„Die Zerstörung eines Symbols“

Heute kommt er: Roland Rainer, der 92-jährige Architekt der Bremer Stadthalle, protestiert gegen den geplanten Umbau seiner „europaweit einmaligen“ Konstruktion. Jetzt könnte endlich eine Diskussion über die ästhetischen – und wirtschaftlichen – Dimensionen des Vorhabens beginnen

„Wie von selbst ergibt sich eine im besten Sinn monumentale Wirkung“

Sigfried Giedion, einer der bekanntesten Theoretiker der Architekturmoderne, hat in seinem Hauptwerk „Raum, Zeit, Architektur“ das Zusammenspiel von Architekten und Ingenieuren als ein wichtiges Kennzeichen moderner Architektur beschrieben. Die 1957 entworfene, 1965 vollendete Stadthalle Bremen ist eine geradezu klassische Verkörperung dieser Aussage.

Das Fachblatt „Bauwelt“ urteilte: „Mit der sichtbaren Hängedachkonstruktion wird Neuland beschritten. Die Konstruktion wird mutig gezeigt, wobei sich fast wie von selbst so etwas wie eine im besten Sinn monumentale Wirkung ergibt. Die Bremer Stadthalle ist für uns ein Beginn, sie markiert den Übergang zu neuem Denken im Entwerfen: symbolisiert in der Zusammenarbeit von Architekt und Ingenieur.“

Von den in architektonischen Fragen eher konservativen Bremern wurde das Bauwerk zunächst skeptisch, dann aber mit wachsender Sympathie aufgenommen. Schließlich fand sich das charakteristische Motiv der dynamischen Silhouette des Gebäudes auf Post-Sonderstempeln und Verkehrsleitschildern wieder.

Der Architekt, Roland Rainer, hat mit der Wiener Stadthalle und der Ludwigshafener Friedrich-Ebert-Halle noch zwei weitere konstruktiv geprägte Großhallen verwirklichen können. Der bekannte Architekturkritiker Friedrich Achleitner betonte die „symbolische Funktion“ dieser Hallen für ihre Städte – „besonders deutlich in Bremen“.

Doch die „unverkrampft-monumentale“ Wirkung der Stadthalle – Rainer interpretierte sie als „Zelt unter Zelten“ auf dem Freimarktareal – wurde bereits durch die in den achtziger Jahren beginnenden Anbauten, die der Halle auf den Leib rückten, empfindlich gestört. Gleichwohl erzielte die eindrucksvolle Silhouette der Schrägansicht nach wie vor ihre Wirkung. Doch nun droht die im Mai beschlossene Aufstockung die Halle bis zur Unkenntlichkeit zu verändern. Nicht nur ihre markante Form, auch die dahinter stehende konstruktive Idee wird durch das zu erwartende Fachwerkträgerdach ad absurdum geführt.

In der Bremer Architektenszene wird der Umbau in der sich abzeichnenden Form (die genauen Planungen sind nicht öffentlich bekannt) abgelehnt. Kritik findet aber vor allem die Öffentlichkeitsscheu und Vergabepolitik „nach Gutsherrenart“ der Bauherrin, der Hanseatischen Veranstaltungsgesellschaft (HVG), die dem Wirtschaftsressort angegliedert ist.

Als Vergleich wird auch häufig der Fall des Münchner Olympiastadions angeführt. Die berühmte luftige, landschaftsbezogene Zeltdachanlage sollte nach dem Willen der FC-Bayern-Bosse in einen modernen Fußball-Hexenkessel umgemodelt werden. Doch heftigste Proteste aus der Fachöffentlichkeit und der Bevölkerung (die Rede war von „Architekturhooligans“) sorgten schließlich für ein Einlenken. Nun bleibt das Stadion erhalten und München bekommt (von den Stararchitekten Herzog & de Meuron) ein neues Fußballstadion, das gleichzeitig die städtebauliche Entwicklung des Münchner Nordens befördert.

Eine ähnliche Lösung könnten sich auch Bremer Experten vorstellen: eine neue Stadthalle als Initiator der Entwicklung innenstadtnaher Brachen wie dem ehemaligen Güterbahnhof oder dem Gebiet um den Weserbahnhof.

Heute bezieht Stadthallenarchitekt Roland Rainer (92) persönlich Stellung: Im Rahmen der Vortragsreihe „Denkanstöße“, mit der der BDB (Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure) seit kurzem versucht, die Architektur- und Stadtentwicklungsdebatte in Bremen voranzubringen. Kerstin Tegeler vom BDB, die Reihe organisiert, betont: „Die Stadthalle ist eines der wenigen international relevanten Werke bremischer Nachkriegsbaukultur.“

Neben Rainer, der noch mal die Bauidee erläutern soll, wird heute abend auch Joseph Sparber auf dem Podium sitzen. Der Leiter der technischen Abteilung des Dywidag, die damals die Halle gebaut und die statische Berechnung gemacht hat, wird die Besonderheit der Konstruktion erklären, die laut Tegeler als „europaweit einmalig“ gilt. Und mit Peter Raue wird einer der namhaftesten Urheberrechtler Deutschlands auf dem Podium sitzen. Die Stadt Bremen dürfe das Bauwerk nicht ohne Zustimmung des Entwurfsverfassers verändern, meint Tegeler. In der Vorlage zum Wirtschaftsförderungsausschuss, der im Mai den Umbau beschloss, stehe „zynischerweise explizit“, dass die Gestalt der Halle zerstört wird, dass das Urheberrecht greift, dass man aber das Risiko für eine gerichtliche Auseinandersetzung gering einschätze. Tegeler: „In diesem Fall können sich die Politiker – anders als bei der unsichtbaren Laufbahn im Weserstadion – also nicht damit herausreden, sie hätten nichts gewusst.“

Außerdem sei der geplante Umbau aufgrund der „enormen technischen Probleme“ vermutlich wesentlich teurer als geplant. Tegeler: „Es ist ohnehin kurios: Man will 50 Millionen Euro in die Hand nehmen, um die Halle kaputt zu machen – für 3500 neue Plätze. Aber für 70 bis 80 Millionen könnte man schon eine neue Halle mit allem Komfort hinbekommen.“

Eberhard Syring

„Denkanstöße“ mit Roland Rainer findet heute Abend um 19 Uhr im Vortragsraum der Bremer Kunsthalle statt