Frauen ins Haus

Human Rights Watch bezichtigt den Gouverneur der westafghanischen Provinzen, Ismail Khan, der systematischen Diskriminierung von Frauen

von ANETT KELLER

Dass heute die meisten Frauen in Afghanistan sich noch immer mit der Burka verhüllen, wenn sie aus dem Haus gehen, ist weithin bekannt. Was diese Woche jedoch die Menschnrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in einem Bericht veröffentlichte, schockte selbst Diplomaten, die schon länger in der Region arbeiten. In der westlichen Provinz Herat würden in den letzten Monaten verstärkt wieder Frauen verhaftet, wenn sie allein mit Männern gesichtet werden, mit denen sie weder verheiratet noch nahe verwandt sind. Ihr „Begleiter“, sei es nur der Taxifahrer, wird ebenfalls festgenommen. Während die Männer mit Gefängnisstrafen zu rechnen haben, werden die Frauen von Polizisten direkt zum Arzt gebracht. Dort müssen sie sich einer Untersuchung unterziehen, die Aufklärung über kürzlich stattgefundenen Geschlechtsverkehr liefern soll.

Der Bericht zitiert Ärzte aus dem einzigen Krankenhaus in Herat, die von zwei bis zehn Zwangsuntersuchungen am Tag sprechen. Für die männlichen Heratis offenbar nichts Ungewöhnliches. Der Verwandte einer „Untersuchten“ zu HRW: „Das ist eine ganz normale Sache in Herat, wenn eine Frau allein im Taxi sitzt, hält die Polizei sie an und fängt an, Fragen zu stellen.“

Laut Bericht ist diese Praxis nicht der Willkür einzelner Polizisten geschuldet, sondern Politik des Gouverneurs von Herat, des Warlords Ismail Khan. Seine Sicherheitskräfte haben Order, die Verwandschaftsbeziehungen von Passanten zu untersuchen und streng gegen „unislamisches Verhalten“ vorzugehen. Wie im benachbarten Iran dienen dazu neben der Religionspolizei auch freiwillige Milizen.

Ismail Khans Schaukelpolitik zwischen iranischer und US-Unterstützung und seine unangetastete Alleinherrschaft in Westafghanistan bereitet Kabul schon seit längerem Kopfzerbrechen. Nach einem ersten HRW-Bericht, der Khans grausames Regime aufdeckte, haben sich die Fronten noch verhärtet. Wer mit HRW-Vertretern sprach, wurde bedroht. Diplomatische Vermittlungsversuche sind bislang ergebnislos. „Khan spielt Iran und die USA gegeneinander aus“, sagt ein westlicher Diplomat.

Kritik an den unseligen Allianzen im Rahmen von „Enduring Freedom“, durch die Afghanistans Provinzfürsten erst wieder groß wurden, übt auch die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, Christa Nickels (Grüne): „Da wurden die Nattern an Karsais Brust erst gezüchtet.“ Internationale Aufbauhilfe, fordert Nickels, müsse endlich an die Einhaltung der Menschenrechte gekoppelt werden.

Ob diese Strategie bei Warlords wie Khan etwas bewirken kann, ist allerdings fraglich. Anders als andere Provinzfürsten hat Khan keinerlei Rivalen im eigenen Lager zu befürchten. Und allein die Zolleinnahmen an den Grenzen zu Turkmenistan und Iran garantieren Khan Schätzungen zufolge 2 Millionen Dollar im Monat.

Der Bericht im Internet: http://www.hrw.org/press/2002/12/herat1217.htm