer, Zombie-Models und Live-Rockmusik am Laufsteg sind schon durch. Etwas Neues musste her. Etwas, das ist, wie Eastpak sich selbst sieht: urban, von der Straße, echt.

Im Flugzeug nach London schiebt Katja Eismann-Erler ihrem Chef ein Entwurfspapier zu. Er überfliegt den Text. Inhalt: Jugendliche des Berliner Vereins Gangway für Straßensozialarbeit sollen für Eastpak bei der Fashion Week am 2. Juli 2009 über den Laufsteg gehen. „Okay“, sagt er und nickt Katja Eismann-Erler zu. „Aber es darf nicht peinlich werden.“

Dienstag, wenige Tage vor der Modemesse, in einem Hotel in Berlin-Mitte. Sieben Monate nach Beginn der Kooperation von Eastpak und Gangway im November 2008 wird das Projekt offiziell vorgestellt. Im Raum Donizetti stehen sechs Namenskärtchen auf einem langen Tisch. Auf dem zweiten von links steht: „Katja Eismann-Erler, Marketing Manager Eastpak“. Auf dem zweiten von rechts steht: „Diana“.

Eigentlich hat Diana auch einen Nachnamen, Volkmann, und in der weißen Lücke unter ihrem Namen könnte vieles stehen: Schülerin, Mutter, Fußballerin, Model. Die 19-Jährige macht gerade ihren Realschulabschluss nach, zieht eine bald zweijährige Tochter groß. Bei Gangway verbringt sie ihre Freizeit. Es gibt nur eine Bezeichnung, die Diana Volkmann wirklich aufregt – „Straßenkind“. „Wir sind Jugendliche, die nicht in Clubs gehen, sondern sich auf einer Inlineskater-Bahn treffen, aber deshalb sind wir noch keine Straßenkinder“, sagt sie und wirft ihre langen Haare zurück, die seit dem Stylingwochenende kupferrot sind. In der ersten Modenschau des Eastpak-Projektes im Januar lief Diana Volkmann neben Casting-Model Lena Gercke, danach sah sie im Fernsehen: „Topmodel läuft mit Straßenkindern.“

„Jugendliche aus sozialen Brennpunkten“ nennt Eastpak die etwa 20 jungen Berliner, die seit Monaten in wöchentlichen Treffen lernen, auf dem Laufsteg zu gehen. Manchmal schreibt die PR-Agentur auch „Streetkids“. „Auf Englisch klingt das nicht so hart wie auf Deutsch“, sagt Katja Eismann-Erler. Schließlich ist die Werbebotschaft: Von der Straße für die Straße.

Im Gegensatz zu einigen ihrer Freunde träumt Diana Volkmann nicht davon, auf der Fashion Week entdeckt zu werden. „Das ist eine Erfahrung, aber wir werden dadurch keine Models“, sagt die 19-Jährige. Eastpak hat alle, die wollten, ins Projekt aufgenommen – ohne Casting. Das hat Elvira Berndt überzeugt, mit der Marke zusammenzuarbeiten. Die Pädagogin ist Geschäftsführerin von Gangway. „Wir machen nur mit, wenn wir das Gefühl haben, nicht ausgenutzt zu werden“, sagt sie. Konfliktstoff gab es trotzdem. Als bei der ersten Show doch nur wenige für den Laufsteg ausgesucht wurden, flossen Tränen. Eines der Mädchen hat X-Beine. „Wir haben klar gesagt, dass es für uns um etwas geht, schließlich gehen die Bilder für Eastpak um die Welt“, sagt Eismann-Erler.

„Okay, aber es darf nicht peinlich werden“

EASTPAK-DEUTSCHLANDCHEF ANDRÉ BORTZ ZU DEM MODEPROJEKT MIT BERLINER JUGENDLICHEN

Marketingforscher Andreas Suchanek ist Wirtschaftsethiker und hält es für möglich, dass die Strategie von Eastpak aufgeht. Der Erfolg hänge allerdings davon ab, wie weiß die Firmen-Weste an anderen Stellen sei, sagt Suchanek. Wer Kulturveranstaltungen sponsert, aber Arbeiter überwacht, dem glaubt man nicht.

Was bei Eastpak falsch läuft

Berndt Hinzmann von der Kampagne für Saubere Kleidung hat schnell aufgezählt, was beim Textilgiganten Vanity Fair Corporation, zu dem Eastpak gehört, falsch läuft: Der Konzern-Kodex zur Bezahlung der Näherinnen sei mangelhaft, eine Anfrage zur Einhaltung der Sozialstandards habe das Unternehmen ignoriert. „Gerade ein Marke, die ihre Kundengruppe immer wieder neu erobern muss, initiiert natürlich lieber Sozialprojekte mit potenziellen Kunden als in der eigenen Produktionskette“, sagt er.

Die Jugendlichen haben von Eastpak Jacken und Schuhe geschenkt bekommen, sie sind ein Aushängeschild. Diana Volkmann trägt in letzter Zeit meist eine rosa karierte Eastpak-Tasche zu Nikes und einer Hello-Kitty-Jacke. Wie sie die Eastpak-Produkte findet? „Einiges gefällt mir, anderes ist hässlich“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Auch mit dieser Form von Authentizität muss Eastpak leben.