Gott Hugo und der große Satan

Die Konfrontation zwischen Venezuelas gesprächigem Präsidenten Hugo Chávez und der vom Unternehmerverband geführten Opposition wird immer schärfer. Chávez sieht sich jetzt in einem „Kampf um Leben und Tod“: Die USA wollen ihn weghaben

von INGO MALCHER

Hugo Chávez, der Präsident Venezuelas, ist ein gesprächiger Mann. Hoffnungslosen Fällen gibt er gerne einen Tip fürs Leben mit auf den Weg. Im Interview mit dem spanischsprachigen Ableger des Fernsehsenders CNN empfiehlt er daher ein Buch des uruguayischen Schriftstellers Eduardo Galeano. „Du solltest das lesen, Jorge“, belehrt Chávez seinen Gegenüber, denn dann würde dieser vielleicht noch etwas lernen.

Aber Chávez ist auch ein nachsichtiger Mann. Versuch einer Frage: Es gibt einen Streik in Venezuela – „aber Jorge, ich hoffe nicht, dass du das glaubst“, unterbricht Chávez. Ängstlich schiebt der CNN-Reporter ein „Nein, nein“ hinterher. Für Chávez ist die Sache klar: „In Venezuela gibt es keinen Streik“, beteuert er, „es gibt eine Konspiration von Ölmanagern.“

Carlos Fernández, Präsident des venezolanischen Unternehmerverbandes und prominenter Chávez-Gegner, ist kein gesprächiger Mann. Er spricht einsilbig und gestellt. Allein „vorgezogene Neuwahlen“ würden die politische Krise lösen, die Fernández und der Streik herbeigeführt haben. Aber Fernández ist auch ein großmütiger Mann. „Wenn Chávez will“, so verspricht er, „dann darf er bei den Wahlen natürlich kandidieren“.

Der 1998 ins Amt gewählte Präsident sei heute nicht mehr tragbar. Artig rechnet Fernandez vor: Seit Chávez' Amtsübernahme hätten über 5.000 Fabriken geschlossen, die Arbeitslosigkeit sei über 20 Prozent gestiegen, die Inflation würde in diesem Jahr 35 Prozent betragen. Und dann führt Fernández noch grinsend ein einstudiertes rhetorisches Bonbon vor: „In einem kann man dem Präsidenten Recht geben: Er identifiziert sich mit den Armen – jeden Tag sind es mehr.“

In Washington teilt man vermutlich diese Art von Humor. Auch im Weißen Haus ist klar: Chávez muss weg. Am Freitag erklärte ein Sprecher der US-Regierung: „Die USA sind davon überzeugt, dass der einzige friedliche und politisch möglich Weg aus der Krise vorgezogene Neuwahlen sind.“

In der Tat dürfte die Krise in dem Karibikland George W. Bush Kopfschmerzen bereiten. Venezuela ist der fünftgrößte Ölexporteur der Welt, und vor einem möglichen Angriff auf den Irak sorgt sich der US-Präsident um seinen Ölnachschub. Täglich liefert Venezuela 1,5 Millionen Barrel Öl in die USA, das sind 14 Prozent ihres Tagesbedarfs. In einer solchen Situation kommt Bush ein verrückter, aber hartnäckiger venezolanischer Präsident, der Fidel Castro bewundert und linke Schriftsteller empfiehlt, höchst unpassend.

Aber vielleicht zwingt der Streik im Ölsektor Chávez ja doch in die Knie. Seit die Gewerkschaften und die Unternehmerverbände vor zwei Wochen den unbefristeten Generalstreik ausgerufen haben, hat lediglich ein Tanker die venezolanischen Raffinerien verlassen. Die Erdölproduktion ist während des Streiks nach Gewerkschaftsangaben um 70 Prozent gesunken. Normalerweise produziert Venezuela 2,5 Millionen Barrel pro Tag. Schmerzhaft für die Regierung, sie verliert etwa 50 Millionen Dollar täglich durch den blockierten Erdölexport. 40 Tanker liegen in den Häfen Venezuelas vor Anker und warten darauf, aufgetankt zu werden.

Auch im Land wird der Sprit langsam knapp. Im Landesinneren ist zahlreichen Tankstellen bereits das Benzin ausgegangen. Das könnte zur Folge haben, dass die Industrie und der Handel bald komplett zum Erliegen kommen, weil der Gütertransport lahm gelegt wird.

Solche Aussichten feierten am Freitag mehrere 10.000 Chávez-Gegner, die einmal mehr auf die Straße zogen, um den Rücktritt des Präsidenten zu fordern. Einmal mehr nannte Chávez seine Gegner „Putschisten“, welche die Verfassung nicht achten würden. Auf andere Herausforderungen kontert Chávez bunter. Von CNN gefragt, ob sich mit ihm die Linke in Lateinamerika durchsetzt, antwortet er: „Es geht um mehr als das. Es ist ein Kampf um Leben und Tod.“ Dann, nach einer kurzen Pause: „Ein Kampf zwischen Gott und Satan.“