Bücher über Künstlerateliers: Zwischen Pappkartons und Leinwänden

Einige sind penibel aufgeräumt, andere chaotisch und vollgestopft. Drei Autoren beschäftigen sich mit dem Atelier und werfen einen Blick in die Arbeitsräume der Künstler.

Freund des kreativen Durcheinanders: Udo Lindenberg in seinem Hamburger Atelier. Bild: dpa

Das amüsanteste Kapitel in Wolfgang Ullrichs aktueller Buchveröffentlichung "Gesucht: Kunst! Phantombild eines Jokers" (Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2007, 304 Seiten, 14,90 Euro) heißt "'Erwin anrufen' - oder: Wie wird künstlerische Kreativität (mit)geteilt?". Es behandelt einen Mythos des Alltags, das Atelier des Künstlers. Es gilt als der Ort schlechthin, vermeintlich der Kräfte habhaft zu werden, die die singuläre Figur des Künstler ausmachen. Wo sonst wäre man, wie etwa der Sammler Friedrich Christian Flick glaubt, "dem Schöpfungsprozess näher"?

Wolfgang Ullrichs Bericht von der Kreativitätsfront gerät so lustig, weil die Zeichen und Wunder des Ateliers bei genauerer Untersuchung nur die Zählebigkeit traditioneller Topoi belegen, das oft plumpe Stereotyp. Das Lachen, das einem beim Lesen erfasst, ist die vielleicht schärfste Kritik, die sich Serial Sammler wie Flick und Co. gefallen lassen müssen, die nach eigenem Bekunden oft weniger das Werk als die Bekanntschaft der Künstler interessiert.

Erklärt diese Faszination des Atelierbesuchs womöglich, warum es Künstlerinnen noch heute unmöglich ist, mit Erfolg und Status ihrer männlichen Kollegen gleichzuziehen? Der von Iris von der Tann und Heide Weissenberger herausgegebene, schmale Bildband "Künstlerateliers in Berlin. Ein Raum im Haus der Kunst" (www.werkstueckberlin.de, Berlin 2007, 18,50 Euro) jedenfalls zeigt deutliche Unterschiede zwischen Künstler- und Künstlerinnenateliers. Jonathan Meeses Arbeitsraum etwa ist selbstverständlich mit Leinwänden vollgestopft, wie sich das für den rasend produktiven Künstler gehört. Die Frauen dagegen - brav wie sie nun einmal sind - mögen es ordentlich. Dabei räumt Franka Hörnschemeyer, deren Atelier in fast vollkommener Leere glänzt, am penibelsten auf, gefolgt von Ceal Floyer, die gerade mit dem Preis der Nationalgalerie für Junge Kunst ausgezeichnet wurde. In Floyers Atelier tanzen immerhin ein paar Pappkisten aus der Reihe, während das sachlich-weiße Studiomobiliar der Konzeptkünstlerin Gloria Zein die ausgebildete Architektin verrät.

Kann man sich einen Mann wie Flick anders als befangen vorstellen, sobald er sich in einer Situation, die weder als gesellschaftlich noch als intim definiert ist, allein mit einer Frau in einem Raum wiederfindet? Gar einem so cleanen wie dem von Hörnschemeyer? Angela Bullochs strenge Ordnung stört wenigstens der Stapel Bierkästen an der Wand. Wolfgang Ullrich scheint den Braten zu riechen, wenn er im Atelier die "männliche Version der Gebärmutter" erkennt, in der er nur männlichen Künstler und männlichen Besucher begegnet.

Iris von der Tann und Heide Weissenberger aber setzen nicht nur auf den Hype, sie entmystifizieren ihn auch. Denn ihr Bilderbuch ist nicht nur als aktuelle Bestandsaufnahme, sondern dazu als Mitbringsel und hippes Gastgeschenk konzipiert. Daher sind die schönen Fotografien von Anna Lehmann-Brauns auch als Ansichtskarten zu verwenden. Wolfgangs Ullrichs Befunde richtig weitergedacht, ist es höchste Zeit für die Idee vom Künstleratelier als Sehenswürdigkeit und Postkartenmotiv. Obwohl das Format auf die Überhöhung des Mythos zielt, gehört es doch zu sehr dem profanen Alltag an, um den Mythos nicht gleichzeitig zu unterminieren. Genau dadurch wird die Lektüre der "Künstlerateliers in Berlin" spannend, dass sie den Alltag der Mythen kenntlich machen, statt allein die Mythen des Alltags zu feiern.

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